Jamies Welt

Der britische Jungstar Jamie Oliver ist Herrscher über ein globales Küchenimperium. von florian scheibe

Er ist jung, dynamisch und erfolgreich. Seine Bücher haben weltweit Rekordauflagen, seine Kochsendung läuft im britischen Fernsehen vor durchschnittlich sechs Millionen Zuschauern, und bei der Google-Suche kommt er auf mehr Internet-Einträge als Mick Jagger. Er verkauft eine eigene Klamotten-Kollektion, ist beratender Küchenchef in einem der besten Restaurants Londons, wirbt exklusiv für eine Pfannen-Firma, verfasst regelmäßig Artikel für diverse englische Zeitschriften und gibt nebenbei eine CD-Edition mit seiner Lieblingsmusik heraus.

Und nebenbei hat Jamie mit seinen gerade mal 29 Lebensjahren noch eine Ehefrau (»meine Jools«), zwei kleine Kinder, die auf die Namen »Poppy Honey« und »Daisy Boo« hören und unzählige Kumpels und Freunde und Kinder von Freunden und Kumpels, die auf den vielen Bilderstrecken seiner peppig aufgemachten Kochbücher gemeinsam mit seiner Familie essen, surfen und lachen.

Alle lieben Jamie, und Jamie liebt alle noch viel heftiger zurück. Dabei geht es in der Jamie-Welt nur vordergründig ums Kochen. Jamie steht mit seiner Haltung stellvertretend für einen Lifestyle, eine Lebensphilosophie. Er liefert die Zutaten für das Rezept, das wir brauchen, um uns im neoliberalen Kapitalismus des neuen Jahrtausends zurechtzufinden. Zwischen Kräutern, Wirsing und Erdbeersorbet wird in den Pfannen und Töpfen von Jamie Oliver die Bouillabaisse jenes Wertekanons zubereitet, der stellvertretend für die gesellschaftlichen Anforderungen unserer Zeit steht.

In der Jamie-Welt ist alles praktisch, flexibel, kreativ, mobil und schnell. Seine Sendungen sind geschnitten wie ein Musik-Clip, die Fotos in seinen Büchern sind voller Bewegungsunschärfen, und Jamie selbst ist immer in action: Er läuft, lacht, trinkt, schält, riecht, schneidet, schmeckt, und das alles ohne Unterlass und parallel zueinander. Jamies Botschaft lautet: Wer nicht die Power hat, mit der rechten Hand ein Ei in die Pfanne zu hauen, während er mit der linken die Steaks herumwirbelt und nebenbei noch tanzend eine Geschichte aus seinem Leben erzählt, der wird es in unserer geflatrateten Castingwelt verdammt schwer haben.

Das so häufig beschworene Umdenken auf dem Arbeitsmarkt, das die Menschen aus ihrer vermeintlich gesicherten Tarifbequemlichkeit herausreißen will, um sie endlich den großen Fischen vollständig zum Fraß vorzuwerfen, wird in Jamies mobiler Küche beispielhaft vorexerziert. In unserer hypermobilen Welt bleibt er immer beweglich, geschmeidig, agil, und währenddessen entfesselt er seine Arbeitskraft von der althergebrachten Ortsgebundenheit. Er arbeitet in jeder Lebenslage und einfach überall: In großen Küchen, in kleinen Küchen, in gar keinen Küchen (»nicht größer als ein Schrank«), am Hafen, im Garten, am Strand.

Wer Schwierigkeiten hat, sich auf eine Welt einzustellen, in der die Arbeitsverhältnisse immer verwaschener und die Arbeitsbedingungen immer ungeregelter werden, der muss sich einfach nur an dem quirligen Koch aus Großbritannien ein Vorbild nehmen. Wenn Jamie mal gerade nicht die richtigen Zutaten für seine Gerichte zu Verfügung hat, dann nimmt er eben anstelle von Schellfisch einfach einen Kabeljau oder anstelle von Ruccola ein bisschen Löwenzahn, und wenn er uns in einem Interview auf die Frage: »Sie wollen uns ernsthaft erzählen, Sie würden an Ihren freien Tagen kochen?« ganz selbstverständlich antwortet: »Immer! Meine Freunde gucken Fußball, aber ich finde das sterbenslangweilig«, dann will er uns damit sagen: Leben ist Arbeit, und Arbeit ist Leidenschaft. Oder mit seinen eigenen Worten: »Essen Sie nicht, um zu leben, sondern leben Sie, um zu essen.«

So wie auch in den Bewerbungsprofilen der großen Konzerne von Coca-Cola bis Microsoft die Begeisterungsfähigkeit und die totale Identifikation mit der Firmenphilosophie inzwischen wichtiger ist als der glatte und gradlinige Ausbildungsweg, so schlägt auch Jamies Credo immer in die gleiche Kerbe: Es geht nicht um Perfektion, es geht um Leidenschaft, es geht nicht um das technische Können, es geht um das Gefühl, oder, wie er es selber formuliert, beim Kochen gehe es darum, »mit seiner weiblichen Seite in Berührung zu kommen«.

