Gute Aussicht für die Elite

In das Staatsratsgebäude zieht die private European School of Management and Technology ein. Frei zugänglich ist es dann nicht mehr. von giuseppe pitronaci

Den besten Ausblick bot der zweite Stock. Aus einem riesigen Balkonfenster konnten die Besucher des Staatsratsgebäudes stundenlang auf das historische Zentrum Berlins blicken. Sie sahen den schlossfreien Schlossplatz, die darauf parkenden Autos, die Skyline rundherum und konnten sich einen eigenen Reim machen auf Berlins Mitte.

Bis vor kurzem war das möglich, im Rahmen von Ausstellungen. Aber die Ausstellungsstücke waren nebensächlich. Sie gingen fast unter in den großen, lichtdurchfluteten Räumen. Die Besucher betrachteten hier nicht eine Ausstellung, sie erlebten ein Gebäude. Großzügig, aber ohne Wucht ist das Treppenhaus, im eleganten Design der fünfziger Jahre. Die Treppe hinaufzugehen, war ein Erlebnis. Immer entlang des großen Fensterbildes mit den »Szenen aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung«. Oben konnten sich die Besucher in Sitzgarnituren fläzen oder den Blick aus dem Fenster genießen.

Es war ein privilegierter Blick, den früher Erich Honecker hatte. Denn für die Regierung der DDR wurde das Staatsratsgebäude 1964 fertiggestellt. In die Fassade eingefügt ist ein Portal des 1950 gesprengten Stadtschlosses, von dessen Balkon Karl Liebknecht am 9. November 1918 die sozialistische Republik ausrief. 30 Jahre später kam die DDR. Hinter dem Liebknecht-Balkon regierte ihre Führung, der Staatsrat. Die Bevölkerung durfte nicht hinein.

»Die Rückgabe des Ortes an die Bürgergesellschaft« empfahl eine »Expertenkommission«. Die Bundeszentrale für politische Bildung plante mit der Landesbibliothek ein öffentliches »Zentrum der Begegnung« im Gebäude, das dem Bund gehörte. »Das waren Empfehlungen«, sagt Helmut John, der Pressereferent des Bundesvermögensamtes. »Zu sagen: ›Da steht ein Gebäude rum, da gehen wir rein‹ – So kann man es nicht machen«, findet er.

Zumindest kommt es darauf an, wer so etwas sagt. Die European School of Management and Technology (ESMT) ist eine private Wirtschaftshochschule. Sie wurde 2002 als Stiftung gegründet von Daimler-Chrysler, der Deutschen Bank, der Allianz, dem Bundesverband der Deutschen Industrie und 21 weiteren Unternehmen und Verbänden, deren Ziel die »Weiterentwicklung der europäischen Management- und Führungskompetenz« ist. Dafür musste ein geeignetes Gebäude her. »Der historische Standort im Herzen von Berlin war und ist der ideale Platz für eine international ausgerichtete Business-Schule unseres Zuschnitts und Anspruchs«, erklärte Derek Abell, der Präsident der ESMT.

Gregor Gysi und Klaus Wowereit drangen darauf, das Staatsratsgebäude der Schule zur Verfügung zu stellen. Die Bedingungen stellten nicht die Politiker, sondern die Unternehmer. Die ESMT verlangte die kostenlose Nutzung des Gebäudes, sonst würde die Schule ihren Sitz in München nehmen, drohten die Gründer. Kein Problem, schließlich erwartet man von der ESMT wirtschaftliche Impulse zum Vorteil Berlins. Doch dafür musste das Land die Immobilie erst vom Bund kaufen. Der Wert von etwa 23 Millionen Euro wurde dabei durch Tausch und den gemeinsamen Verkauf von Immobilien verrechnet. »Uns ist im Prinzip egal, wer das Haus bekommt. Hauptsache wir bekommen den Gegenwert«, sagt John vom Bundesvermögensamt. An Kontroversen bezüglich der Nutzung kann er sich nicht erinnern. »Es sind alle glücklich darüber, dass jetzt die Schule kommt.«

