Fahnenschändung

Der Missbrauch der israelischen Fahne für einen Szenestreit ist unangemessen und dient nicht dem linken Erkenntnisgewinn. von ivo bozic
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Ein Jahr nach dem Beginn des Irakkriegs gingen am letzten Wochenende Hunderttausende Menschen überall in der Welt auf die Straße, um gegen den US-Imperialismus zu demonstrieren. An Nationalfahnen war dabei kein Mangel. Ob in Kairo, Madrid, Bagdad, London, Rom, München oder Berlin: überall ein Meer von irakischen, palästinensischen, venezolanischen, kubanischen, baskischen Fahnen. Eine jedoch war nur brennend zu sehen: die israelische. Wenn deutsche Autonome behaupten, ihr Einwand gegen das Mitführen der israelischen Fahne auf linken Demos richte sich gleichfalls gegen jede Nationalfahne, so muss dies als billige Finte oder als dreiste Lüge bezeichnet werden. Es geht nur um eine einzige Fahne, die offenbar niemand auf einer Demo sehen will, und das ist die mit dem Davidstern.

Im Grunde ist der mitunter gewaltsam ausgetragene Flaggenstreit eine linke Sandkastendebatte auf erbärmlichem Niveau. Ausgelöst wurde er durch die Provokationen von Antideutschen, die teilweise auch Demos gegen den Sozialabbau durch Israel-Fahnen in den ersten Reihen zu funktionalisieren und politisch umzudeuten versuchten; aber auch durch antisemitische Linke, die sogar bei Antifa-Demos das Auftauchen der israelischen Fahne als Provokation bewerten und teilweise gegen sie handfest vorgingen. Es ist schändlich, dass die Fahne des jüdischen Staates für eine linke Szeneauseinandersetzung in Deutschland missbraucht wird. Schändlich von beiden Seiten.

Beim Streit um die israelische Fahne geht es nicht um irgendeine Nationalfahne. Die israelische Fahne steht nicht nur für den vor allem als Folge des Holocaust entstandenen Staat Israel, und schon gar nicht ist sie das Familienwappen Ariel Sharons. Sie steht auch und in diesen Zeiten vor allem für die Solidarität mit der unter einer ständigen terroristischen Bedrohung lebenden israelischen Bevölkerung, für ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und für den Kampf gegen Antisemitismus. Und nicht zuletzt ist der Davidstern auch Symbol für das Judentum. Wer in dieser israelischen Fahne eine Provokation sieht, gehört nicht auf eine linke oder antifaschistische Demo. Und wenn auf einer Antifa-Demo israelische Fahnen zerrissen werden, dann ist es selbstverständlich notwendig, die Antisemiten zurückzuschlagen. Es geht nicht darum, wie beim Kriegsspiel die Fahne zu verteidigen, wie es pathetisch einige Antideutsche fordern, sondern schlicht darum, gegen Antisemiten vorzugehen.

Gerade weil die israelische Fahne, wie Georg Seeßlen in dieser Disko-Reihe richtig bemerkte, nicht nur eine National-, sondern auch eine Meinungsfahne ist, stellt sich dringend die Frage nach der Meinung jener, die diese Fahne im Unterschied zu anderen so vehement ablehnen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Aversionen nicht nur gegen die aktuelle Regierungspolitik Sharons gerichtet sind, sondern dass schon der Anblick des Davidsterns die Halsschlagadern diverser rot oder brauner Judenfeinde anschwellen lässt.

Wenn ausgerechnet jene Antiimperialisten, die noch jede nationale Befreiungsbewegung unabhängig von ihrem emanzipatorischen Gehalt haben hochleben lassen, und die sich auch nicht am schwarz-rot-goldenen Rand der DKP-Fahne stören, jetzt ausgerechnet den antinationalen Linken vorwerfen, mit der israelischen Fahne Nationalstaaten zu verherrlichen, dann ist diese Argumentation an Scheinheiligkeit kaum mehr zu überbieten.

Doch so sehr die Angriffe auf die Fahne Israels und die Vorbehalte gegen sie auch zu verurteilen sind, so wenig bedeutet dies im Umkehrschluss, dass sie als Zankapfel auf jeder Demo mitgeführt werden muss. Wenn sich ein Demobündnis überlegt, welche äußere Form etwa eine Demo gegen Sozialabbau haben soll, damit die Inhalte möglichst deutlich sichtbar werden, dann ist es eine unzulässige Vereinnahmung der Demonstration und der DemonstrantInnen, wenn antideutsche Gruppen mit israelischen Fahnen in die ersten Reihen drängen. So geschehen bei einer Demo am 3. Oktober in Berlin im letzten Jahr. Initiatorin war damals die Gruppe Kritik & Praxis Berlin (kp-berlin). Damals verurteilten die Antifas der kp-berlin den Übernahmeversuch durch eine antideutsche Gruppe scharf. Nichts sei gegen das Mitführen von Israelfahnen einzuwenden, jedoch habe man im ersten Block andere Aussagen transportieren wollen, weshalb die Fahnen hinter dem Lautsprecherwagen besser platziert gewesen wären. Im Januar dieses Jahres in Hamburg wurde die kp-berlin dann wieder Opfer des Flaggenstreits, nur diesmal umgedreht. Diesmal warf man ihr vor, sich mit Israel-Fahnen in die Demospitze drängen zu wollen, woraufhin es zu einer handfesten Prügelei kam. Die kp-berlin führte zwar nicht einmal eine Israelfahne mit und versuchte auch nicht, an der Demo-Spitze zu laufen, doch einigen antiimperialistischen Hooligans im ersten Block reichten ihre anti-antideutschen Projektionen aus, um die vermeintlichen Freunde Israels zu attackieren.

