Body Count

Offensive gegen al-Qaida in Pakistan von jörn schulz

Stolze Stammeskrieger, die nach ihren eigenen Gesetzen leben und lieber sterben würden, als sich zu unterwerfen – die Federal Administered Tribal Areas (Fata) im Westen Pakistans gehören zu den wenigen Gegenden in der Welt, in denen Ethnoromantiker noch auf ihre Kosten kommen. Auch jetzt machen die »edlen Wilden« ihrem Ruf wieder alle Ehre. Um ihre Gäste, die Kämpfer der al-Qaida, zu schützen, liefern sie sich seit Wochen erbitterte Gefechte mit der pakistanischen Armee.

Bei seiner Offensive setzt das pakistanische Militär Artillerie, Kampfhubschrauber und Jagdbomber ein. Dennoch wurden 62 Soldaten getötet, die Verluste ihrer Gegner beziffert die pakistanische Regierung auf 60 getötete Islamisten. Am Sonntag sah sich die Armee sogar gezwungen, als Gegenleistung für die Freilassung von dreizehn Geiseln die Belagerung von zwei Dörfern aufzuheben.

Der Gleichstand beim body count ist sehr ungewöhnlich für einen »asymmetrischen Konflikt«. Für Präsident Pervez Musharraf könnte sich die Offensive zu einem Desaster entwickeln. Der Befehl zur Bombardierung des eigenen Landes harmoniert nicht recht mit den Bemühungen des Militärherrschers, sich ein ziviles und demokratisches Image zu geben. Die islamistische Opposition bezeichnet ihn als »Verräter am Islam« und »Lakaien der USA«. Ihre Gegenmobilisierung blieb jedoch schwach, mehr als einige Tausend Demonstranten konnten die Islamisten in keiner pakistanischen Stadt aufbieten. Gefährlicher ist für Musharraf die Unruhe in der Armee, denn noch immer bilden die Islamisten im Offizierskorps eine starke Fraktion.

Letztlich dürfte es der erdrückenden Übermacht der Armee gelingen, ihre Gegner zurückzudrängen. Der al-Qaida-Stratege Ayman al-Zawahiri hätte seinen bereits im September 2003 veröffentlichten Aufruf zum Sturz Musharrafs nicht noch einmal wiederholt, wenn die al-Qaida-Führung sich nicht bedroht fühlen würde. Was als schnelle Offensive geplant war, droht sich jedoch zu einem längeren Krieg zu entwickeln.

60 Prozent der Bevölkerung in den Fata leben unter der Armutsgrenze, nur sechs Prozent sind alphabetisiert. Die stolzen Stammeskrieger werden von einer Aristokratie beherrscht, die vom Schmuggel, Waffen- und Drogenhandel sowie der Erhebung von »Steuern« lebt. Jede gesellschaftliche Veränderung würde ihre Macht bedrohen. »Die so genannte Freiheit hat unsere Entwicklung verhindert«, urteilt der Fata-Politiker Abdul Latif Afridi. Wie andere Kritiker der Machtstrukturen in den Fata glaubt auch er, dass Reformen von der Bevölkerung befürwortet würden, wenn sie die Lebensbedingungen verbessern.

Doch trotz wiederholt angekündigter Reformpläne der Regierung ist wenig geschehen. Die Globalisierung hielt stattdessen in Gestalt der al-Qaida Einzug, die nicht nur die Aussicht auf 72 Jungfrauen bietet, sondern auch sehr weltliche Anreize, vor allem Geld und Geländewagen. Musharraf ist es, vermutlich mit ähnlichen Angeboten, gelungen, einen Teil der Aristokratie als Verbündeten zu gewinnen.

Die Zivilisten, die nun aus dem Kreuzfeuer fliehen, dürften für keine der beiden Seiten besondere Sympathien hegen. Die schlichte Rechnung, dass der »Krieg gegen den Terror« nur neue Terroristen produziert, ignoriert jedoch die Haltung der Bevölkerung. Die Pakistanis haben so reichhaltige Erfahrungen mit islamistischer und staatlicher Gewalt gemacht, dass sie sich nicht ohne weiteres für den Machtkampf zwischen der nationalistischen Militäroligarchie und der islamistischen Gegenelite einspannen lassen.