»Wir sind gegen alle illegalen Milizen«

Dhia al-Dabbass

Dhia al-Dabbass ist der für Deutschland und Österreich zuständige Sprecher des Hohen Rats der Islamischen Revolution (Sciri), der neben der Da’wa die bedeutendste schiitische Partei im Irak ist. In der vergangenen Woche kehrte er von einer Reise in den Irak zurück. In Najaf, wo die Milizen des radikalen Islamisten Muqtada al-Sadr aktiv sind, traf er u.a. mit dem führenden schiitischen Geistlichen Ayatollah Ali al-Sistani zusammen. Mit Dhia al-Dabbass sprach Thomas Schmidinger.

Wie sieht es denn zur Zeit in Najaf aus?

Muqtada al-Sadr hält sich mit seinen Leuten weiterhin in der Moschee Imam Ali auf, die er besetzt hält. Sonst ist die Lage in der Stadt aber ruhig. Der Großteil der Bevölkerung hat dem Aufruf Ayatollah Ali al-Sistanis Folge geleistet und die Ruhe bewahrt. Ayatollah Sistani lehnt den Aufstand al-Sadrs ebenso ab wie unsere Partei oder die Da’wa. Al-Sadr scheint heute viel isolierter zu sein als vor dem Aufstand. Im ganzen Land ist seine Bewegung zerschlagen. Außerhalb der Moschee Imam Ali in Najaf sind keine Aktivitäten al-Sadrs und seiner Milizen zu beobachten.

Wer übt denn nun die Macht in Najaf aus? Die Besatzungstruppen haben sich ja aus der Stadt zurückgezogen.

Die Badr-Brigaden unserer Partei und die irakische Polizei.

Sowohl Sciri und die Da’wa als auch Sistani haben sich gegen al-Sadr ausgesprochen. Trotzdem scheint niemand tatsächlich gegen al-Sadr und seine Bewegung aktiv geworden zu sein. Zumindest in europäischen Medien sieht es so aus, als würden sich die gemäßigten schiitischen Parteien und die Mehrheit der schiitischen Bevölkerung einfach aus dem Konflikt heraushalten und abwarten.

Vordergründig mag das so aussehen, aber wir sind gegen alle illegalen Milizen. Die Bevölkerung fürchtet sich vor allem vor einem Bürgerkrieg. Niemand will einen offenen Bürgerkrieg mit al-Sadrs Anhängern riskieren. Daraus resultiert auch die vordergründige Zurückhaltung der Geistlichen und der politischen Parteien. Wir setzen jedoch alles daran, Muqtada al-Sadr zur Aufgabe zu bewegen und den Konflikt friedlich beizulegen.

Bedeutet das dann nicht, dass es de facto den Besatzungtruppen überlassen bleibt, al-Sadr zu bekämpfen?

Nein, denn wir arbeiten massiv gegen seine Bewegung. Wir konzentrieren unsere Bemühungen aber auf die politische Arbeit und nicht auf die militärische Bekämpfung Muqtada al-Sadrs. Sie müssen auch sehen, dass es in der Bevölkerung mittlerweile eine große Unzufriedenheit mit den Unruhestiftern von al-Sadr gibt. Die Leute hier wollen nach 35 Jahren ba’athistischer Diktatur nun in Ruhe und Frieden leben und nicht erneuter Repression und Gewalt ausgesetzt sein. Wir versuchen nun gemeinsam mit der irakischen Polizei und den schiitischen Stämmen, al-Sadr zur Aufgabe zu überreden. Wenn das nicht gelingt, dann werden wir andere Wege finden müssen.

Welche Rolle spielt ihrer Ansicht nach Sistani in der derzeitigen Situation?

Ayatollah al-Sistani ist ein vernünftiger schiitischer Geistlicher, der seinen Beitrag dazu leisten will, dass der Irak als demokratisches Land wieder aufgebaut wird. Er lehnt die außergesetzlichen Aktivitäten al-Sadrs entschieden ab. Die überwiegende Mehrheit der schiitischen Bevölkerung steht dabei hinter ihm, den schiitischen oder auch den laizistischen Parteien, die ebenfalls Anhänger und Anhängerinnen unter den irakischen Schiiten haben. Vergessen Sie nicht, dass auch der Generalsektretär der Irakischen Kommunistischen Partei, Hamid Majid Musa al-Bayati, Schiit ist und mit einem schiitischen Mandat im Regierungsrat sitzt.