»Gebaute politische Bildung« nannte Thomas Krüger von der Bundeszentrale für politische Bildung das Staatsratsgebäude. Bei der ESMT ist man sich der historischen Bedeutung des Hauses bewusst: »Wir werden es der Öffentlichkeit zugänglich machen«, sagt Thomas Schulz, der Pressereferent der ESMT. Doch dann folgt die Einschränkung: Ein Zugang nach Möglichkeiten soll es sein. Das Fensterbild werde man weiter betrachten können, aber von unten. Nur zu besonderen Anlässen wie »Tagen der offenen Tür« sollen Normalbürger die oberen Stockwerke betreten dürfen. »Der reguläre Universitätsbetrieb kann nicht durch die Öffentlichkeit gestört werden«, sagt Schulz und meint damit, dass weite Bereiche nur den Studenten zugänglich sein sollen. Er scheint noch nicht gehört zu haben, dass die Hörsäle an staatlichen Universitäten in der Regel auch Nicht-Studierenden offen stehen.

Doch die ESMT ist keine normale Universität. Wer sich hier ausbilden lassen will, muss 30 000 bis 50 000 Euro Studiengebühr im Jahr zahlen. Am 4. November übergab Wowereit den Schlüssel, die Sanierung soll bis Oktober 2005 abgeschlossen sein. Dann beginnt der reguläre Lehrbetrieb und, wie Schulz glaubt, die Belebung des Schlossplatzes. Schließlich soll die untere Etage weitgehend öffentlich zugänglich bleiben, mit Ausstellungen und einem Cafè.

Die Einnahmen durch die Verpachtung eines Cafés scheint die ESMT nötig zu haben. Zumindest könnte man das denken, wenn man Schulz zuhört. Stolz, fast empört, sagt er, dass die ESMT keinen Cent an öffentlichen Geldern erhalte. Erinnert man ihn daran, dass die Schule das Gebäude kostenlos zur Verfügung gestellt bekommt, so kontert er mit den 35 Millionen Euro Sanierungskosten, die die Stiftung trage: »Wenn Sie das kostenlos nennen?«

Berlin jedenfalls ist die Immobilien im Gegenwert des Staatsratsgebäudes los, das der ESMT in Erbbaurecht für 65 Jahre mietfrei zur Verfügung gestellt wird. Sollte das Haus nicht als Hochschule genutzt werden, kann Berlin die Rückgabe fordern oder verlangen, dass es von den Trägern der Eliteuniversität gekauft wird. Eine Rücknahme durch Berlin wäre angesichts der Haushaltslage wohl unwahrscheinlich. Eine Zweckentfremdung und der Kauf durch die Wirtschaftskonzerne könnten hingegen in deren Interesse sein: Ein paar Schritte entfernt in der Breiten Straße, im Haus der Deutschen Wirtschaft, residieren ohnehin schon die größten Wirtschaftsverbände der Republik.

Der rechtspolitische Sprecher der PDS, Michail Nelken, missbilligt, dass es gerade dieses Gebäude »in Eins-A-Lage« sein musste und dass eine Subventionierung durch das Land im Wert von 23 Millionen Euro erfolgte. »Wenn jemand Geld haben müsste, dann die kapitalschweren Großunternehmen«, sagt er. Schließlich bringe die Stiftung 80 Millionen Euro Stiftungskapital auf. Dass sie die Sanierung über Kredite finanziert und ihr Erbbaurecht beleiht, hält Nelken für wahrscheinlich.

Die Stiftung darf auch das Gelände hinter dem Staatsratsgebäude bebauen. Im Vertrag wird ihr eingeräumt, dass sie die neuen Gebäude zehn Jahre lang zweckfremd nutzen darf, also kommerziell. Dadurch dürfte sich der Einsatz der Stiftung noch weiter verringern.

Trotz alledem stimmte Nelken im Abgeordnetenhaus für den Handel mit der ESMT-Stiftung, wie alle außer den Grünen. Er wollte loyal sein gegenüber seiner Fraktion.

Das Staatsratsgebäude im Zentrum Berlins scheint prädestiniert zu sein, zum Nachdenken anzuregen: Darüber, wer in der Bundesrepublik das Erbe der DDR angetreten hat. Zu DDR-Zeiten konnten die Bürger den Karl-Liebknecht-Balkon nur von außen betrachten. Das wird auch künftig wieder so sein. Das Staatsratsgebäude hört nicht auf, ein Symbol zu sein.