Revolte mit Mandaten

Bei den südkoreanischen Parlamentswahlen ist die linksaktivistische Demokratische Arbeiterpartei überraschend zur drittstärksten Kraft geworden. von christian karl, seoul

Wenn Wahlen etwas ändern würden … Auch in Südkorea würden viele diesen Slogan der Linken unterschreiben, wäre das Ergebnis der Parlamentswahl, die in der vergangenen Woche stattgefunden hat, anders ausgefallen. Am Donnerstag wählten die SüdkoreanerInnen die Abgeordneten für die Nationalversammlung und führten damit für koreanische Verhältnisse radikale Veränderungen herbei.

Die eindeutige Wahlsiegerin Uri-dang (Unsere Offene Partei) errang 152 der 299 Sitze in der Nationalversammlung und hat damit ihre Abgeordnetenzahl mehr als verdreifacht; sie unterstützt den vorläufig amtsenthobenen Präsidenten Roh Moo-hyun. Vor allem junge WählerInnen haben Uri-dang gewählt.

Daneben aber ist die linke Minju-nodong-dang (Demokratische Arbeiterpartei) die eigentliche Gewinnerin der Wahl: Sie erhielt 13 Prozent der abgegebenen Stimmen und ist damit zur drittstärksten politischen Kraft in Südkorea aufgestiegen. Während außer der liberalen Uri-dang alle anderen Parteien zum Teil herbe Stimmenverluste hinnehmen mussten, errang die Arbeiterpartei aus dem Stand zehn Parlamentssitze. Die Anzahl der Mandate der konservativen Grand National Party, die noch mit den Diktaturen in Verbindung gebracht wird, fiel von 137 auf 121.

Die Arbeiterpartei hat als erste explizit linke Partei in Südkoreas 50jähriger Parlamentsgeschichte den Einzug in die Nationalversammlung geschafft. Obwohl erst vor vier Jahren gegründet, hat sie gerade in den letzten Monaten an Popularität gewonnen. Der Grund für ihre guten Sympathiewerte vor allem bei StudentInnen, der ArbeiterInnenklasse und der Landbevölkerung liegt in der Politik der Regierung Roh.

Hatte Roh noch während des Wahlkampfes im vorletzten Jahr eine arbeiterfreundliche Politik versprochen, so hat er nach seiner Wahl im Dezember 2002 auf Repression gesetzt. Bereits vier Monate nach seiner Amtseinführung im Februar hetzte er 10 000 Anti-Aufruhr-Polizisten auf streikende Eisenbahnarbeiter. 1 700 wurden unter Anwendung massiver Gewalt auf dem Gelände der Yonsei-Universität in Seoul gejagt und festgenommen.

Hatte Roh noch während des Wahlkampfes versprochen, unter keinen Umständen einen zur damaligen Zeit noch geplanten Krieg gegen den Irak zu unterstützen, so erklärte er am Tag des Kriegsbeginns der verdutzten Öffentlichkeit, dass es im »nationalen Interesse« sei, südkoreanische Truppen zur Unterstützung der Okkupation zu schicken. Proteste gegen das Entsendegesetz ließ er im April letzten Jahres unterdrücken. Aus Protest gegen die repressiven Maßnahmen des Staatsapparates gegen die Aktivitäten der Gewerkschaften – immer wieder wurden und werden GewerkschaftsaktivistInnen verhaftet und nach Gesetzen, die noch aus Zeiten der Militärdiktaturen stammen, zu teils langen Gefängnisstrafen verurteilt – kam es im letzten Herbst zu einer Welle von Selbstmorden unter Gewerkschaftsführern.

So hat Rohs Politik zu einer gesellschaftlichen Polarisierung beigetragen, die der Demokratischen Arbeiterpartei zugute kommt. Diese verspricht mit ihrem Programm, aber auch mit ihren bisherigen Aktivitäten eine radikale Wende in der südkoreanischen Politik.