Gerade kommunistische und feministische Aktivistinnen und Aktivisten haben sich ja in den letzten Monaten immer wieder über die Aktivitäten extremistischer islamistischer Gruppen wie jener al-Sadrs beklagt. Sie hätten Mitglieder ihrer Gruppierungen bedroht und gewaltsam eingeschüchtert.

Ja, solche Drohungen hat es gegeben. Wenn al-Sadr nun eine Niederlage erleidet, werden aber auch sicher diese Drohungen zurückgehen.

In den letzten Wochen kam es immer wieder zu Versuchen, den Aufstand der Ba’athisten und der sunnitischen Extremisten in Falluja mit dem Aufstand al-Sadrs zu verbinden. Wie sieht denn nun das Verhältnis der schiitischen Bewegung al-Sadrs zu den sunnitischen Extremisten in Falluja aus?

In Falluja haben die Ba’athisten und die al-Qaida die Stadt als Geisel genommen. Selbst die meisten Einwohner Fallujas sind gegen die Aktivitäten dieser Gruppierungen. Allerdings ist es diesen Gruppierungen gelungen, Muqtada al-Sadr dazu zu verführen, auch einen militärischen Aufstand zu planen. Al-Sadr ist aber kein vernünftiger Politiker und hat nicht verstanden, dass er von den sunnitischen Extremisten nur benutzt wurde. Schließlich haben viele Schiiten seine Bewegung auch deshalb abgelehnt, weil sie sich fragten, was al-Sadr mit den Ba’athisten oder al-Qaida zu tun hat.

Gibt es also diese Allianz zwischen al-Qaida und Ba’athisten einerseits und al-Sadr andrerseits?

Ja, es wurden Flugblätter verteilt, in denen die Ba’athisten und al-Qaida-Anhänger ihre Unterstützung für al-Sadr erklärt haben. Es wurden Waffen an al-Sadr geliefert, und viele vermuten, dass es auch finanzielle Unterstützung gibt.

Die mit saudischem Geld finanzierte Zeitung al-Sharq al-Awsat sprach auch von finanzieller Unterstützung aus dem Iran.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die iranische Regierung al-Sadr unterstützt. Es gibt im Iran auch unterschiedliche politische Strömungen, aber die Regierung hat sich klar gegen al-Sadr ausgesprochen.

Neben dem Iran versuchen auch andere Staaten, etwa Deutschland und Frankreich, wieder ökonomischen Einfluss im Irak zu bekommen. Wie steht der Sciri zur Rolle Europas im Irak?

Wir würden uns freuen, wenn uns europäische Staaten mehr Unterstützung zukommen ließen. Leider haben Deutschland und Frankreich aber von Anfang an eine verkehrte Politik betrieben und das alte Regime unterstützt. Daran hat sich bis jetzt wenig geändert. Wir würden uns aber freuen, wenn Europa seine Irak-Politik überdenken und dann eine aktivere Rolle übernehmen würde.

Wie sieht denn die Zusammenarbeit der irakischen Parteien innerhalb des Regierungsrates aus? Bei der Unterzeichnung der Übergangsverfassung kam es ja zu ernsthaften Konflikten über den Föderalismus und die Rolle des Islam. Die schiitischen Parteien, darunter auch der Sciri, haben sich anfangs geweigert, die Verfassung zu unterschreiben.

Es gab diese Konflikte und es wird auch immer wieder Konflikte geben. Im Übergangsrat sind die unterschiedlichsten Parteien vertreten, und es ist nur logisch, dass es immer wieder Meinungsverschiedenheiten gibt. Wir haben unterschiedliche Ideologien und politische Programme, deshalb sind wir auch verschiedene Parteien und keine Einheitspartei. Das Entscheidende ist, wie wir mit diesen Konflikten umgehen und ob wir sie am Verhandlungstisch lösen können. Im Falle der Übergangsverfassung ist es uns gelungen und wir haben sie schließlich auch unterschrieben.

Nun ist dies aber nur eine Übergangsverfassung. Wird der Sciri auch nach der Unabhängigkeit zu den Prinzipien eines föderalen demokratischen Staates stehen?

Ja. Die Verfassung kann natürlich im Detail geändert werden, bezüglich des Aufbaus demokratischer Verhältnisse waren wir uns jedoch schon vor dem Sturz Saddam Husseins einig, und wir werden uns auch nach der Unabhängigkeit einig sein.