Asyl auf der Straße

Österreich nimmt Flüchtlinge auf. Aber eine Unterkunft wird ihnen immer seltener gewährt. Etwa 700 Asylbewerber sind momentan obdachlos, und jeden Tag kommen 20 bis 30 hinzu. von amon brandt, wien

Wolfgang Schüssel verbürgt sich mit seiner Unterschrift für das Versprechen: »Mehr Zeit für unsere Kinder«. Zwei Kinder spielen dem Bundeskanzler einen Ball zu und er hechtet ihm entgegen. Diese Szene ist ein wenig träumerisch verschwommen und so kommt es, dass der Präsidentschaftskandidat Heinz Fischer von den oppositionellen Sozialdemokraten der Idylle nicht ganz traut: »Ehrlichkeit muss wieder in die Politik einziehen«, mahnt er daher auf der Plakatwand daneben.

Innerhalb des mit derartigen Wahlplakaten beklebten Hauses ist bereits Ehrlichkeit eingezogen: Mit 150 Flüchtlingen ist das Obdachlosenheim der evangelischen Diakonie in der Wiener Grimmgasse hoffnungslos überbelegt. Dreißig von ihnen müssen zum Schlafen mit dem Boden Vorlieb nehmen, einige sogar mit dem Kellergewölbe als Dach über dem Kopf.

Ein Mann stürmt auf uns zu. »Water, Water!« ruft er. Er weist händeringend auf seinen offenen Mund, dann dreht er pantomimisch an einem Wasserhahn. Petra Struber bringt ihn zu einer Wasserstelle. Er hängt sich unter den Hahn und lässt das köstliche Wiener Bergquellwasser in sich reinfließen, das schon seit Jahrhunderten aus den südlichen Gebirgen direkt in die Stadt gepumpt wird. So viel heimische Lebensqualität kann die Heimleiterin ihm bieten. Mehr nicht.

Auch ihm wird einer dieser Zettel in die Hand gedrückt, die überall aushängen und ausliegen. »Wir haben absolut keine Unterkunftsplätze«, Ausrufezeichen, »Bitte wenden Sie sich an« – und dann steht dort in großen Lettern: »Bundesministerium für Inneres«. Damit es keiner missversteht, ist das in fünf Sprachen abgedruckt. Dort kümmere sich ein Dr. Ernst Strasser um die Angelegenheit.

Der Innenminister sitzt in der Herrengasse direkt hinter der Wiener Hofburg in einem alten Metternich’schen Gebäude. Doch die Herren haben keine Almosen zu verteilen. Das weiß auch Petra Struber. Sie weiß, dass alle, die hier im Obdachlosenheim der Diakonie um Unterschlupf betteln, bereits im Innenministerium waren und von Strassers Beamten wieder hierher geschickt wurden. Nun werden sie postwendend zurückgesandt. Über 700 Flüchtlinge, schätzt Strubers Chef, der Diakoniedirektor Michael Chalupka, irren momentan zwischen Herrengasse und den Notunterkünften der Hilfsorganisationen ohne Obdach umher. Auch seine Kollegen von der Caritas haben keine Plätze mehr. Und täglich kommen 20 bis 30 Menschen hinzu.

Gottfried Köfner, Leiter des Wiener Büros des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), ist außer sich. Dass Asylbewerber in die Obdachlosigkeit gedrängt werden und damit »ein ordentliches Asylverfahren untergraben« wird, gebe es in keinem anderen europäischen Land. Doch Michaela Huber, die Pressesprecherin des Innenministeriums, gibt sich der Jungle World gegenüber unbeeindruckt. 11 000 Menschen seien in Bundesbetreuung. Mehr Platz gebe es nun mal nicht.

»Weihnachtsfrieden« haben der Innenminister und die wohltätigen Organisationen ihren winterlichen Pakt getauft, in dem sie sich darauf einigten, alles Mögliche und Notwendige zu tun, um in den kalten Monaten Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen zu verhindern. Damit ist es nun vorbei. Jetzt, folgt man der Diktion, herrscht wieder Krieg; ein Krieg, der im letzten Wahlkampf um den Nationalrat vor eineinhalb Jahren vom Innenminister selbst vom Zaum gebrochen wurde. Damals ließ er mitten im Winter die Bundesbetreuung für Flüchtlinge einschränken und schickte über Nacht hunderte Asylbewerber auf die Straße. (Jungle World, 43/02)

Den Wählern seines damals im innerparteilichen Chaos versinkenden rechtspopulistischen Koalitionspartners FPÖ machte er damit ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnten. Die Rechnung ging auf: Die Volkspartei wurde stärkste Kraft, die »Freiheitlichen« verloren gut zwei Drittel ihrer Wähler. Seinen damaligen Wählern fühlt sich der Innenminister seit der Erneuerung der schwarz-blauen Koalition verpflichtet.