Der Vorfall zeigt, zu welch absurden Auswüchsen dieser Streit zuweilen führt. Aber er zeigt auch das Niveau der Debatte. Die kp-berlin ließ sich – zumindest teilweise – auf die scheinheilige Argumentation des Hamburger Demobündnisses ein, nach der die Israelfahne nur in ihrer Funktion als Nationalfahne unerwünscht gewesen sei und erklärte nach dem Vorfall in Hamburg: »Des Weiteren finden wir es falsch, sich durch das Tragen von Nationalfahnen oder nationalen Symbolen politisch zu definieren. Unserer Meinung nach symbolisieren Nationalfahnen mehr als das, was deren Träger innerhalb der Linken in sie hinein interpretieren.« Womit bewiesen wäre, dass Schaden nicht unbedingt klug macht.

Ein Argument, das gerne für das Tragen von Israelfahnen angeführt wird, ist, dass eben jene Fahne eines der wenigen Symbole sei, die nicht von Nazis vereinnahmt werden können. Das ist richtig, und richtig ist auch, dass Antisemitismus eine der zentralen Säulen des deutschen Faschismus war und ist. Aber so wenig wie Antisemitismus den Rechten vorbehalten ist, so wenig basiert Faschismus ausschließlich auf Antisemitismus. Und so führt letztlich die Ablehnung des linken Antisemitismus bei einigen Antideutschen zur Anbiederung an die politische Rechte, zum Beispiel aus dem Hause Springer. So notwendig breite Bündnisse im Kampf gegen Nazis oder Antisemitismus manchmal sein können, so zeigt dies aber auch, dass die Israelfahne zwar kaum von Nazis vereinnahmt werden kann, aber eben auch kein linkes Symbol ist. Man kann eben auch mit Israel solidarisch und gleichzeitig ein übler autoritärer Reaktionär sein. Als Maßstab für die Gesinnung eines Menschen taugt sie eben nur sehr begrenzt. Man kann zwar eine politische Aussage über jene treffen, die Israelfahnen verbrennen oder verbannen wollen, aber kaum über jene, die eine Israelfahne tragen.

Vielleicht führt der absurde Fahnenstreit innerhalb der marginalisierten Linken am Ende sogar zu ernsthaften Konflikten. Etwa wenn jüdische Gemeinden gezwungen werden, sich zu der inflationären Benutzung der Fahne Israels durch antideutsche Linke zu verhalten. Damit könnte ein durchaus nahe liegender und an sich völlig unspektakulärer Interessenskonflikt verschärft werden, der alles andere als die Sache der deutschen Linken ist. Während der israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, die jüdischen Gemeinden aufrief, sich stärker für Israel einzusetzen, lehnen es Vertreter jüdischer Gemeinden zuweilen ab, ganz selbstverständlich die Rolle des Interessenvertreters Israels anzunehmen. Als in Bochum Mitte März Nazis gegen den Bau einer Synagoge auf die Straße gehen wollten, und Antideutsche zu einer Gegendemo aufriefen, bat die jüdische Gemeinde, auf Israelfahnen zu verzichten. Sie fürchtete eine Provokation. Allerdings fühlten sich nicht die Mitglieder der Gemeinde provoziert, sondern sie sorgten sich um die Zustimmung zu dem Bau der Synagoge. Man hat offenbar Angst, mühsam erarbeitete Sympathien in Deutschland durch eine zu positive Bezugnahme auf Israel zu gefährden. Dies spricht freilich vor allem gegen die antisemitische Stimmung in diesem Land. Wie ist es um eine Gesellschaft bestellt, in der Juden Angst haben müssen, die Unterstützung zu verlieren, wenn sie ein Banner mit dem Davidstern zeigen?!

Ist dies umso mehr ein Grund, die Fahne bei jeder Gelegenheit in den Wind zu halten? Nein. So selbstverständlich es sein sollte, die israelische Fahne nicht als Provokation zu verstehen, so selbstverständlich sollte es sein, sie nicht als bloße Provokation einzusetzen. Das Verhältnis der Linken zum Antisemitismus und zum Existenzrecht Israels muss nicht anhand ihres Verhältnisses zur israelischen Fahne ausgelotet, der Streit nicht mittels Symbolen geführt werden. Wer das betreibt, der will nur Bekenntnisse. Davon aber gibt es genug. Sie taugen nichts.