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Mutig auf die Alten

Rentenreform. Fast könnte man meinen, die Frankfurter Rundschau gehöre bereits der SPD und stehe nicht erst vor einer Beteiligung der SPD-eigenen Druck- und Verlagsgesellschaft, von der in der vorigen Woche berichtet wurde. Eine »mutige Reform« nennt die Zeitung die Rentenreform der Bundesregierung, die am vergangenen Donnerstag im Bundestag verabschiedet wurde, obwohl sie den »Abschied von der lebensstandardsichernden Funktion der Rente« bedeute und die »Beschneidung des Leistungsniveaus um ein Fünftel« mit sich bringe. »Das ist ganz schön mutig für eine Koalition im Umfragetief.«

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gab zu, dass die Standardrente demnächst nur noch 43 Prozent statt 53 Prozent des Durchschnittseinkommens betrage. Dennoch war von Abweichlern in der Koalition weit und breit nichts zu sehen, einzig Ottmar Schreiner (SPD) enthielt sich der Stimme. 25 Abgeordnete der Sozialdemokraten gingen in einer »persönlichen Erklärung« auf Distanz zur Rentenreform, obwohl sie ihr zuvor zugestimmt hatten. Auch das war unheimlich mutig.

Lex Florida

Sozialhilfe im Ausland. Die vor Zorn geröteten Köpfe und Hälse der Menschen in dieser Republik schwellen allmählich wieder ab, die Gerechtigkeit ist kurz vor ihrer Wiederherstellung und der Sozialstaat so gut wie gerettet. »Florida-Rolf« bekommt ab 1. April keine Sozialhilfe mehr.

Dem 64jährigen Frührentner Rolf J. hatte ein Psychiater bescheinigt, dass ihm ein Leben in Deutschland nicht zuzumuten sei. Alle Leistungen, die er an seinem Wohnsitz Florida erhielt, hatte er ordnungsgemäß beantragt. Trotzdem echauffierten sich die Massen nach den »Enthüllungen« der Bild-Zeitung.

In Rekordgeschwindigkeit änderte die Regierung das Gesetz, das den Bezug von Sozialhilfe im Ausland regelt. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) versprach sich davon großen Zuspruch aus der Bevölkerung. Immerhin ließen sich ganze 0,025 Prozent der SozialhilfeempfängerInnen, knapp 1 000 Menschen, ihre Stütze an alle Strände des Planeten schicken, mit abnehmender Tendenz. Denn die Regelung stammt aus der Nachkriegszeit und kam vor allem ehemaligen Verfolgten des NS-Regimes zugute, die in Not waren, aber nicht mehr im Land ihrer Verfolger leben wollten oder konnten.

Nun aber ist Schluss mit »dem süßen Leben unter Palmen auf Kosten des Steuerzahlers« (Edmund Stoiber). Wer arm ist, soll gefälligst bangen müssen, ob aus dem Frühling dieses Jahr etwas wird.

Friedensbewegung am Hindukusch

Bundeswehr. Wer heißt die größte Friedensbewegung Deutschlands? a) Attac, b) Bundeswehr, c) Bundesregierung oder d) PDS? Ja, da muss man ordentlich grübeln, da fällt der eine oder andere Joker vor dem Gewinn der Million. Richtig ist die Antwort b)! »Diese Bundeswehr ist die größte Friedensbewegung Deutschlands«, sagte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) in der vergangenen Woche.

Zwar soll besagte Friedensbewegung bis zum Jahr 2010 um 35 000 auf 250 000 Personen schrumpfen. Von denen sollen aber wiederum 35 000 stets bereit stehen, um überall in der Welt Frieden zu schaffen, entgegen einer alten Parole verbohrter Peaceniks allerdings mit Waffen. So werde die Bundeswehr »absehbar einer der größten Truppensteller für internationale Friedenseinsätze« bleiben.

Struck verwehrte sich aber dagegen, seine Jungs und Mädels als »Hilfstruppe der Polizei« beim »Kampf gegen den Terror« im Innern des Landes einzusetzen. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf legte die Union am vergangenen Freitag im Bundesrat vor. Zu dessen Durchsetzung ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Das Partei-Phantom

Linke Protestpartei. Für die noch gar nicht existierende, neue linke Protestpartei spricht wenigstens eines: SPD-Politikern ist sie ein Dorn im Auge, einige Gewerkschaftsvorsitzende distanzierten sich. Der Vize-Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Michael Müller, ist schon so beunruhigt, dass er die soziale Frage »neu beantwortet« sehen will. Beim Treffen des Arbeitnehmerflügels der SPD in Erfurt stellte der zukünftige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering klar: »Wer da mitmacht, scheidet automatisch aus der SPD aus.«

Gelassenheit demonstrierte dagegen der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky. »Wettbewerb hat ja noch nie geschadet«, sagte er der Berliner Zeitung und drückte seine Hoffnung aus, die neue Initiative könne zum »Aufwachen« seiner eigenen Partei beitragen.

Tatsächlich trafen sich vor eineinhalb Wochen rund 30 Menschen mit dem Ziel, Grundzüge einer alternativen Wirtschaftspolitik zu entwerfen, unter ihnen der ehemalige Europaabgeordnete der Grünen, Frieder Otto Wolf, der Verdi-Gewerkschaftssekretär Ralf Krämer und Axel Troost von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Sie wollen von den Regierungsparteien Enttäuschte, aber auch nicht explizit linke Politikverdrossene ansprechen: »Die Agitation und Propaganda muss populär, klar und einfach sein.« Ihr WählerInnenpotenzial schätzen sie auf 20 Prozent.

Molli hier, Molli da

1. Mai in Berlin. Während die Linksradikalen nun schon fast regelmäßig nach dem 1. Mai ordentliche deutsche Beamte der Gewalttätigkeit beschuldigen und auf Plakaten nach ihnen fahnden, versuchen sie jetzt schon vor dem Arbeiterkampftag, der Polizei ins Handwerk zu pfuschen. In der vergangenen Woche tauchten an zwei Kreuzberger Schulen CDs zum »Kopieren und Weitergeben« mit Musik, Filmen und Texten auf, die sich an »erlebnisorientierte Jugendliche« und »Krawalltouristen« richteten. Nach Informationen der taz sollen 10 000 Stück der Randale-CD hergestellt worden sein. Doch Achtung: Der Inhalt des Mediums sei keineswegs neu, wie der »sachkundige Betrachter« schnell feststellt. Anleitungen zur Herstellung von so genannten Molotow-Cocktails seien zum Beispiel längst »in einschlägigen Publikationen formuliert worden«.