Viele Fronten, kein Kampf

Bei der Suche vieler Linker nach mächtigen Bündnispartnern gerät die soziale Befreiung in Vergessenheit. Doch nur eine linke Bewegung kann langfristig den rechtsextremen Terror stoppen. von jörn schulz

Früher war alles einfacher. Wenn der Staat in den siebziger und achtziger Jahren von »Terrorismus« sprach, war fast immer eine linke Stadtguerillagruppe gemeint. Wer nicht gerade Manager eines Rüstungskonzerns oder Politiker war, musste sich keine Sorgen machen und konnte bei Demonstrationen mit der Parole »High sein, frei sein, Terror muss dabei sein« durch die Straßen ziehen. Das war ein wenig pubertär, machte aber Spaß.

Kaum jemandem würde es Spaß machen, mit der Parole »Jetzt mal alle auf die Knie und gebetet wie noch nie« durch die Straßen zu ziehen. Eine Ausnahme dürften jene Antiimperialisten darstellen, die eine Front mit den Islamisten bilden wollen. So fordert Wilhelm Langthaler von der Antiimperialistischen Koordination »die Anerkennung des Islams als kulturelle Identität des Widerstands gegen den Imperialismus« und für den Irak ein Bündnis »aller im Widerstand befindlichen Kräfte einschließlich der Baathisten und Islamisten«.

Diese Position, die in etwas milderer Form auch von Organisationen wie Linksruck vertreten wird, ist eine Radikalisierung des militaristischen Antiimperialismus der achtziger Jahre. Die RAF meinte 1982, jeder »Abschnitt« im antiimperialistischen Kampf werde »aus seiner besonderen Entwicklung und seinen besonderen aktuellen und historischen Bedingungen wirklich zur Front, die den Imperialismus erschüttern kann«. Mit dem Verzicht auf eine gemeinsame politische Basis und dem kulturalistischen Verweis auf »besondere Bedingungen« wurde das Bündnis mit reaktionären Bewegungen möglich. Konsequenterweise lobte die RAF islamistische Attentate und Flugzeugentführungen als »objektiv antiimperialistich«. Heute glaubt Linksruck: »Wenn die Iraker die US-Armee zum Abzug zwingen, wäre das ein Sieg für die weltweite Antikriegsbewegung gegen die Weltherrschaft der USA.«

Der Antiimperialismus der achtziger Jahre konnte sich noch in der Illusion wiegen, dass reaktionäre Kräfte nur eine Randerscheinung im großen Ringen zwischen Imperialismus und Befreiung seien. Seit den neunziger Jahren aber wurde die Linke in den »nationalen Befreiungskämpfen« marginalisiert, häufig übernahm sie reaktionäre Positionen. Die Antiimperialisten wurden zu nützlichen Idioten rechtsextremer Bewegungen. Die Arbeiterkommunistische Partei des Irak sei ein »Herrschaftsinstrument der Besatzer«, meint Langthaler. »Da würde es nicht Wunder nehmen, wenn der Widerstand die AKPI angriffe.«

Während sich Antiimperialisten in antikommunistischen Gewaltphantasien ergehen, entdecken andere Linke ihre Liebe zur bürgerlichen Demokratie. Weiter verbreitet als die Ideologie der nationalreligiösen Front ist der Rückgriff auf die Volksfrontpolitik, das in den dreißiger Jahren von den stalinistisch geführten kommunistischen Parteien propagierte antifaschistische Bündnis mit bürgerlichen Kräften.

An diese Politik knüpft heute ein großer Teil der Antideutschen an. Gegen die Gefährdung der bürgerlichen Demokratie durch die »antisemitische Internationale« und den »Islamofaschismus« soll der liberale Flügel der westlichen Bourgoisie gestärkt werden, den man in den USA ortet. »Die Macht der USA, so viel ist gewiss, verbürgt derzeit die Aufrechterhaltung eines Restmaßes an instrumenteller Vernunft«, hieß es im Aufruf zur antideutschen kommunistischen Konferenz im vergangenen Jahr.

Dem in der deutschen Linken vorherrschenden Trend folgend, stützt man sich allein auf ein moralisches Urteil und verzichtet auf eine Untersuchung der Frage, ob die US-Politik tatsächlich die »instrumentelle Vernunft« aufrechterhält. Zumindest in diesem Punkt könnte der beliebte Vergleich mit der Bedrohung der Zivilisation durch den Nationalsozialismus erhellend sein. Denn die so genannte Appeasement-Politik war keine Folge pazifistischer Skrupel oder alteuropäischer Dekadenz. Bis 1938 war sich die westliche Bourgeoisie nicht sicher, ob sie mit der Sowjetunion gegen Hitler oder nicht doch lieber mit Hitler gegen die Sowjetunion ziehen sollte. Wäre der Kampf gegen den Nationalsozalismus allein der westlichen Bourgeoisie überlassen geblieben, würden wir heute alle mit »Heil Hitler« grüßen.

Im Kampf gegen den Rechtsextremismus kann die Zusammenarbeit mit unsymphatischen Zeitgenossen erforderlich sein. Doch nicht nur die gesellschaftliche Emanzipation, schon die Verteidigung oder, wie im Irak, der Aufbau der bürgerlichen Demokratie sind Aufgaben, an denen die kapitalistischen Staaten regelmäßig scheitern. Auch wer nur der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus sein will, muss in der Lage sein, den Patienten zum Schlucken bitterer Pillen zu zwingen.

