Recht auf Dreck

Der Emissionshandel bedeutet das Ende eines wirkungsvollen Klimaschutzes. von heiko balsmeyer

Seit Wochen wird der Verteilungskampf um Emissionsrechte in den deutschen Medien zu einer Auseinandersetzung zwischen Wolfgang Clement (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) verharmlost. Wirtschaftsminister Clement vertritt danach vor allem die Interessen der Energieindustrie Nordrhein-Westfalens, während Umweltminister Trittin den internationalen Verpflichtungen im Klimabereich durch die Förderung der Wind- und Gasindustrie nachkommt.

Clement hält den Emissionshandel offensichtlich für überflüssig und stellt weitere zentrale Elemente der rot-grünen Energiepolitik in Frage. In einem Interview mit der Berliner Zeitung sagte er: »Ich will eine Prüfung aller Instrumente – Ökosteuer, Kraftwärmekopplungs- und Stromeinspeisegesetz –, allerdings erst, wenn der Emissionshandel erprobt ist und als Instrument des Wettbewerbs funktioniert.« Dagegen klärt Trittins Pressestelle die Öffentlichkeit über die finanziellen Vorteile des Abkommens für die Industrie auf: »Der Emissionshandel erspart der Industrie bei der Erfüllung ihrer Klimaschutz-Selbstverpflichtung bis zu 500 Millionen Euro im Jahr.«

Schließlich schaltet sich der Kanzler ein und weist auf seine Richtlinienkompetenz hin. Er spricht vom »Weg der ökologischen Modernisierung«, ohne in Details zu gehen. Vom Klimawandel und seinen Ursachen ist in dem medialen Schaukampf, wenn überhaupt, nur noch am Rande die Rede.

Das internationale Wissenschaftlergremium Intergovernmental Panel on Climate Change macht immer wieder darauf aufmerksam, dass eine drastische Reduzierung der Klimagase notwendig ist, um die Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlagen noch zu vermeiden. Für die Hälfte des Treibhauseffektes wird das Kohlendioxid (CO2) verantwortlich gemacht, welches bei der Verbrennung der fossilen Energieträger Öl, Kohle und Gas entsteht.

Das 1997 verabschiedete Kyoto-Protokoll sieht in den Jahren 2008 bis 2012 eine Reduktion des Ausstoßes der Klimagase im Vergleich zum Basisjahr 1990 vor. Die Industrieländer wollen zusammen um fünf Prozent, die Europäische Union will um acht und die Bundesrepublik um 21 Prozent reduzieren.

Ein verhältnismäßig ehrgeiziges Ziel, das sich Deutschland gesetzt hat, könnte man meinen. Doch in der Vergangenheit wurden schon straffere Zeitpläne beschlossen. Die Regierung Kohl strebte an, den Kohlendioxidausstoß schon bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu reduzieren. Dem schloss sich die rot-grüne Regierung in ihrer ersten Amtsperiode an. Als sich jedoch abzeichnete, dass die Umsetzung immer unwahrscheinlicher wurde, hörte man nichts mehr davon.

Angesichts der vom Intergovernmental Panel on Climate Change für notwendig befundenen Verringerung der Klimagase um rund 80 Prozent bis zur Mitte dieses Jahrhunderts sind die Ziele von Kyoto nur als vollkommen unzureichend zu bezeichnen. Dabei konnten sie noch nicht einmal eine internationale Rechtsgültigkeit erlangen, da ihre Ratifizierung durch Russland noch aussteht. Mit dem Kyoto-Protokoll wurde allerdings die neue Wunderwaffe in der internationalen Klimapolitik vorgestellt: der Emissionshandel.