Jamies Welt ist eine dialektische. Sie ist einerseits eine Welt »für die Freigeister, die Anarchisten«, in der der Naked Chief sich selber als »schrill, unorthodox und (hoffentlich!) ein bisschen funky« einschätzt, schafft aber andererseits mühelos den Spagat zu den guten alten bürgerlichen Werten der Ehe, dem Kinderkriegen und der Familie. Und so tritt uns Jamie auf den bunten Fotostrecken seiner Bücher und den handkamera-verwackelten Bildern seiner Fernsehshows auf der einen Seite mit Che-Guevara-T-Shirts, abgewetzten Jeans-Jacken, Halsketten und verwuschelten Haaren entgegen, wird aber auf der anderen Seite nicht müde, zu betonen, wie »fantastisch« er sich mit seinen Eltern verstehe, wie »glücklich« er darüber sei, mit seiner Jugendliebe Jools verheiratet zu sein, und versäumt währenddessen keine einzige Möglichkeit, seinen dicken, silbernen Ehering und seine kleinen Babys in die Objektive der Kameras zu pressen.

In der locker gecrossten Mischung aus cooler Surfer-Attitüde und seinen Am-schönsten-ist-es-wenn-die-ganze-Familie-an-einem-Tisch-sitzt-Statements püriert sich die Jamie-Welt einen unverfänglichen, positionslosen, klumpenfreien Brei zusammen, der sich scheinbar mit jedem erdenklichen Essen kombinieren lässt.

Wesentlich lockerer und leichtfüßiger als die Politik, die Musik- oder die Filmindustrie es jemals könnten, schlägt Jamies Koch-Philosophie den großen Bogen von der konservativen Hausfrau bis hin zur alternativen Sechser-WG, von England über Osteuropa, Korea, Südafrika bis hin nach Israel und zieht dabei die unterschiedlichsten Kulturen in ihren Bann. In einer Zeit, die uns scheinbar aller unserer Ideale, Ideologien und gedanklichen Gegenkonzepte zum Bestehenden beraubt hat und die uns stattdessen orientierungs- und perspektivlos an den Rändern des Worldwide Web zwischen Aushilfsjobs und vorzeitiger Pensionierung hin und her pendeln lässt, ist Jamie offenbar der kleinste gemeinsame Globalisierungs-Nenner. Nicht umsonst wurde ihm kürzlich im Buckingham Palast ein Orden von der Queen verliehen, und nicht umsonst war er neben Michael Moores »Stupid White Men« mit seinem neuesten Werk mit dem Titel »Jamie’s Kitchen« für den deutschen Sachbuchpreis nominiert.

Dazu passt, dass sich Jamie bereits seit einigen Jahren auch für ehemals straffällig gewordene Jugendliche engagiert, die in seiner Stiftung »Fifteen« zwar einen gesicherten Ausbildungsplatz bekommen, sich aber natürlich zuvor in einem harten Auswahlprozess gegenüber Hunderten von anderen Mitbewerbern durchgesetzt bzw. -gekocht haben müssen. Und in diesem Sinne strahlen auch die geschickt gecasteten afrobritischen und puertoricanischen Kinderaugen auf den weich gezeichneten Kochbuch-Fotos in die Kameras, die sich nebenbei ein »getrocknetes Fruchtgummi« oder einen leckeren »Lolly-Pop« in den Mund schieben.

Und während wir versonnen weiterblättern, sind wir plötzlich mittendrin und ganz nah dran an dem Jamie-Gefühl des grenzenlosen Glücks. Zwischen zart schmelzenden Toffee-Törtchen, mariniertem Mozzarella und knusprigem Zucchini-Brot grinsen wir uns gemeinsam mit Jamie, seinen Kindern, seiner Frau, seinen Freunden, seiner Familie, seinen Angestellten, seinen Markthändlern, seinen Fischern, seinen Muschelsuchern und seinen Weinbauern voller Zuversicht einer neuen, aufregenden Welt entgegen. Einer Welt, die alleine durch unsere innere Einstellung und »ein paar Spritzer Balsamico« verspricht, eine bessere zu werden.