Die Baumpflanzer

Wie die Grünen in Brasilien Wurzeln schlugen. von nils brock und astrid schäfers

Der Verein »Freunde des Botanischen Gartens« in Gávea, einem Nobelviertel Rio de Janeiros, ist empört. Hunderte illegale Siedler – die Tageszeitung Jornal do Brasil spricht von über 600 Familien – haben sich dort in den letzten Jahren Wohnraum geschaffen und bedrohen nun die über 1 000 dort wachsenden neotropischen Pflanzenarten. Jetzt hat sich die Stadt entschlossen, dem Treiben ein Ende zu bereiten. Edson Bedim, Vorsitzender des Umweltamtes, kündigt Maßnahmen an. »Das ungeordnete Wachstum der Siedlungen geht gegen die Interessen des Parks, und wir werden jetzt gegen die Bewohner vorgehen.«

Fast scheint es, als seien in Brasilien die Pflege der Grünflächen und der Umweltschutz generell aus sozialer Rücksicht bisher zu kurz gekommen. Doch das stimmt nicht. Bereits in den achtziger Jahren erregte eine freie Gewerkschaft von Kautschuksammlern im Bundesstaat Acre landesweit Interesse, als sie für eine schonende Nutzung der Flora eintrat. Die Ermordung ihres bekanntesten Sprechers, des Umweltschützers Chico Mendes, durch zwei Großgrundbesitzer im Jahr 1988 sorgte weltweit für Aufsehen. Und im städtischen Dschungel von Rio de Janeiro hatte bereits zwei Jahre zuvor ein denkwürdiges Ereignis stattgefunden, ohne dass die Stadt heute ein paar Bäume weniger hätte. Dort hatte sich die Grüne Partei Brasiliens (PV) gegründet.

Dass eine Partei, die noch nie von mehr als zwei Prozent der Bevölkerung gewählt wurde, bis heute einen gewissen politischen Einfluss gewahrt hat, liegt vor allem an ihrem populären Gründertrio. Fernando Gabeira, Carlos Minc und Alfredo Sirkis waren zu Zeiten der Militärdiktatur (1964 bis 1979) im bewaffneten Widerstand aktiv und flüchteten nach einer Haftstrafe ins europäische Exil. Inspiriert von den dort erstarkenden ökologischen Bewegungen, versuchten sie nach ihrer Rückkehr, der brasilianischen Bevölkerung ein »grünes Bewusstsein« einzuhauchen.

Das gelang nur teilweise. Mit Anti-Atomprotesten in Angra dos Reis und Wurstattacken auf die Auspuffrohre städtischer Omnibusse konnten sie weder die Herzen der Masse noch das Koalitionskalkül der etablierten Parteien für sich gewinnen. »Man kann den PV nicht zu einer Volkspartei stilisieren«, sagt Gustavo Cherubine, Sozialwissenschaftler am Instituto Paulo Freire und Koordinator des Forums für solidarische Ökonomie in São Paulo. Warum die Grünen zumindest in den Städten des Südens, vor allem in Rio de Janeiro und São Paulo, Erfolge verbuchen, ist für Cherubine klar: »Die Mittelklasse macht sich das ökologische Thema zu eigen, weil es ein Thema ist, das ihr erlaubt, sich weiterhin vorzustellen, dass ›ihre Gärten‹ und ›ihre Parks‹ für immer grün sein werden.«

Auf föderaler Ebene, wo derzeit über gentechnisch veränderte Pflanzen und die effizienteste Vermarktung der heimischen Gewächse diskutiert wird, hat der PV nicht viel zu sagen. Dabei stellen die Grünen mit Gilberto Gil sogar ein Regierungsmitglied. Doch als Kulturbeauftragter hat der Musiker wenig Gelegenheit, der beliebten Umweltministerin Marina Silva von der Arbeiterpartei (PT) Paroli zu bieten.

Gabeira hingegen hoffte, mit seinem Wechsel in den regierenden PT seine ökologischen Vorstellungen besser realisieren zu können; er trat noch vor der Zustimmung der Regierung zur Genmanipulation enttäuscht zurück. Seit einem Jahr sitzt er als parteiloser Abgeordneter im Kongress.

