Schick gegen Stuck

Die Nachkriegsmoderne ist unbeliebt, besonders die der DDR. Die Ausstellung »Ostmoderne« zeigt ihre Architektur. von giuseppe pitronaci

Viele Menschen behaupten, funktionale Architektur langweilig zu finden. Und die Unwissenheit darüber, was qualitativ hochwertige Architektur jenseits oberflächlicher Ornamentik ausmachen kann, ist groß. Entsprechend schwer findet die moderne Nachkriegsarchitektur Anerkennung, egal, wo sie gebaut wurde.

Wenn »moderne Architektur« dann auch noch in einem Atemzug mit der DDR genannt wird, potenzieren sich die landläufigen Klischees, nach dem Motto: Ostmoderne, das kann ja nichts Gutes sein. Es gibt vermutlich nicht viele Leute, denen bei dieser Begriffskombination nicht als erstes und einziges Wort »Platte« einfällt. Und »Platte« wird per se mit Nicht-Architektur gleichgesetzt.

Ulrich Hartung ist sich bewusst, dass das Thema nicht gerade die Massen herbeiströmen lassen wird. Doch das hat ihn nicht davon abgehalten, zusammen mit einem weiteren Kurator die Ausstellung »Ostmoderne« ins Leben zu rufen. »Die DDR-Architektur war ein Teil der internationalen Moderne«, sagt der Architekturtheoretiker.

Untergebracht ist die »Ostmoderne« in der »Kommode« am Bebelplatz, der ehemaligen königlichen Bibliothek, heute ein Teil der Humboldt-Universität. Auf Schautafeln wird eine Reihe von Gebäuden und Anlagen präsentiert, die zwischen 1945 und 1965 in Ostberlin gebaut wurden. Einige davon sind mittlerweile aus dem Stadtbild verschwunden, wie das Stadion der Weltjugend an der Chausseestraße. Andere sind stark vernachlässigt oder aus anderen Gründen gefährdet, wie das Freibad Pankow. Eine Lobby für die gefährdeten Bauwerke findet sich nur schwer. »Architekten haben tendenziell kein Interesse an anderen Bauten. Nur wenn sie selbst bauen, erhalten sie Geld und Renommee«, sagt Hartung.

Dass ökonomische Interessen den Bestand der Architekturmoderne gefährden, wurde auch während der Ausstellungseröffnung betont. Adrian von Buttlar, Professor für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin, wies darauf hin, dass viele der betroffenen Gebäude, so noch vorhanden, durch Abriss oder entstellenden Umbau gefährdet seien, da sie den Ansprüchen möglicher Investoren nicht genügten.

In der Tat gab es unmittelbar nach dem Krieg andere Prioritäten im Städtebau, sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland. Neben der Notwendigkeit, zügig Wohnraum, Produktionsstätten und andere Einrichtungen wieder aufzubauen, ging es auch um ideelle Werte, die in einer demokratischen Architektur Ausdruck finden sollten. Das zeigt sich zum Beispiel an den Schul- und Kindergartenbauten, die in der Ausstellung gezeigt werden. Klare Linien, Licht, Naturnähe und hierarchiefreie Bauformen stehen für den Einfluss der Reformpädagogik und die Orientierung an den Maßstäben und Bedürfnissen des Kindes.

In den Jahren 1951 bis 1956 machte die »Ostmoderne« Pause. Die Rückbesinnung auf traditionelle Formen und die Orientierung an sowjetischer Pracht zeitigte als bekanntestes Ergebnis den monumentalen Bauabschnitt der Stalinallee, der heutigen Karl-Marx-Allee. Doch das blieb eine Episode. Sie wurde abgelöst durch ein erneutes Anknüpfen an sachliche Formen, wie sich an den jüngeren Abschnitten der Karl-Marx-Allee ablesen lässt. Gründe dafür waren aber auch der Zwang zu sparen und die Tendenz zur Rationalisierung. Gefragt waren wieder klare, funktionelle Formen, die nicht zuletzt durch ihre Anordnung im Stadtraum einen spezifischen ostdeutschen Charakter entwickelten.

