Ein Oberst für Afrika

Statt der arabischen Welt will der libysche Staatschef Gaddafi nun Afrika einen. Die Annäherung an den Westen soll das Überleben seines Regimes sichern. von arian fariborz

Trotz seines erstaunlichen politischen Wandels in jüngster Zeit ist sich Libyens Oberst Muammar al-Gaddafi zumindest in einer Beziehung treu geblieben. Er sorgt weiterhin für Überraschungen auf dem internationalem Parkett, wie am vergangenen Samstag auf dem Gipfel der Arabischen Liga in Tunis. »Das war die letzte Sitzung, an der ich teilgenommen habe!« Brüsk verließ er das Treffen und begab sich flugs wieder nach Tripolis.

Es ist nicht das erste Mal, dass der selbst ernannte Führer des libyschen »Volksmassenstaates« seine Kollegen aus der arabischen Welt medienwirksam vor den Kopf stößt. Beim letzten Gipfel der Liga hatte Gaddafi für einen Skandal gesorgt, als er Saudi-Arabien beleidigte und damit eine Schimpfrede des saudischen Kronprinzen Abdullah provozierte. Der »Revolutionsführer« attestiert der panarabischen Organisation mangelnde Effektiviät, außerdem ist er ein entschiedener Gegner der Friedenspläne einiger arabischer Staatschefs für den israelisch-palästinensischen Konflikt.

Doch im Grunde genommen kann Gaddafi der Zwist und seine Isolation im Lager autoritärer arabischer Machthaber recht egal sein, hat er sich doch bereits seit langem vom panarabischen Erbe enttäuscht abgewandt und seine Liebe zu Afrika entdeckt. »Libyen gehört nicht zum Nahen Osten. Libyen ist ein afrikanisches Land«, betonte er denn auch nach seinem demonstrativen Auszug aus dem Konferenzsaal der Liga in Tunis.

Sein Eifer für die »afrikanische Sache« ging kurz nach Ende des UN-Embargos gegen Libyen sogar so weit, dass er während eines Besuchs bei Jordaniens König Abdullah das Parlament über seine Visionen von den »Vereinten Staaten von Afrika« aufklärte. Die Jordanier sollten endlich Afrikaner werden und sich zusammen mit den anderen asiatisch-arabischen Völkern zu einem afrikanischen Bündnis gegen die Globalisierung aufraffen, forderte Gaddafi. Pläne hierzu hatte er auch gleich parat. Vor den Augen der erstaunten Abgeordneten entrollte Gaddafi eine selbst entworfene »neue Weltkarte«, die nur noch sieben geopolitische Einheiten vorsieht: die EU, Südostasien, die USA, Indien, Pakistan, Lateinamerika und Afrika.

Und auch im Westen hat der Oberst einen neuen Verbündeten entdeckt. So wurde der einst von US-Präsident Ronald Reagan als »tollwütiger Hund« bezeichnete Paria bei seiner ersten Europareise seit 15 Jahren Ende letzten Monats mit offenen Armen von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi empfangen. Gaddafi wünscht den Beitritt zum EU-Assoziierungsabkommen für den Mittelmeerraum, von dem er sich eine Förderung des Handels sowie eine Annäherung an die Europäische Union verspricht. Libyen hat als einziger Mittelmeer-Anrainer bislang noch keine formellen Beziehungen zur EU aufgenommen.

Noch bis vor wenigen Monaten hätte man diese rasante Kehrtwende in der Außenpolitik kaum für möglich gehalten. Als Libyen nach langem juristischen und politischen Tauziehen im August 2003 überraschend seine Verantwortung für den Anschlag auf ein amerikanisches Flugzeug über dem schottischen Lockerbie 1988 erklärte, läutete er den außenpolitischen Kurswechsel der Führung in Tripolis ein. Libyen zahlte daraufhin 2,7 Milliarden Dollar an die Familien der Opfer des Attentats und entschädigte auch die Hinterbliebenen eines Anschlags auf eine französische UTA-Maschine.

Die Führung in Tripolis hat angekündigt, auch die Opfer des Anschlags auf die Berliner Diskothek »La Belle« im Jahr 1986 zu entschädigen. Die Anwälte der Opfer sind zuversichtlich, eine Einigung mit der Gaddafi-Stiftung schon im Juni erzielen zu können. Glaubt man den Worten des alternden SPD-Nahostfachmanns Hans-Jürgen Wischnewski, erwägt Bundeskanzler Gerhard Schröder im Falle einer Einigung einen Besuch bei Gaddafi.

Überraschend wäre eine solche Visite beim libyschen Diktator jedenfalls nicht, hatten sich doch erst vor kurzem Großbritanniens Premier Tony Blair und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi nach Tripolis begeben, um ein »neues Kapitel« in den bilateralen Beziehungen aufzuschlagen. Seit dem Ende der UN-Sanktionen wittern vor allem die Europäer das große Erdölgeschäft und wollen daher ihre Handelsbeziehungen zu Libyen weiter intensivieren. Europa ist heute der wichtigste Käufer libyschen Öls, und europäische Konzerne wie Repsoil, Statoil oder Agip hocken schon längst in den Startlöchern.

Doch auch US-Ölfirmen haben Verhandlungen mit der libyschen Regierung aufgenommen. Nachdem Libyen im Dezember 2003 seinen endgültigen Verzicht auf Chemiewaffen erklärt und sein Atomwaffenprogramm beendet hatte, hoben die USA im vergangenen April nach 18 Jahren ihre Sanktionen gegen das nordafrikanische Land auf – eine Zäsur in den Beziehungen zum einstigen »Schurkenstaat«.

Die in den neunziger Jahren in Kraft getretenen internationalen Sanktionen hatten Libyen 30 Milliarden Dollar Einnahmeverluste beschert. Wachsende Armut und Arbeitslosigkeit machen dem an natürlichen Rohstoffen reichen Land immer mehr zu schaffen. So ist Gaddafis Kurswechsel denn auch als notwendiger wirtschaftlicher Befreiungsschlag zu sehen, um politisch langfristig überleben zu können.

Wer allerdings geglaubt hatte, Libyens politische Zugeständnisse an den Westen würden auch eine Demokratisierung nach sich ziehen, sah sich getäuscht. Nach wie vor regiert der 62jährige Oberst mit eiserner Hand, auch sind die für ihre unfairen Prozesse bekannten libyschen »Volksgerichte« nach wie vor präsent, viele politische Dissidenten sitzen bis heute ohne Gerichtsverfahren und Kontakt zu Anwälten oder Familienangehörigen in den Gefängnissen.

Darüber hinaus sorgt derzeit ein libysches Gerichtsurteil international für Aufsehen, das wohl die neu entdeckte libysch-europäische Freundschaft etwas trüben dürfte. Anfang Mai fand ein Strafgericht in der Hafenstadt Benghazi fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt der mutwilligen Aids-Infizierung von rund 400 libyschen Kindern für schuldig und verurteilte sie zum Tode durch Erschießen. Neun ebenfalls angeklagte libysche Ärzte wurden dagegen freigesprochen. Bulgarien will Berufung einlegen und dabei vor allem auf die Unterstützung der EU und der USA bauen, deren Vertreter das Urteil kritisiert haben.

Gaddafi hält sich jedoch die Möglichkeit offen, einen Eklat zu vermeiden. Erst vor kurzem hat sich der Oberst für die Abschaffung der Todesstrafe sowie für radikale Reformen der Gerichte seines Landes ausgesprochen.