Beschleunigung der Politik

Terror war bisher immer dann erfolgreich, wenn er sich institutionalisiert hat. Der islamistische Terrorismus ist Teil der Machtkämpfe innerhalb der arabischen Eliten. von felix klopotek

Terror ist Ausdruck von Schwäche. Sie wird umso mehr kaschiert, je brutaler sich der Terror äußert. Schwäche ist das Element, das den unterschiedlichsten Akten terroristischer Gewaltausübung gemeinsam ist, egal ob es sich um Gewalt von links, Gewalt von rechts, Staatsterrorismus, religiösen Terror oder Terror in Bürgerkriegen handelt.

Der Terrorismus erlebt seine erste Hochzeit Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Staatsoberhäupter, Spekulanten und Könige werden gleich reihenweise erschossen oder in die Luft gesprengt. Paris wird 1892/93 von einer regelrechten Terrorwelle erschüttert. Man schreibt den Terror den Anarchisten zu und ihrer »Propaganda der Tat«. Wer sich die Biographien der Attentäter ansieht, entdeckt alte Pariser Kommunarden, die nach Jahren der Strafarbeit und der Verbannung hasserfüllt in die bürgerliche Welt zurückkehrten. Ihre soziale Bewegung war zerfallen, es blieb die individualistische Revolte. Der Terror ist hier Restprodukt einer zerstörten sozialen Bewegung. Ein Akt der Rache und der Verzweiflung.

Der Terror hat nur dann eine Chance, wenn er sich institutionalisieren kann, wenn er seine Schwäche kompensiert durch eine soziale Bewegung. Die Eta hat sich ein weit verzweigtes legales Netzwerk geschaffen, die PLO wollte Staat werden, korsische Separatisten sind zu einer Art Mafia mutiert und haben sich in stabile Geldkreisläufe eingeklinkt. Auch die RAF hat sich auf ihre Weise zu institutionalisieren versucht: Sie sah sich als Bestandteil eines weltweiten Klassenkampfes, als verlängerter Arm trikontinentaler Befreiungsbewegungen.

Man muss den Terroristen freilich nicht erst den Ratschlag erteilen, sich zu institutionalisieren. Der Terror neigt von sich aus dazu. Weniger aus dem Grund, weil die Terroristen um ihr Leben fürchten und sich deshalb in Institutionen flüchten – Terroristen dürfen sich nicht für das Prekäre und Haltlose ihrer Position interessieren. Vielmehr ist es so, dass die Terrororganisationen selbst Staaten sind, Gegenstaaten. Sie bestreiten dem Staat das Gewaltmonopol, setzen sich selbst als souverän, entscheiden über Recht und Unrecht und wollen gegen den bürgerlichen Staat die Gesellschaft ihrem Standpunkt unterwerfen. Man denke nur an das »Volksgefängnis«, in dem Hanns-Martin Schleyer saß. Oder an die Parole: »Dem Volk dienen.« Wo doch schon Schmidt und Kohl dem Volk gedient haben. Weil der Terrorismus nicht über die militärische und soziale Potenz verfügt, das feindliche Gegenüber zu kippen, und der Staat den Terrorismus bis ins Letzte auch nicht tilgen kann, ist Institutionalisierung, inklusive Legalisierung, Amnestie und (teilweisem) Gewaltverzicht, der günstigste Kompromiss.

Anders verhält es sich in zerfallenden Staaten, dann werden Terroristen im Kosovo zu einer Partisanenarmee, die international unterstützt werden muss. Oder ein Bürgerkrieg bricht aus, der Terror geht in Krieg über und die staatliche Gewalt in Terrorismus.

Staatsterrorismus existiert natürlich auch, aber in der Regel auf niedriger Ebene, etwa in Form von britischen Polizeieinheiten, die nordirische Katholiken in die Mangel nehmen. Staatsterrorismus fliegt fast immer auf. Er hat für die bürgerliche Demokratie die Funktion einer Katharsis. Voller Ekel zeigt die Opposition auf die Verfehlungen des Innenministers und nimmt gegen die marodierenden Polizeieinheiten die Demokratie, »unseren Rechtsstaat«, in Schutz. Deshalb liegen die Verschwörungstheoretiker, die beispielsweise glauben, beim Kennedy-Mord werde etwas verheimlicht, falsch. Es gibt ein Interesse an Vertuschung, es gibt aber ein ungleich stärkeres an inszenierter, moralisch betroffener Aufklärung. Natürlich existier(t)en Staaten, die den Terror auf höchster Ebene sanktionieren. Der Faschismus ist institutionalisierter Terror – rechter Terror – als Staatsform. Aber der Faschismus ist eine instabile, schwache Staatsform. Er verdankt seine Machtergreifung der Krise der bürgerlichen Gesellschaft (nicht ihrer Beseitigung durch die Revolution), die er in permanenter innerer Mobilisierung der Bevölkerung zur Volksgemeinschaft und nach außen in imperialistischen Kriegen zu transformieren sucht, »bis alles in Scherben fällt«. Antonio Gramsci nannte dies, in Mussolinis Kerker gesperrt, die »Beschleunigung von Politik«.

