»Das Bündnis ist lebendig«

hans-jürgen urban vom Bundesvorstand der IG Metall über die Proteste am 3. April und die Perspektive der Gewerkschaften

Sind Sie zufrieden mit der Rolle der IG Metall in der Auseinandersetzung um den Sozialabbau?

Ja. Die IG Metall hat die einzelnen Maßnahmen intensiv diskutiert, und es gibt mittlerweile eine relativ klare, einheitliche Position. Wir lehnen zentrale Punkte der Agenda 2010 ab, weil sie weder Probleme lösen, die Beschäftigungskrise bekämpfen, noch die sozialen Sicherungssysteme sicherer machen oder die Haushaltskassen konsolidieren. Sie setzen ausschließlich auf eine Umverteilung von unten nach oben und sind ökonomisch auch noch kontraproduktiv. Diese Haltung hat sich in der IG Metall nach den Diskussionen durchgesetzt, und dementsprechend wird nun Politik gemacht.

Vor der Demonstration am 1. November in Berlin hatte man den Eindruck, die Gewerkschaften seien sich nicht sicher gewesen, ob sie dazu aufrufen sollten. Sie sind erst relativ spät auf den Zug aufgesprungen. Sind sie am 3. April leidenschaftlicher dabei?

Ich glaube, dass die Stimmung sehr gut ist und dass die Gewerkschaften als Sprachrohr der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer agieren, die sehr unzufrieden sind. Meinem Eindruck nach findet der Aufruf zum europäischen Aktionstag einen sehr positiven Rückhalt. Es ist in der Tat richtig, dass es eine Phase gegeben hat, insbesondere nach der Demonstration gegen die Agenda 2010 im Mai vergangenen Jahres, da man intern diskutiert hat, wie mobilisierungsfähig die Gewerkschaften in dieser Frage sind. Ich denke, das ist auch notwendig, weil es großen Einfluss auf die Politik, aber auch auf die weitere Entwicklung der Gewerkschaften hat, ob eine Mobilisierungskampagne funktioniert oder nicht.

Glauben Sie, dass der DGB-Vorsitzende Michael Sommer auch mit ganzem Herzen dabei ist? Er kündigte an, wenn die Bundesregierung die Zumutbarkeitsregeln für die Langzeitarbeitslosen nicht in Teilen zurücknehme, dann werde man »kampagnenmäßig den Druck erhöhen«. Kann man ernsthaft annehmen, dass die SPD irgendetwas zurücknimmt? Müsste man den Druck nicht sofort erhöhen?

Michael Sommer hat sich ja auf die Gesetze bezogen, die Ende vergangenen Jahres umgesetzt wurden. Die Zumutbarkeitsregeln waren ein Teil von Hartz IV. Sie waren sehr umkämpft. Wir waren ja einmal so weit, dass die Linke in der SPD-Fraktion gerade bei diesen Regeln eine Reihe von Änderungen durchgesetzt hat, die wir unterstützt haben. Etwa dass tarifliche oder ortsübliche Löhne bezahlt werden müssen. Das ist dann den Verhandlungen mit der Opposition zum Opfer gefallen.

Es gab Kritik aus dem Bündnis, das zu den Protesten am 3. April aufruft, weil der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm von der CDU in Köln als Redner auftreten soll.

Ich kann auf der einen Seite verstehen, dass es da Vorbehalte gibt. Man darf Norbert Blüm im Nachhinein selbstverständlich keinen Heiligenschein aufsetzen, wir erinnern uns, welche Politik er als Arbeitsminister gemacht hat. Andererseits, wenn man ein breites gesellschaftliches Bündnis will, dann gehören in dieses Bündnis auch sozialkatholisch orientierte Vertreter, und wenn die das, was wir kritisieren, ebenfalls kritisieren, sich für den Erhalt des Sozialstaates und ein Ende der Kampagne gegen die Gewerkschaften aussprechen, dann muss man darüber nachdenken, ob sie sich nicht auch beteiligen können. Diesen Spagat muss man aushalten.

Wenn man die neuen Konzepte der Union so ansieht, sollte Blüm dann nicht besser in seiner eigenen Partei Widerstand leisten?

Immerhin hat sich Norbert Blüm auf dem CDU-Parteitag eindeutig gegen die unsozialen Konzepte der Union in der Gesundheitspolitik, z.B. gegen die Kopfprämie, ausgesprochen. Das ist eine geradlinige Haltung, die auch vielen Vertretern anderer Parteien gut zu Gesicht stünde. Offensichtlich spricht Blüm nicht mehr für die Union. Deren Konzepte sind noch schrecklicher als das, was Rot-Grün gerade macht.

Wie fanden Sie die Regierungserklärung von Gerhard Schröder am vorigen Donnerstag? (Siehe Seite 8)

Es gab zwei, drei Stellen, die ich positiv fand, etwa bezogen auf die Ausbildungsumlage, er sieht ja offensichtlich ein, dass sie nötig ist. Es gab eine etwas vage, aber doch positive Stellungnahme zur Mitbestimmung, aber ansonsten war die Rede mehr als enttäuschend. Es gibt keine Umkehr in seiner Politik, keine Indizien für einen politischen Wechsel, den wir fordern. Insofern war das kein Schritt nach vorne.

Schröder verteilte recht heftige Seitenhiebe an die Gewerkschaften und sprach vom »Egoismus der Interessensgruppen«, von »Blockierern und Schwarzmalern«.

Er würde wahrscheinlich sagen, dass er alle Lobbygruppen gemeint hat und somit auch die Gewerkschaften. Aber das ist ja ein Teil des Problems. Die SPD und insbesondere der Kanzler setzen mittlerweile demokratische Massenorganisationen wie die Gewerkschaften mit der kassenärztlichen Vereinigung gleich. Da wird gar nicht mehr geschaut, wer welche Interessen vertritt.

Das Verhältnis der Gewerkschaften zur SPD ist ja relativ zerrüttet. Was halten sie von der Diskussion um die Gründung einer neuen linken Partei? Bei der »Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit« sind auch etliche Mitglieder der IG Metall dabei.

Die IG Metall ist eine Gewerkschaft, wir gründen keine Parteien und rufen auch nicht dazu auf, ein- oder auszutreten. Das entspricht nicht unserem Grundverständnis als Einheitsgewerkschaft. Das, was die Kollegen da machen, tun sie als Bürger mit politischen und sozialen Bürgerrechten. Man kann es unterschiedlich bewerten, wundern tut es mich aber nicht, dass zunehmend nach Alternativen gesucht wird. Das ist Ausdruck der tiefen Enttäuschung und Entfremdung der Arbeitnehmer von der SPD.

Meine Prognose lautet: Die SPD macht weiter mit dem des Sozialabbau, und die Gewerkschaften leisten letztlich keinen entscheidenden Widerstand.

Diesen Pessimismus teile ich nicht.

Wie könnte es nach der Demonstration am 3. April weitergehen?

Es wird jetzt darum gehen, dass dieses Bündnis, das sich bei dieser Aktion vielleicht festigt, sich weiter darüber verständigt, welche politischen Forderungen man vertreten will. Attac und die globalisierungskritischen Organisationen orientieren sich auf das Europäische Sozialforum und das Weltsozialforum. Es gibt den Perspektivenkongress im Mai, auf dem ebenfalls Gewerkschafter und Globalisierungskritiker gemeinsam inhaltlich diskutieren wollen. Die einzelnen Schritte werden sich im Diskussionsprozess ergeben müssen. Ich glaube, da entsteht ein sehr lebendiges Bündnis.

interview: stefan wirner