Klassik für Unerwünschte

Refugee Ticket Hotline

Kneipengespräche mit Leuten, die kurz zuvor einer gelungenen Kinovorstellung beiwohnten, nehmen häufig ein unbefriedigendes Ende. Zumeist wird einem nur die Rolle des stillen Zuhörers zugestanden, der sich stundenlang erzählen lassen muss, was er alles verpasst hat. Besonders anstrengend wird es, wenn man schlicht und ergreifend pleite war und sich die Eintrittskarte nicht leisten konnte. In solchen Fällen tritt man bei der ersten Atempause seines Gegenübers schlecht gelaunt den Rückzug an und lässt den Abend frustriert vor dem heimischen Fernseher ausklingen.

Langfristig ist solch ein Konsumverzicht schwer zu ertragen, und zwar nicht nur, weil das Fernsehprogramm so mies ist, sondern auch, weil heutzutage der Ausschluss vom kulturellen Leben die Teilnahme am sozialen Alltag erheblich schwerer macht.

Ende 2002 fand in der Berliner Volksbühne die Veranstaltung »Dienstleistungen an Unerwünschten« statt, die sich mit der Situation in Berlin lebender Flüchtlinge befasste. Viele Besucher bekamen dort von Aktivisten des Flüchtlingsrates, Sozialarbeitern und Anwälten zum ersten Mal zu hören, was sich hinter so abstrakten Begriffen wie Residenzpflicht verbirgt und welche Konsequenzen sie für Betroffene haben können.

Ungefähr 30 der Kulturschaffenden wollten nach der Veranstaltung nicht einfach wieder nach Hause gehen und überlegten, wie sie die Situation der »Unerwünschten« praktisch verbessern könnten. Einig war man sich darüber, keine neue Antira-Initiative gründen zu wollen, zumal den meisten der Beteiligten ohnehin kaum Zeit neben der Arbeit bleibt. Sie beschlossen, dass »das minimale Engagement wäre, die Durchlässigkeit der Institutionen, in denen wir arbeiten, nach außen zu erhöhen«, wie Hannah Hurzig erzählt. So entstand die Refugee Ticket Hotline (www.rth-berlin. org), die seitdem jeden Monat 250 Freikarten für kulturelle Veranstaltungen in Berlin für Flüchtlinge auftreibt.

»Das Ganze erforderte zunächst eine zweiwöchige Recherche, in deren Verlauf man die Veranstaltungsorte Berlins abklapperte, um nach bereitwilligen Ticketgebern zu suchen«, sagt Hurzig. Den kulturellen Institutionen, zu denen unter anderem das Cinemaxx, das SO36 und das Hebbel-Theater am Ufer gehören, wurde dabei klar gemacht, dass man sich nicht als Abnehmer von Restposten versteht. Um das kulturelle Angebot möglichst nahe an den Bedürfnissen der Kunden zu halten, gibt es mittlerweile zwölf Anlaufstellen für Interessierte. So stellte sich heraus, dass die Nachfrage von Ort zu Ort variiert und zum Beispiel »in Hohenschönhausen vor allem der Bedarf an Oper und Kino sehr groß ist, während man woanders eher klassische Konzerte bevorzugt«.

Die Refugee Ticket Hotline legt großen Wert darauf, lediglich als ein Dienstleistungsangebot für Menschen mit prekärem oder gar keinem Aufenthaltsrecht verstanden zu werden, denn für eine politische Initiative reiche das Engagement nicht aus. »Schließlich geht es normalerweise darum, dass die Leute ihren Pass und ihre Dokumente bekommen. Da ist ein kleiner Gutschein, den man gegen eine Theaterkarte eintauschen kann, ziemlich geringfügig.«

ove sutter