Sieg im Terrorkrieg

Die politischen Folgen der Anschläge in Madrid von carlos kunze

Das Kalkül der Massenmörder ist aufgegangen. Ein Leichenberg in Madrid, das war das Ziel. Es ist erreicht worden. Und fast alles spricht dafür, dass es sich erneut um einen Anschlag aus dem nebulösen Netzwerk von al-Qaida handelt, insbesondere die Art der Ausführung des Massakers mit mehreren massiven und simultanen Explosionen mit dem Ziel, möglichst viele Zivilisten umzubringen. Die ersten auf islamistische Täter hinweisenden Ermittlungsergebnisse und diverse Bekennerschreiben, deren Authentizität noch zweifelhaft ist, die aber auf die Unterstützung der spanischen Regierung für den »Verbrecher Bush« verweisen, komplettieren das Bild.

Nach dem 11. September 2001 lässt sich die Entwicklung des al-Qaida-Netzwerks grob in drei Phasen einteilen. Bis Anfang 2002 zerstreute sich al-Qaida nach dem Sturz des Taliban-Regimes zunächst, um sich dann neu zu gruppieren. Bis Ende des Jahres wurde eine neue dezentralisierte Struktur mit weiter gehender Autonomie der lokalen Gruppen und Zellen geschaffen. In diese Phase fällt zugleich der Beginn der dritten: die Rückkehr zur Offensive.

In einer Ussama bin Laden zugeschriebenen Botschaft vom 18. Oktober 2003 wurde angekündigt, dass diese Offensive sich auch gegen das mit den USA verbündete »neue Europa« richten werde, das den als »Kreuzzug gegen den Islam« bezeichneten Irakkrieg unterstützte. Ins Visier gerieten insbesondere Spanien, Großbritannien, Polen und Italien.

Das Massaker in Spanien hat zu einer irren politischen Konstellation geführt. Es stellte auch den Versuch dar, Spanien an der Frage der Beteiligung am Irakkrieg zu spalten. Das hat geklappt. Die konservative Regierungspartei PP fürchtete, dass ihre unpopuläre Beteiligung am Irakkrieg sie den Wahlsieg kosten könne. Deshalb hat sie gegen alle Wahrscheinlichkeit die baskische Separatistentruppe Eta für die Anschläge verantwortlich gemacht. Die Psoe-Sozialisten haben demgegenüber die Islamistenspur in den Vordergrund gestellt.

Die Demonstrationen auf den Straßen, zu denen die spanische Regierung aufgerufen hatte, schlugen gegen sie aus. Tausende wandten sich gegen die »Lügen« und die durchsichtigen »Manipulationen« der Regierung. Die Erinnerung an die »Kriegslügen« von Bush und Blair im Hinblick auf Massenvernichtungswaffen im Irak dürfte ein Übriges getan haben, um die gesellschaftliche Stimmung gegen die PP umschlagen zu lassen. Am Wahltag wurden José Maria Aznar und der PP-Kandidat Mariano Rajoy bei der Stimmabgabe überschwänglich mit »Mörder, Mörder«-Rufen begrüßt. Die Psoe heimste den Wahlsieg ein und kündigte schon vor den Koalitionsverhandlungen den baldigen Rückzug der spanischen Truppen aus dem Irak an.

Das ist ein großer Erfolg für al-Qaida. Und auch für den deutschen Staat, der der Regierung Aznar ihr hochverräterisches Unternehmen – Beteiligung am Irakkrieg – nie verziehen hat.

Ein weiteres Element kommt hinzu: Sollten die Sozialisten tatsächlich die Regierung bilden, müssen sie auch ethno-nationalistischen Ansprüchen des baskischen und katalanischen Establishments genügen. Am Sonntagabend ließ sich im Deutschlandfunk bereits vernehmen, dass »die Katalanen« nach Norden, nach Deutschland schielen, »seit Jahrhunderten schon«, weil es dort im Rahmen des deutschen Föderalismus »freier zugehe«. Freiheit für die Ethnien, »Verständnis« – wie es auf der Beiruter Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung hieß – für die Islamisten: Das Modell Deutschland bietet sich Spanien an.