Weil sie eine Frau ist

Anders als die meisten Sozialdemokraten bleibt Gesine Schwan ihren Überzeugungen treu. Bundespräsidentin wird sie trotzdem nicht. von nicole vrenegor

Der Vorlauf zur Bundespräsidentenwahl am 23. Mai erinnert an einen guten Wrestlingkampf. Wer gewinnt, steht bereits fest, dennoch laufen die Kandidaten unermüdlich ihre Schaurunden, stets bemüht, ihrem Image in den Medien den letzten Schliff zu geben. Während Horst Köhler in den vergangenen Wochen seine Kernqualifikation »Ökonom« mit einer Prise Bürgernähe zu würzen versuchte, kämpft Gesine Schwan gegen ihr Image als Zählkandidatin und Quotenfrau.

Gesine Schwan ist, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder beteuert, die »wirklich erste Wahl«, schließlich will er sie nicht in ein völlig aussichtsloses Rennen um das höchste Staatsamt geschickt haben. Die Zeit sei schließlich reif für eine Frau an der Spitze, verkündet die Führung der SPD einstimmig. Auch die Kandidatin selbst zeigt sich optimistisch, dass sie in der Bundesversammlung die notwendigen Stimmen der Union und der FDP einfangen könne, nicht zuletzt »auch, weil ich eine Frau bin«.

Seit ihrer Nominierung Anfang März tourt die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina durch die Republik, um sich als Bundespräsidentin anzubieten. Trotz zahlreicher Interviews bleibt die Person Schwan samt ihrer fachlichen Qualifikationen auffällig blass. Dabei gilt die 60jährige Wissenschaftlerin als äußerst temperamentvoll und streitbar. Sie ist eine Frau mit Prinzipien. »Ich war stets Antikommunistin und werde es auch bleiben«, lautet eine ihrer Grundüberzeugungen.

Im Jahr 1970 trat sie in die SPD ein. Dort legte sie sich mit den jungen Parteilinken der 68er-Bewegung an, zu denen auch Gerhard Schröder gehörte. Sie engagierte sich für die Nachrüstung der Nato und die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen und warnte vor einer Zerfaserung der SPD am linken Rand.

In ihrer wissenschaftlichen Karriere beschäftigte sie sich mit Fragen des Marxismus und Sozialismus, 1975 habilitierte sie über die »Gesellschaftskritik von Karl Marx«, 1977 bekam sie einen Ruf als Professorin für Politikwissenschaft an die FU Berlin.

Als sie in einem Artikel die Entspannungspolitik des damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt gegenüber den Ostblockstaaten scharf kritisierte und ihm vorwarf, er würde »den Gegensatz zwischen Demokratie und Diktatur als reine Theorie bagatellisieren«, wurde es den Genossen dann doch zu bunt. Sie wählten Schwan 1984 als Mitglied der SPD-Grundwertekommission ab. Im Gegensatz zu ihrem 1989 verstorbenen Ehemann Alexander Schwan, der die SPD verließ und in die CDU wechselte, blieb sie ihrer Partei treu. Über die damaligen Differenzen gehen die von kommunistischen Flausen befreiten SPDler heute augenzwinkernd hinweg. Schröder habe ihr, erzählt die Kandidatin Schwan, unlängst gesteckt: »Du hast dich weniger ändern müssen als ich.«

Und so ist es auch kein Wunder, dass die zum konservativen Flügel der SPD gerechnete Politologin seit 1996 wieder in dem Grundwertegremium, das die ideologische Ausrichtung der SPD festlegt, mitmischen darf. Insgesamt hat sich ihr Antikommunismus bei gleichzeitigem Ausharren in der SPD also doch ausgezahlt. Sie ist eine Kandidatin, die, zumindest theoretisch, für die bürgerliche Mehrheit der Bundesversammlung wählbar wäre. Im Hinblick auf mögliche Wackelkandidaten in der Union und der FDP plädierte sie dafür, die Parteidisziplin Parteidisziplin sein zu lassen, schließlich gebe es noch andere Werte und Ziele.

Doch für welche Werte und Ziele steht Schwan eigentlich? Schaut man die Interviews, die die Professorin in den vergangenen Wochen gegeben hat, unter dem Gesichtspunkt des am häufigsten benutzten Wortes an, fällt der Begriff »Vertrauen« auf, den sie fast inflationär benutzt. »Meine Botschaft ist: Vertrauen schaffen«, sagt sie, denn »Vertrauen steigert die Lösungsfähigkeit von Systemen«. Sie hat »Vertrauen in die Welt« und »Vertrauen gründet sich bei Personen auf deren Wahrhaftigkeit und Kompetenz«.

Wer dagegen Vertrauen kaputt macht, bekommt es mit ihr zu tun. So sagte Schwan unter anderem in der FAZ über die Präsidentin des »Bundes der Vertriebenen«, Erika Steinbach: »Durch das Auftreten von Frau Steinbach ist viel Vertrauen zerstört worden.« Schwan bescheinigt Steinbach, sie sei unfähig, das Vertreibungsschicksal der Deutschen in den Kontext des Zweiten Weltkrieges zu stellen. Als »empörend« kritisierte sie die Äußerung Steinbachs, dass sie nun bereit sei, den Polen die Hand zur Versöhnung zu reichen. In klaren Worten bezieht Schwan auch Stellung gegen das »Zentrum gegen Vertreibung«, das in seiner einseitigen Dokumentation der deutschen Vertreibung vor allem für die polnischen Nachbarn eine Provokation sei. Wie wenig selbstverständlich die eindeutige Positionierung gegen die revisionistische Hetze der Vertriebenenverbände ist, zeigt die Tatsache, dass Erika Steinbach Anfang April im Deutschlandfunk zur Kritik Schwans Stellung beziehen und dort weiter darüber schwadronieren durfte, dass die deutschen Vertriebenen lediglich Opfer Hitlers gewesen seien.

Das deutsch-polnische Verhältnis liegt Schwan bereits seit den siebziger Jahren am Herzen. Sie lernte Polnisch, promovierte über den Philosophen Leszek Kolakowski und knüpfte in den achtziger Jahren Kontakte zur polnischen Gewerkschaft Solidarnosc. An der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, der sie seit 1999 als Präsidentin vorsteht, ist etwa ein Drittel der Studierenden polnischer Herkunft. Zudem gibt es ein gemeinsames Institut mit der Universität Poznan. Nicht nur in Bezug auf die Debatte um das »Zentrum gegen Vertreibung« bemängelt sie die Ignoranz der Deutschen, »die sich für die Polen nicht so interessieren wie umgekehrt die Polen für die Deutschen«.

Trotz intensiver medialer Imagepflege ist und bleibt Gesine Schwan eine Außenseiterkandidatin bei der Wahl zum Bundespräsidenten. Gegenüber der Passauer Neuen Presse fasste sie ihre Pluspunkte prägnant zusammen: »Ich kenne den Osten, bin eine Frau, habe mich in Europa und den USA umgetan.« Der Einladung »wählt Gesine« werden aller Voraussicht nach nicht allzu viele aus dem konservativ-liberalem Lager folgen. Da helfen auch kein Antikommunismus, kein Osteuropa-Engagement und kein internationales Profil. Allenfalls dürfte die Tatsache, dass sie eine Frau ist, ihr Stimmen verschaffen – und sei es auch nur, um eine andere Frau um einen anderen Posten zu bringen.