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Vor der roten Linie

Irak. Er ist umstellt, und seine Milizen hätten keine Chance im offenen Kampf mit der US-Armee. Dennoch wagt der islamistische Geistliche Muqtada al-Sadr viel. Eine Auflösung seiner bewaffneten Verbände komme nicht in Frage, erklärte er in der vergangenen Woche in der Freitagspredigt. Sadr verlässt sich darauf, dass die US-Truppen nicht wagen werden, sein neues Domizil, die den Schiiten heilige Stadt Najaf, zu stürmen. Ein Eindringen der Besatzer wäre das Überschreiten der »roten Linie«, drohte Ayatollah Ali al-Sistani, der einflussreichste schiitische Geistliche des Irak.

Harte militärische Maßnahmen würden noch mehr Iraker gegen die Besatzungsmacht aufbringen, Zugeständnisse an bewaffnete Aufständische würden diese zu weiteren Forderungen ermutigen. Konfrontiert mit diesem Dilemma, hat US-Präsident George W. Bush die Uno zu stärkerem Engagement aufgefordert. Der Irak-Beauftragte der Uno, Lakhdar Brahimi, reist derzeit durch die Welt, um über die Neuaufteilung der Einflussbereiche der kapitalistischen Großmächte nach der Übergabe der Souveränität an eine irakische Regierung am 30. Juni zu verhandeln. Europäische Politker wittern nun eine Chance, die USA auszubooten, und fordern, wie der deutsche Außenminister Joschka Fischer, eine neue UN-Resolution.

Gott gegen al-Qaida

Jordanien. »Göttlichen Schutz« vermutet König Abdullah hinter der rechtzeitigen Aufdeckung von Anschlagsplänen, die nach Angaben jordanischer Ermittler 20 000 Menschen das Leben hätten kosten können. Untersuchungsbeamte behaupteten in der vergangenen Woche, eine Ende März enttarnte islamistische Terrorzelle habe geplant, mit insgesamt 17,5 Tonnen Sprengstoff, einer »chemischen Bombe« und »tödlichem Gas« das Hauptquartier des Geheimdienstes, ausländische Botschaften und Regierungsgebäude anzugreifen. Die Verhafteten hätten gestanden, im Auftrage Musab al-Zarqawis gehandelt zu haben, der als ein führender al-Qaida-Kader gilt.

Wenn diese Angaben im Wesentlichen stimmen, wurde ein Enthauptungsschlag gegen die jordanische Regierung nur knapp verhindert. Der einkalkulierte Massenmord an Zivilisten entspräche der auch in Spanien angewendeten Strategie, die Bevölkerung durch exemplarische Gewalttaten zu einer Parteinahme gegen die Unterstützung der US-Politik zu zwingen. Jordanien gehört zu den wichtigsten Verbündeten der USA in der Region.

Auf der Liste

Sudan. Nicht nur am Hindukusch, auch in der Sahara muss Deutschland verteidigt werden. Bereits im Dezember 2003 befürwortete Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, einen Bundeswehreinsatz im Sudan. Was damals als grüner Übereifer erschien, könnte nun Realität werden. Der Sudan sei »auf der Liste der UN« für die Entsendung einer Friedenstruppe, erklärte Gustav Hagglund, der Vorsitzende des EU-Militärkomitees, und es gebe »keinen Grund, warum die EU nicht in den Sudan gehen könnte«.

Die Folgen der Kämpfe in der westsudanesischen Provinz Darfur werden von UN-Vertretern als eine der derzeit schlimmsten humanitären Katastrophen gewertet. Nach dem Inkrafttreten eines Waffenstillstandes am vorletzten Sonntag hat die Zahl der Angriffe von der Regierung unterstützter arabischer Milizen abgenommen. Die vereinbarten Friedensverhandlungen verzögern sich jedoch.

Tiger gegen Tiger

Sri Lanka. Wahlversprechen haben auch in den Tropen eine kurze Halbwertszeit. Man müsse den Gewerkschaften »die wirkliche Situation erklären« und klarstellen, »wie schwer es ist, alle Versprechen zu erfüllen«, sagte Premierminister Mahinda Rajapakse. Vor den Wahlen am 2. April hatte er den Staatsangestellten eine 70prozentige Lohnerhöhung zugesagt. Das Ausbleiben einer Friedensdividende nach der Vereinbarung eines Waffenstillstands mit der tamilischen Guerillaorganisation LTTE vor zwei Jahren war der wichtigste Grund für den Wahlerfolg der singhalesisch-nationalistischen Hardliner von SLFP und JVP. Sie werfen der bisherigen Regierung vor, der LTTE zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben.

Die LTTE ist durch die Abspaltung eines rebellierenden Kommandanten geschwächt, dem etwa 6 000 der 15 000 Kämpfer folgen. Bei den anhaltenden Kämpfen im Osten des Landes scheint die etablierte LTTE-Führung die Oberhand zu gewinnen. Doch die Organisation ist nicht nur militärisch geschwächt, auch ihr Anspruch, die einzige legitime Vertretung der Tamilen zu sein, ist nun weniger glaubhaft denn je. Das könnte die neue Regierung dazu verleiten, die der LTTE zugesagte Autonomie wieder in Frage zu stellen.

Uniformierte Vergewaltiger

Russland. Nachdem der 19jährige Student German Galdetskij in der Moskauer Metro unfreiwillig Zeuge einer Festnahme mit sexuellen Übergriffen auf eine junge Frau wurde, begann er, nach weiteren Betroffenen zu suchen. Das offenbar alltägliche Szenario beginnt mit einer Ausweiskontrolle unter dem Vorwand der »Prostitutionsbekämpfung«. Die jungen Frauen werden vor die »Wahl« gestellt, entweder mit den anwesenden Milizionären in eine Wohnung zu fahren oder eine Strafanzeige zu riskieren. Es folgen Einschüchterungsversuche, die bis zu Morddrohungen reichen.

Im Zuge seiner umfangreichen privaten Ermittlungen geriet German an die Chefin der für die Sicherheit innerhalb des Milizapparates zuständigen Abteilung. Sie versprach, Abhilfe zu schaffen. Wenig später fand ein Treffen mit Unbekannten auf einem brach liegenden Gelände direkt neben einem der belebten Moskauer Bahnhöfe statt, nach dem German mit einem Gummigeschoss in der Schläfe in eine Notfallklinik eingeliefert werden musste. Die zuständigen Sicherheitsbehörden lehnen eine Untersuchung hinsichtlich einer möglichen Beteiligung der Miliz an dem Mordversuch ab.