Für die proamerikanischen Antideutschen muss der ohnehin überforderte George W. Bush jedoch sogar als Kühlerfigur der Freiheit herhalten. »Es ist kein Zufall, dass die Lesben- und Schwulenbewegung der Vereinigten Staaten die selbstbewussteste community auf diesem Planeten darstellt«, teilten uns queer.for.israel und die Bahamas-Redaktion im vergangenen Jahr mit. Jetzt, da Bush das Verbot der Homo-Ehe zum Wahlkampfthema gemacht hat, ist es merkwürdig still geworden in den Kreisen seiner antideutschen Verehrer.

Bushs moderner Konservatismus bemüht sich um eine interreligiöse Integration unter der Formel »Arbeit, Familie, Vaterland«. Diese Linie prägt auch die Außenpolitik, die das Bündnis mit kooperationswilligen Reaktionären sucht. Ungeachtet der neokonservativen Demokratisierungsrhetorik hofiert die US-Regierung islamistische Warlords und Geistliche, kooperiert mit nationalistischen Diktaturen und macht keine ernsthaften Anstrengungen zur Unterstützung säkularer Kräfte. Die Bedingungen, unter denen islamistische Milieus gedeihen, werden von der US-Politik mit geschaffen.

Das bedeutet noch nicht, dass wir bald alle auf dem Gebetsteppich hocken werden, wenn der Kampf gegen den islamistischen Terror allein den USA überlassen bleibt. Doch selbst wenn der »Krieg gegen den Terror« erfolgreich sein sollte, würde der Rechtsextremismus in aufstrebenden Nationalstaaten nur neue Formen annehmen. Da der Einsatz staatlicher Macht im globalen Wettbewerb noch immer ein entscheidender Faktor ist, werden sich immer wieder Fraktionen der Oligarchie und der Mittelschichten religiöser oder nationalistischer Ideologien bedienen, um sich ihren »Platz an der Sonne« zu erkämpfen.

Deshalb würden auch die von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem größten Teil der Friedens- und Antiglobalisierungsbewegung propagierte Vertiefung des »Dialogs« mit den Islamisten und die Erhöhung der Entwicklungshilfe Ussama bin Laden nur ein müdes Lächeln entlocken. Ein Stück vom Kuchen hat der Multimillionär längst, er will die ganze Bäckerei. Wie alle Rechtsextremisten werten auch die Islamisten Zugeständnisse als Schwäche und ein Zurückweichen als Ermutigung zu einer weiteren Offensive.

Für das »alte Europa«, das seinen Entwicklungshilfeetat kürzt und sich in seiner Verfassung zu ständiger Aufrüstung verpflichten will, können die Übereinstimmungen mit linken Ressentiments eine nützliche Legitimation werden. Unter antimilitaristischen Aktivisten scheint sich mehrheitlich eine Ablehnung der deutschen und europäischen Weltmachtpolitik durchgesetzt zu haben. Doch das »alte Europa« behält seine Anziehungskraft bis in die Kreise der radikalen Linken hinein, entweder als Objekt der Identifikation oder als »kleineres Übel«.

Wie die proamerikanische glaubt auch die proeuropäische Linke, dass die Gefährdung der Demokratie ein Bündnis mit bürgerlichen Kräften erfordert. Differenzen gibt es nur in der Rollenverteilung, der proeuropäischen Linken gilt Bush als größter Feind des Friedens und der Demokratie, und für die »Aufrechterhaltung eines Restmaßes an instrumenteller Vernunft« ist die EU zuständig.

Gemeinsam ist den proislamistischen, proamerikanischen und proeuropäischen Strömungen die Suche nach mächtigen Verbündeten, die der Linken aus der Patsche helfen oder ihr wenigstens ein Obdach für das Überwintern gewähren sollen. Während Antiimperialisten den islamistischen Terror als nützlich oder doch zumindest als gerechte Rache einer »gedemütigten Kultur« betrachten, erschöpft sich der Streit zwischen den linken Verteidigern der bürgerlichen Demokratie in der unergiebigen Frage, ob man die Islamisten lieber erschießen oder totreden soll.

Wer nicht wie ein bürgerlicher Politiker ständig Kompetenz und Handlungsfähigkeit simulieren muss, kann aber auch ehrlich zugeben, keine Patentlösung für das Problem des islamistischen Terrors und des Rechtsextremismus zu haben. Wahrscheinlich gibt es auch keine. Es ist offensichtlich, dass die westliche Militärmaschine gegen das dezentralisierte al-Qaida-Netzwerk wenig ausrichten kann, andererseits hätte ein Verzicht der USA auf die Invasion Afghanistans al-Qaida die ungestörte Durchführung womöglich noch blutigerer Anschläge ermöglicht. Wie bei der staatlichen Repression gegen andere Formen des Rechtsextremismus muss die Linke die Menschenrechte auch der Täter verteidigen, wenn es notwendig ist. Die Solidarität sollte allein den Opfern gelten.

Entscheidend aber ist die Frage, wie eine gesellschaftliche Gegenmobilisierung gefördert werden könnte. Die Linke steht vor dem Dilemma, dass der westliche Kapitalismus sich als unfähig zum nation building, zum Aufbau einer bürgerlichen Gesellschaft, erweist. Die sozialrevolutionären Kräfte sind zu schwach, als dass sie eine politische Entwicklung in Gang setzen könnten, die über die bürgerliche Demokratie hinausweist.

Auch für dieses Problem hat bislang niemand eine Lösung gefunden. In der antikolonialen Ära besorgten zumeist stalinistisch geführte Befreiungsbewegungen das nation building für den Kapitalismus, fast immer gegen den erbitterten Widerstand des Westens. Islamistische Warlords und ba’athistische Terroristen können diese Rolle nicht übernehmen. Nur eine linke Bewegung kann die Warlordisierung und den rechtsextremen Terror stoppen und den Weg zur sozialen Befreiung öffnen.