Ausgesprochenes Ziel seiner Politik ist seither, Asylbewerber zur Aufgabe zu bewegen. Obdachlosigkeit wird zum Argument für die Sinnlosigkeit ihres Begehrens. Für die Betreuung der Asylbewerber entließ er die ihm zu weich erscheinenden kirchlichen NGO und engagierte die deutsche Organisation »Homecare«. Die Firma lobt sich selbst vor allem für ihre Überredungskünste, die sie rückkehrunwilligen Flüchtlingen angedeihen lässt.

Doch nicht nur den Atem der Wähler spürt der Innenminister im Nacken. Eine Brüsseler Richtlinie zwingt ihn im Zuge der Harmonisierung des europäischen Asylrechts dazu, bis zum nächsten Jahr die Versorgung aller Flüchtlinge mit lebensnotwendigen Gütern zu gewährleisten – ein Service, der in Deutschland seit langem eine gesetzliche Selbstverständlichkeit ist, in Österreich allerdings den Flüchtlingen bisher von jeder Regierung verwehrt wurde.

Strassers Absicht ist es offensichtlich, bis zum Stichtag die Flucht nach Österreich noch unattraktiver zu machen als einen Verbleib im Verfolgerland, um die Zahl der zu Bewirtenden zu senken. Doch weder Obdachlosigkeit noch die Überzeugungskraft der »Homecare« zeitigen eine Wirkung. Ganz im Gegenteil hat die Zahl der Asylbewerber sogar noch zugenommen. Auch dieses Phänomen hat eine europäische Dimension: War die Alpenrepublik bisher vorrangig Transitland für Ziele in anderen europäischen Staaten, schicken nun die umliegenden Staaten aus Österreich kommende Flüchtlinge einfach wieder zurück.

Die gesetzliche Neuregelung der Flüchtlingsbetreuung ist der neueste Streich des Innenministeriums. Um den EU-Normen zu entsprechen, werden drei Erstaufnahmeeinrichtungen nach deutschem Vorbild hergerichtet. Hier können Neuankömmlinge für einen Monat vom Bund untergebracht werden. Die Verantwortung für alles, was danach geschieht, wird auf die Bundesländer abgeschoben. Bis zum 1. Mai müssen Unterkünfte für Flüchtlinge gefunden worden sein – ein fast unmögliches Unterfangen, fürchtet Charitasdirektor Landau, denn um die Versorgung der Asylbewerber möglichst bürgernah zu handhaben, gewährt der Innenminister den Bürgermeistern ein Vetorecht. Diese sehen sich jetzt einer Unzahl an Bürgerinitiativen gegenüber, die sich gegen örtliche Unterkünfte sperren.

Richard Schadauer von der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie fordert die Lokalpolitiker dazu auf, sich nicht »von der menschenverachtenden Hetze extrem rechter Gruppen einschüchtern zu lassen«. Allerdings handelt es sich bei den Aufständischen zumeist um Gewerbetreibende im Bereich Fremdenverkehr, die befürchten, dass ihre zahlungskräftige Kundschaft durch finanzschwache Asylbewerber ersetzt werden.

Dass Fremdenverkehr auch unter diesen widrigen Umständen ein lukratives Geschäft darstellen kann, beweist das Haus in der Wiener Österleingasse. Der Keller wurde zeitweise von 60 Migranten bewohnt. Die Bewohner schliefen auf dem Boden und »hatten ein Loch im Boden, um zu scheißen«, beschreibt der Wiener Gemeinderat David Ellensohn die Zustände gegenüber der Jungle World. Der Grüne deckte Ende vergangenen Monats die Missstände auf. Elektrische Leitungen hingen offen von der Decke. Bis 20 Euro pro Tag wurden für die Beherbergung kassiert, sagen Bewohner aus. Von wem, ist noch unklar. Das Haus ist jedoch im Besitz des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters André d’Aron, dessen Freiheitliche Partei mit Strasser auf der Regierungsbank sitzt.