Vielleicht meidet Sirkis, der momentan politisch aktivste grüne Gründervater, auch deshalb die nationale Bühne. »Noch heute ist der PV eine Partei, die in ihrer Identität sehr mit Rio verbunden ist und nicht so viel Sympathie in anderen Landesteilen genießt. Es fehlt an Kanälen, die guten Erfahrungen zu verbreiten.« Und so konzentriert er sich auf die Stadt Rio, deren Bürgermeisteramt er anstrebt.

Dort hat das grüne Treiben im Stadtrat Spuren hinterlassen. Die Einwohner Rios können sich über die Errichtung des größten Fahrradwegnetzes des Kontinents freuen, die Bewohner der über 500 Favelas sehen ihre Häuser vor lauter Bäumen nicht mehr. Doch die Begrünungsprogramme sind mehr als ökologische Kosmetik. Die Häuser und Hütten im hügeligen Rio waren zur Regenzeit in früheren Jahren immer stark erdrutschgefährdet. 1988 starben über 300 Bewohner infolge von Erdrutschen. In den Gebieten, die von den Bepflanzungen profitieren, seien seitdem keine Menschen mehr ums Leben gekommen, behauptet Sirkis. Bei Erdrutschen zur Regenzeit zumindest.

Den Vorwurf, den sozialen Problemen der Stadt nicht genug Beachtung zu schenken, lässt er nicht gelten. »Der größte städtische Wald der Welt«, sagt er, werde schließlich teilweise von den Bewohnern der Favelas bewahrt, die zum Bäumepflanzen engagiert werden. Dass diese Jobs nicht dauerhafter Natur sind und ohne feste Arbeitsverträge vergeben werden, sei eben ein strukturelles Problem. Denn städtische Angestellte werden in Brasilien normalerweise mit Hilfe eines Wettbewerbs für die freien Stellen ausgewählt. In schlecht bezahlten informellen Jobs, bei denen die Bewohner der ärmeren Viertel auch Abwasserrohre verlegen und Müll sammeln, erschöpfen sich offenbar die arbeitspolitischen Vorstellungen der Grünen.

Andernorts sind die ökologischen Überzeugungen der PV-Mitglieder oft nur Lippenbekenntnisse. In Niterói, dem Nachbarstaat von Rio de Janeiro, kam es zum Skandal. Eine unabhängige Studie ergab, dass dort nur ein Viertel des atlantischen Regenwalds erhalten wurde; die Grünen hatten angegeben, über die Hälfte des Waldes gerettet zu haben. Der Gewinn soll nach Angaben des Ökologen Gerhard Sardo in die Taschen eines »grünen Bankiers« und weiterer Parteimitglieder geflossen sein. Sardo sagt, dass der PV in seinen Statistiken anscheinend auch die Blumenkübel der Supermärkte und die Maniokplantagen mitgezählt habe, die auf den gerodeten Flächen entstanden sind.

Zweifel am ökologischen Engagement der PV haben auch zivile Umweltschützer wie Alcides Faria von der NGO Rios Vivos: »Das ist eine Partei ohne klare Programmatik und ohne Einfluss in der Bevölkerung. Sie hat nicht einmal annähernd etwas mit der Umweltbewegung zu tun.« Sie diene nur als Sprungbrett, um Ämter zu besetzen und Stadträte, Abgeordnete oder Bürgermeister zu wählen. Außerdem arbeite die Partei, abgesehen von der parteinahen Organisation OndeAzul, kaum mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und NGO zusammen. Sirkis erklärt demgegenüber, die Partei sei ein wahlpolitisches Instrument und dürfe nicht, der traditionellen linken Ideologie folgend, mit einer NGO verwechselt werden.

Ob die Zukunft der Grünen tatsächlich in den Stadträten oder der Bundespolitik liegt, ist ungewiss. »Seit die Arbeiterpartei weiß, wie man die Umweltfrage handhabt, verschlechtert sich die Situation für die Grünen immer mehr«, meint der Sozialwissenschaftler Cherubine. »Ohne bekannte Gesichter wie Gilberto Gil wäre diese Partei noch unbedeutender.«