Aber sind die hier entwickelten Kategorien des Terrors nicht Makulatur? Erfassen sie nicht allenfalls den historischen Terrorismus? Wie soll denn al-Qaida in dieses Schema passen? Al-Qaida – oder welches Mörder-Netzwerk auch immer an ihre Stelle getreten ist – ist Ausdruck einer spezifischen Form des Staatsterrorismus. Es handelt sich um eine Form von Gewaltausübung durch Eliten in überwiegend arabischen Ländern, die zu schwach sind, das jeweils herrschende Regime zu stürzen, die aber trotzdem über beste Verbindungen zu den Machthabern verfügen. Halb integrierte Cliquen in bestenfalls oberflächlich bürgerlichen Staaten. Bin Laden ist dafür das beste Beispiel.

Natürlich: der Angriff auf die Twin Towers war antisemitisch und antiamerikanisch motiviert. Aber gleichzeitig war er auch Ausdruck der tiefen, lähmenden Krise der arabischen Staaten. Die letzten 20 Jahre waren geprägt von niederschmetternden Niederlagen für die Islamisten, ohne dass sich auch nur irgendetwas in diesen Staaten geändert hätte. Die Islamisten haben nicht die algerischen Machthaber stürzen können, nicht die ägyptischen, nicht die saudi-arabischen und erst recht nicht Saddam Hussein. Sie haben in Pakistan Fuß gefasst, haben aber dort immer noch große Teile des Militärs gegen sich, und Afghanistan war schon vor der Herrschaft der Taliban, die sich immer auch mit Clanchefs arrangieren mussten, eine Ruine.

Was blieb, war die Herausforderung der USA, die – so vermutlich das Kalkül von Mohammad Attas Auftraggebern – ihrerseits mit einem Angriff auf einen arabischen bzw. islamischen Staat reagieren, was dann den Aufstand der arabischen Massen auslösen sollte, der schließlich die USA, Israel und vor allem die verhassten Ölscheichs und Feudalherren im eigenen Land fortspült.

Eine gewagte Rechnung, die nicht aufgegangen ist und wohl auch nicht aufgehen wird. Die Amerikaner und ihre Verbündeten im Irak sind wohl durchweg unbeliebt, aber nur wenige Iraker lassen sich zu sunnitischen, schiitischen oder ba’athistischen Riots hinreißen. Auch hier gilt: Das Grauen der Autobomben und Selbstmordanschläge soll die Schwäche verdrängen, die USA nicht zum Rückzug bewegen zu können. Umgekehrt ist die Folter, die in amerikanisch kontrollierten Knästen verübt wird, nicht der Ausdruck grenzenloser Macht. Sondern Ausdruck der Unfähigkeit, mit anderen Besatzungsstrategien das Land zu befrieden.

Der klassische Terror lebt von der Konfrontation Staat versus Gegenstaat wie die IRA (das ideale Gesamtirland repräsentierend) gegen die britische Krone. Diese Konfrontation ist an den bürgerlichen, (halbwegs) demokratischen Staat gebunden. Die Macht, die hier vereinigt ist, gilt es zu bewahren oder zu stürzen. Anders der Terror in den arabischen Staaten, die zu schwach, zu korrupt und vom Westen zu abhängig sind, um ein ordentliches Staatsverhältnis aufzuziehen – Stichwort: Ölstaaten.

In einem Papier der Münsteraner Gruppe Destruktive Kritik heißt es treffend: »Schon der Name verrät, dass der Reichtum dieser Sorte Staaten vorwiegend darin besteht, dass sie über einen speziellen Stoff verfügen. Und dass sie diesen anderswohin verkaufen müssen, um an Geld zu kommen. Dass diese Ware also nicht bei ihnen selbst zur Reichtumsvermehrung verwandt wird und beiträgt, sondern nur als Mittel der Reichtumsproduktion anderswo dient.« Es fällt nicht schwer, von dieser ökonomischen Abhängigkeit auf die politische Schwäche, die »Unterentwicklung« des jeweiligen Ölstaates zu schließen: Nur ein selbstbewusstes, unabhängiges Bürgertum stellt einen starken Staat auf die Beine.

In diesen Staaten, die noch zu stark sind, um in den Verfall überzugehen, vermischen sich stattdessen Staat und Gegenstaat, »Terror von oben« und »Terror von unten«. Terror wird zu einem Teil der Machtkämpfe innerhalb der Eliten, die auch immer wieder – über antiamerikanische, antiisraelische und radikal-islamische Mobilisierungen – mal erfolgreich, mal weniger erfolgreich die Bevölkerung zu involvieren versuchen.

Was folgt aus dieser Bestimmung des Terrors für die Linke in den Metropolen? Vor allem Selbstkritik: Selbstkritik gegenüber dem Liebäugeln damit, ob der Terror in New York, Madrid, Tel Aviv oder die Autobomben in Bagdad nicht vielleicht doch etwas mit dem Aufstand der Gedemütigten zu tun haben. (Um es noch mal deutlich zu machen: mag sein, dass bin Laden & Co. »Gedemütigte« sind, aber nicht von den USA und auch nicht von Ariel Sharon, sondern in erster Linie von der Herrscherclique im eigenen Land, an deren Stelle sie gerne wären.) Selbstkritik aber auch gegenüber der Beschwörung der Apokalypse der »globalisierten Intifada« und der antiimperialistisch-islamistischen Zersetzung des Westens. Wer auf die Apokalypse starrt, der sehnt sich, mag er sich darüber im Klaren sein oder nicht, nach der liberalen Wertegemeinschaft samt ihrem bürgerlich-demokratischen Staat. Den ganz normalen Terrorismus inklusive.