Fehler is King

Der Bund der Polnischen Versager wollte die Ostsee erweitern. Doch wie vieles andere klappte auch das nicht. von ove sutter

Wer am 1. Mai durch Berlin Mitte spazierte, dessen Blick blieb vielleicht an einer Europafahne hängen, die neben dem Schaufenster eines kleinen Ladens von der Hauswand baumelte. Sie stellte eigentlich gar nichts Ungewöhnliches dar, schließlich galt es an diesem Tag nicht nur die Arbeit, sondern auch den Beitritt zehn europäischer Staaten zur EU-Wirtschaftszone zu feiern. Warum sollte nicht auch die Berliner Kleinunternehmerschaft aus diesem Anlass Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung hegen und ihre europäisch-patriotische Gesinnung in den Wind hängen? Jedoch enttäuschte die Fahne solche Befürchtungen, denn bei genauerem Hinschauen entpuppte sich der erwartete goldene Sternenkreis als eine Ansammlung von Bananen.

Nahe der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, zwischen einem Bikini-Fachgeschäft und dem wegen seiner ostalgischen Innenausstattung beliebten Kaffee Burger residiert eine Vereinigung, die ganz eigene Vorstellungen von der EU-Osterweiterung hegt. Hinter einem unauffälligen Schaufenster befinden sich seit mittlerweile drei Jahren die Clubräume des Bundes der Polnischen Versager, dessen Mitglied Adam Gusowski den unauffälligen Kommentar zum 1. Mai so erklärt: »Die Problematik wird viel zu ernst genommen, viel zu pompös. Dieses gemeinsame Haus Europa ist zu einem barocken Palast mit Gold und Verzierungen geworden. Die Bananen bedeuten, dass man Europa auch anders sehen kann als mit strahlenden goldenen Sternen.«

Eine Ahnung davon, wie sich die Polnischen Versager das künftige Europa vorstellen, kann man durch ihren Film »Die Ostseeerweiterung« gewinnen. Der darin dokumentierte gescheiterte Plan einer Überflutung Polens sorgte für Aufregung. In dem Film kann man nicht nur den tragischen Ausgang des Versuchs verfolgen, Polen als erste und einzige Unterwassernation der Welt mit neuen, verantwortungsvollen Aufgaben zu betrauen. Man bekommt auch einen Einblick in den Kreis von Leuten, die sich seit Jahren intensiv mit dem Phänomen des Versagens beschäftigen. So erklärt einer der Protagonisten im Film zu dessen Entstehung: »Der Ursprung von alledem ist das Bekenntnis zum Versagertum, zu einer bestimmten Art der Unbeholfenheit im Leben, zu einer Inkompatibilität, die uns umgibt.«

Mitte der neunziger Jahre fand sich eine Gruppe polnischer Migranten in Berlin zusammen, die der Meinung waren, dass ihr Leben vor allem von persönlichen Misserfolgen geprägt sei. Zunächst führten sie diese Erfahrungen ausschließlich auf die erschwerten Umstände ihrer Existenzen am Rande einer Gesellschaft zurück, die ihnen nur widerwillig ein paar Krümel vom reich gedeckten Tisch spendieren wollte. »Wir haben dann aber irgendwann gemerkt, dass das Versagen nichts Spezielles für Migranten darstellt, sondern eigentlich alle betrifft«, sagt Adam Gusowski.

Schon seit beinahe zehn Jahren versucht die Gruppe, sich gemeinsam dem Erfolgsdruck in allen Lebensbereichen zu widersetzen. Dabei wirkte bereits das schlichte Bekenntnis zum Versagertum wie eine Art Therapie, durch die eine schwere Last von den Geplagten abfiel und ihnen ungeahnte Energien verschaffte.