Im Modell ist der Emissionshandel genial einfach. Jeder ökonomische Akteur, der legal Treibhausgase in die Atmosphäre entlässt, benötigt dafür ein staatlich anerkanntes Verschmutzungsrecht. Diese Rechte, auch Zertifikate genannt, werden auf dem Niveau des gegenwärtigen Verbrauchs ausgegeben und können gehandelt werden. Danach haben die Akteure bei Investitionen die Wahl, ob es für sie günstiger ist, für ihren zusätzlichen Bedarf weitere Zertifikate zu erwerben oder mit anderen Technologien zu produzieren, die weniger Kohlendioxid freisetzen.

Wichtigstes Ziel dieses ökonomischen Modells ist die Reduktion der Kosten für den Klimaschutz. Um die Klimagase zu reduzieren, soll die durch die Zertifikate erlaubte Menge allmählich sinken. Die Inhaber der Zertifikate dürfen also immer weniger Kohlendioxid ausstoßen, das Klima wird gerettet und das Happy End ist sicher. So weit das schlichte Modell.

Das Zerwürfnis zwischen Clement und Trittin bildet lediglich den Auftakt der praktischen Umsetzung des Modells in die triste kapitalistische Wirklichkeit. Mit der Richtlinie 2003/87/EG vom Oktober 2003 haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beschlossen, den Emissionshandel auf ihrem Territorium einzuführen. Bis zum 31. März sollten die Regierungen ihre so genannten nationalen Allokationspläne vorlegen. Darin werden die Reduktionsziele für Kohlendioxid in den gesellschaftlichen Bereichen Verkehr, Haushalte, Gewerbe, Energiewirtschaft und Industrie festgelegt und die Emissionsmengen konkret auf die vorhandenen industriellen Anlagen verteilt. Anfang 2005 soll auf dieser Grundlage der Handel mit Emissionsrechten in der EU beginnen.

Was Clement und Trittin ausfechten, ist der Kampf um die Erstausstattung mit Emissionszertifikaten. In Deutschland bekommen 2 300 Anlagen der Energiewirtschaft, der Grund- und Baustoffindustrie (Chemie, Stahl, Aluminium, Zement) Ausstoßmengen zugeteilt.

Die in den Zertifikaten festgelegte Menge soll dann jährlich um 1,5 Prozent sinken, wobei die Reduktionsrate, »Erfüllungsfaktor« genannt, selbstverständlich umstritten ist. Bereits erbrachte Reduktionsleistungen (»early actions«) sollen genauso Berücksichtigung finden wie die Stilllegung von Atomkraftwerken. Zusätzlich fordert der Bundesverband der deutschen Industrie einen Puffer, um bei Bedarf die zugelassene Menge ausdehnen zu können. Schließlich können die Unternehmen durch »Joint Implementation« und den »Clean Development Mechanism« Zertifikate im Ausland erwerben. Einen verringerten Ausstoß von Klimagasen in Osteuropa und in Entwicklungsländern können sich somit unter Umständen westeuropäische Unternehmen anrechnen lassen.

Die aus all diesen Möglichkeiten resultierende Überversorgung mit Zertifikaten sowie diverse Schlupflöcher, die die Regelung enthält, werden dafür sorgen, dass in Zukunft nicht weniger Kohlendioxid produziert wird. Die Funktion des Emissionshandels besteht lediglich in der Erhaltung der bestehenden Strukturen in der Energiewirtschaft und der Großindustrie.

Vermutlich wird das Ergebnis der gegenwärtigen Auseinandersetzung sein, dass die eingegangenen Verpflichtungen etwa im Jahr 2012 bereits als erfüllt angesehen werden. Der Rest, also die tatsächliche Reduzierung des Ausstoßes von Kohlendioxid, muss dann von den anderen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem von den privaten Haushalten sowie vom Verkehr, erbracht werden. Sollten auf internationaler Ebene keine weitergehenden Beschlüsse zum Klimaschutz gefasst werden, wird auch in einzelnen Ländern kein Fortschritt zu erwarten sein. Zugespitzt formuliert, ist der Emissionshandel das Ende der Klimapolitik. Und die Industrie kann damit noch Profite erwirtschaften.