»Das Verhältnis zwischen Einzelnem und Gesellschaft ist in der Ostmoderne anders als in der westlichen Moderne. Die ostdeutsche Architektur war weniger individualistisch, betonte das Kollektive«, sagt Hartung. Der Wettstreit der Ideologien zwischen Ost und West sei aber auch städtebaulich ausgetragen worden und habe eine Wechselwirkung der Architekturen zur Konsequenz gehabt: »Ohne die Stalinallee hätte es das moderne, individualistische Hansaviertel in Westberlin nicht gegeben.«

Auch das Bauen mit seriell vorgefertigten Elementen, also die Plattenbauten, ermöglichten es, im stark zerstörten Ostberliner Stadtraum schnell und kostengünstig die notwendigen Wohnungen zu schaffen. Immer wieder wurden dennoch markante Solitäre gebaut, deren Formensprache nicht verrät, ob sie im Westen oder im Osten entstanden. Dazu gehören die Kinos an der Karl-Marx-Allee, der Tränenpalast oder das Kulturhaus Prater mit Freilichtbühne an der Kastanienallee. Bezeichnenderweise stehen diese Gebäude im Bewusstsein der Bürger viel weniger für Ost-Architektur als die »Zuckerbäcker«-Bauten der Karl-Marx-Allee.

»Die stalinistischen Bauten sind von der Ostberliner Architektur am beliebtesten, weil sie autoritär sind«, sagt Hartung. Damit weist er auf die revisionistischen Tendenzen in den Architekturauffassungen der vergangenen Jahre hin. Die Moderne ist verpönt, lieber will man Stadtansichten vom Anfang des 20. Jahrhundert wiederherstellen. Als hätte es die Geschichte dazwischen nicht gegeben. »Das bescheiden anmutende Potenzial nachkriegsmoderner Tugenden und Qualitäten lässt sich kaum noch vermitteln. Stattdessen regiert das antimoderne Vorurteil«, erklärt Buttlar.

Das hat auch im Westen seine Auswirkungen, wie der Abriss des denkmalgeschützten Baumgarten-Hotels an der Stauffenbergstraße zeigt. Doch in Ostberlin sind die modernen Bauten ungleich stärker bedroht, da sich hier die Ressentiments gegenüber der Architekturmoderne mit undifferenzierten Ressentiments gegenüber der DDR verbinden. Da nützt oft auch der Denkmalschutz nichts. Etliche Ostberliner Gebäude sind schon aus dem Stadtbild verschwunden, wie zum Beispiel die ungarische Botschaft Unter den Linden oder das Ahornblatt auf der Fischerinsel. Vielen weiteren droht der Abriss. Meistens geschehe dies »sang- und klanglos«, beschreibt Buttlar, ohne nennenswerte Proteste.

Es scheint, als sei sich die Bevölkerung einig in ihrer Ablehnung der Nachkriegsmoderne und ihrer Sehnsucht nach Stuck im Überfluss à la Stadtschloss. »Einen hegemonialen Diskurs herzustellen, funktioniert in einer Demokratie auch ohne Politbüro«, glaubt Hartung. Er möchte der konformistischen und reflexhaften Ablehnung der ostdeutschen Nachkriegsmoderne dennoch etwas entgegensetzen und sieht auch Anzeichen, die auf eine Wende hinweisen. Die partielle Hinwendung der Jugendkultur zu Räumen aus der DDR-Zeit mag nur ein Modetrend sein. Aber die Ausstellungsmacher »versuchen, aus dem Trend eine ernsthafte Tendenz zu machen«.

Die Ausstellungseröffnung war vielleicht bezeichnend für die Hoffnung des Kurators. Das Rokoko-Gebäude, in dem die Ausstellung gezeigt wird, wurde im Krieg zerstört. Zur Zeit der DDR wurde die historische Fassade rekonstruiert. Innen ist das Gebäude jedoch modern gestaltet und strahlt die Klarheit von Räumen aus den fünfziger Jahren aus. An zwei Seiten wird das großzügige Foyer von geschwungenen Treppen eingefasst, die sich in einem barocken Gestus oben zu einer Balustrade vereinigen. Überall standen und saßen hier bei der Vernissage Studenten und lauschten den Reden, unter einem Kranz wunderschöner DDR-Lampen.

Die Ausstellung im Foyer der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität am Bebelplatz ist noch bis zum 10. Juni zu besichtigen.