Gusowski erklärt das Prinzip des Bundes der Polnischen Versager, aus Fehlern eine Tugend zu machen, an einem einfachen Beispiel: »Es geht darum zu sagen: Okay, ich kann das A nicht so richtig schreiben, aber mein A sieht eigentlich auch ganz gut aus, und deshalb bleibt es so. Und dann kommt jemand anderes vorbei und sagt: Ja, stimmt, so ein A ist eigentlich Scheiße, aber wenn du es gut findest, dann bin ich dabei.«

Schon bald nach dem ersten Befreiungsschlag trat der Bund mit der Präsentation einer eigenen Literaturzeitschrift an die Öffentlichkeit. Die erste Ausgabe enthielt ein kleines Manifest, das seine Leser mit dem Schicksal der Polnischen Versager konfrontierte: »Die Milch versuchen wir in der Apotheke zu kaufen, Autos hupen uns an, immer wieder treten wir in Hundescheiße, bloß es will uns kein Glück bringen. Wir lassen den Terror der Vollkommenheit jener Anderen über uns ergehen. Ihre Gegenwart schüchtert uns ein. Dennoch wollen wir Schöpfer bleiben, und zwar nach unseren Möglichkeiten, auf einem niedrigen Niveau.«

Als die Zahl ihrer Aktivitäten mit der Zeit immer größer wurde, weil immer mehr Leute unter der Obhut des Bundes ihre Möglichkeiten auszuschöpfen begannen, wurde entschieden, sich an einem festen Ort niederzulassen. So finden seit September 2001 Theateraufführungen, Lesungen, Konzerte und Diskussionsveranstaltungen in der Torstraße 66 statt. Diskutiert wird vor allem über die Definition des Versagens und darüber, ob es in anderen Gesellschaften auch eines anderen Verständnisses vom Scheitern bedürfe. Schließlich wissen die Clubbetreiber, dass man nur dort scheitern kann, wo die Menschen auf Erfolg aus sind.

Anstatt jedoch die Früchte ihres Erfolgs zu ernten, schlagen sich die Polnischen Versager mit der Frage herum, ob ihre mittlerweile überaus komplexe Theorie vielleicht nur auf einem logischen Fehler basiert. Vielleicht gründet die angestrebte Erfolglosigkeit lediglich auf einem banalen Irrtum, der sie davon abhält, profitableren Lebenskonzepten nachzujagen? Denn obwohl der Club für seine Mitglieder mittlerweile zur Hauptbeschäftigung geworden ist und von ihnen wahlweise als familien-, firmen-, oder gar sektenartiges Gebilde beschrieben wird, wirft er nichts ab, von dem sich leben ließe. Nach wie vor verdient hier jeder sein Geld außerhalb der vereinseigenen vier Wände als Taxifahrer, Mathematiker, Arbeitsloser oder als Ich-AG.

Weil die kollektive Entlastung vom Erfolgsdruck trotz aller Zweifel und fehlenden künstlerischen Ausbildungen schon bald zu inflationärem Kulturschaffen im Bund führte, legten sie unter Punkt elf seiner »Arbeitsordnung und Richtlinien« eine »Veröffentlichungsjahresreglementierung« fest. Hiernach darf jedes Vereinsmitglied in 365 Tagen nur 50 Seiten, 100 Verse, fünf Ölgemälde, zehn Skizzen oder Zeichnungen und höchstens 20 Minuten musikalischer Komposition produzieren, wobei Zuwiderhandlungen mit empfindlich hohen Geldstrafen geahndet werden können.

Die Vermutung, dass auch die Mitgliedschaft harten Reglementierungen unterliegt und sich auf Besitzer eines polnischen Passes beschränkt, wird glücklicherweise von einer kosmopolitanen Wirklichkeit widerlegt. Tatsächlich kamen nur in der Anfangszeit alle Beteiligten aus Polen, mittlerweile haben sich Gescheiterte aus Neuseeland, Australien, England, Berlin und anderen fernen Gegenden dazugesellt. Die Beibehaltung des Namens soll nicht zuletzt daran erinnern, dass der Bund auf die Erfahrung der Migration zurückgeht.

Wegen des Namensschildes über dem Schaufenster verirren sich immer wieder Passanten in den Club, die sich weniger für den Kulturbetrieb als vielmehr für die Auskunft interessieren, wo das nächste polnische Reisebüro zu finden ist. »Neulich kam eine Frau herein und fragte: Hier kommen doch viele Polen vorbei, oder? Ich renoviere nämlich gerade meine Wohnung und suche noch ein paar Fliesenleger.« Die aber haben sich trotz EU-Erweiterung noch nicht eingefunden.