Als sie im Jahr 2000 vor allem von AktivistInnen der KCTU (Korean Confederation of Trade Unions) ins Leben gerufen wurde, wurde ihre Gründung in der südkoreanischen Öffentlichkeit noch mit einem müden Lächeln aufgenommen. »Vier Jahre später steht die Demokratische Arbeiterpartei an der Spitze aller Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung«, so die Parteiaktivistin Joh Ji-yeong, Studentin an der renommierten Ewha-Universität. In der Tat: Ob Anti-Kriegsbewegung, Aktivitäten zur Verhinderung von nuklearen Wiederaufbereitungsanlagen oder Arbeitskämpfe, es gibt nahezu keinen Bereich des sozialen Widerstandes, wo keine Mitglieder der Partei aktiv sind. Und viele AktivistInnen sind dazu auch noch relativ risikofreudig.

Doch gibt es in der südkoreanischen Linken auch eine gehörige Portion Skepsis, was eine mögliche zukünftige Entwicklung der Demokratischen Arbeiterpartei betrifft. »Genauso wie in der KCTU gibt es auch in der Arbeiterpartei zwei Flügel: einen rechten, nationalistischen und einen linken, internationalistischen«, so der renommierte radikale Videodokumentarist Lee Sang-hyeon. Er geht davon aus, dass es in der Folgezeit zu heftigen Machtkämpfen in der Partei kommen könnte und es nicht auszuschließen sei, dass die Partei eine ähnliche Entwicklung wie der brasilianische PT unter Präsident Lula nehmen könnte.

Unabhängig von ihrer zukünftigen Entwicklung wird die Demokratische Arbeiterpartei durch das gute Abschneiden bei der Parlamentswahl aufgewertet. Schon wird in den Medien vorhergesagt, dass wahrscheinlich viele Teilgewerkschaften, die heute noch in der unternehmerfreundlichen Dachgewerkschaft KFTU (Korean Federation of Trade Unions) organisiert sind, sich über kurz oder lang für den Wechsel zur militanten KCTU entschließen könnten. Das wiederum würde auch die Position der Arbeiterpartei stärken, wurde doch im unmittelbaren Anschluss an die Parlamentswahl ein Kooperationsabkommen zwischen der Demokratischen Arbeiterpartei und der KCTU abgeschlossen. In JoonAng Ilbo, einer bedeutenden konservativen Tageszeitung, war in der Ausgabe von Freitag zu lesen: »Die Demokratische Arbeiterpartei wird zu einem bestimmenden Machtfaktor werden.«

Kim Hae-kyeong, der Vizevorsitzende der Partei, sieht dagegen eher Schwierigkeiten auf die Partei zukommen: »Wir können nur Stimme der Bewegung auf der Straße im Parlament sein, aber danach sieht es derzeit nicht aus, denn es gibt keine Bewegung auf der Straße.« In der Tat ist beispielsweise die Anti-Kriegsbewegung beträchtlich dezimiert worden bzw. hat sich selbst dezimiert. Obwohl noch immer der Großteil der Bevölkerung gegen die Entsendung südkoreanischer Truppen in den Irak ist – derzeit sind 700 Angehörige unbewaffneter Verbände im Irak stationiert, die Regierung plant aber, im Juni zusätzlich mehr als 3 000 Angehörige bewaffneter Kampfeinheiten zu entsenden – gibt es nur minimale Ansätze einer breiten Widerstandsbewegung. »Und genau die ist notwendig, um unseren Bemühungen im Parlament einen Sinn zu geben«, sagte jedenfalls die Vizevorsitzende Kim Hae-kyeong in einer Diskussion mit StudentInnen.

Choi Yung-chan, Aktivist in der Jugendorganisation Daham-kke (Alle Gemeinsam), sieht daher in den nächsten Wochen die entscheidende Zeit für die Entwicklung einer effektiven Opposition. Er meint: »Wenn es uns in den nächsten Wochen gelingt, alle Kräfte zu mobilisieren, die gegen die Truppenentsendung sind, und wir die Verlegung verhindern können, dann haben wir einen ersten wichtigen Sieg errungen auf dem Weg zu einer freien, emanzipierten Gesellschaft.«