Wer wandert, muss leiden

Die Union, die FDP und die SPD haben sich geeinigt, die Grünen feiern ihre Niederlage. Das Zuwanderungsgesetz wird ein Gesetz zur Verhinderung der Immigration. von thomas uwer

Es sei ein »grüner Erfolg«, sagte Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende der Grünen. »Unser Vorgehen der letzten Wochen war konsequent und erfolgreich.« Als derart auf den Kopf gestellt erscheint nicht nur die Wahrnehmung der Grünen, die aus der Vorbereitungsrunde, die den Gesetzentwurf zum Zuwanderungsgesetz ausarbeiten soll, hinausgeworfen wurden, sondern die gesamte Auseinandersetzung um dieses Gesetz. Ein Zusammenhang von Wort und Bedeutung ist im vierten Jahr der Debatte kaum noch zu erkennen.

Seit Bundeskanzler Gerhard Schröder im Februar 2000 mit seiner Green-Card-Initiative die Ausarbeitung einer gesetzlichen Regelung der Zuwanderung von hoch qualifizierten ausländischen Arbeitskräften angestoßen hat, versinkt die Auseinandersetzung um ein Zuwanderungsgesetz im Strudel inhaltsarmer Neologismen. Während die »Computer-Inder« bekanntlich ausblieben, weil kaum jemand, dem sich andere Möglichkeiten bieten, freiwillig nach Deutschland kommen will, geriet das Zuwanderungsgesetz zum Instrument der politischen Steuerung der nicht ganz freiwilligen Migration, um am Ende bei der Frage zu landen, ob »Hassprediger« abgeschoben oder in Sicherungshaft zu nehmen seien.

Vom ursprünglichen Kernbestand des Entwurfs, der eine vereinfachte Aufenthaltsregelung und leichtere Einbürgerungsmöglichkeiten für solche Arbeitskräfte bringen sollte, die von der Industrie gewünscht werden, sind fast nur die Ausschlussregeln geblieben. Der Rest ist Hermeneutik. »Es gibt kein Zuwanderungsgesetz ohne Zuwanderung«, sagte Bütikofer. Gemeint war natürlich etwas anderes: Es gibt kein Zuwanderungsgesetz ohne Gesetz. Und dieses Gesetz will nicht nur die grüne Partei unter allen Umständen haben.

So handelt es sich auch bei dem Achtpunktepapier, auf das sich die Bundesregierung mit den Unionsparteien geeinigt hat, im Wesentlichen um eine Sammlung bereits bekannter ausländerrechtlicher Repressalien in neuer Verpackung. Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz, die künftig neben Einbürgerungswilligen auch solche Personen treffen soll, die eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung beantragen, ist in der Praxis bereits gang und gäbe. Die »neue« Möglichkeit der Ausweisung von nicht deutschen Straftätern, etwa in Fällen, in denen diese zur Gewalt aufrufen, ist ebenfalls nicht neu.

Und auch die als humanitärer Erfolg verbuchte Anerkennung nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung wird an der ausländer- und asylrechtlichen Praxis wenig ändern. Die Bundesregierung erfüllt hier lediglich die von einer europäischen Richtlinie vorgegebenen Mindeststandards, ohne dass sie das bereits jetzt geltende Konstrukt der »Quasistaatlichkeit« in Frage stellte. Als Verfolgung wird demnach im asylrechtlichen Sinne wohl weiterhin nur gelten, was von einer zumindest »quasistaatlichen« Institution oder Organisation ausgeübt wird.

Gegenstand des Kompromisspapiers sind ausschließlich Repressionsinstrumente und Verfahrensverkürzungen für diejenigen, die ohnehin nur über eingeschränkte Rechtsmittel verfügen: für Strafgefangene mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit, für Flüchtlinge und Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel. Vermeintlich »gefährliche Ausländer« sollen nun wegen einer »tatsachengestützten Gefahrenabwehrprognose« beschleunigt ausgewiesen werden können. Zur Abwehr »terroristischer Gefahr« soll ein Schnellverfahren greifen, das den bisherigen Verfahrensweg abkürzt und die Klagemöglichkeit auf den Gang vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig beschränkt.

Waren zuvor der Ausweisungsbeschluss und der Erlass der Abschiebeanordnung voneinander getrennt, so soll die Abschiebung nunmehr unmittelbar angeordnet werden können, und zwar, geht es nach den Unionsparteien, unter der Zuständigkeit der Landesinnenministerien. Die von der Union geforderte Sicherungshaft für »Hassprediger« wurde ersetzt durch Instrumente, die sich bei der Behandlung von Asylsuchenden bereits bewährt haben. In Fällen, in denen eine Ausweisung aus humanitären Gründen nicht möglich ist, sollen demnach eine Meldepflicht sowie ein Reiseverbot verhängt werden. Hinzu kommen nicht weiter spezifizierte »strafbewehrte Kommunikationsbeschränkungen«. Damit dürfte kaum gemeint sein, dass es Islamisten künftig untersagt wird, al-Jazeera-TV zu schauen.

Völlig in Vergessenheit scheint geraten zu sein, dass bereits der alte Gesetzesentwurf nicht nur die Zuwanderung, sondern vor allem auch den Ausschluss vom Zuwanderungs- und Bleiberecht regelt. Angesichts der »Blockadehaltung« der Unionsparteien hatte der letzte Parteitag der Grünen Anfang Mai in Berlin beschlossen, die »zustimmungsfreien Möglichkeiten zu nutzen«, um das Gesetz auch ohne die Union auf den Weg zu bringen, ohne dass die darin enthaltenen Härten, wie die vorgesehene Schaffung von Ausreisezentren und die Ausweisung straffälliger Ausländer, überhaupt noch zur Debatte standen.

So hat sich auch die dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Vorstellung durchgesetzt, dass die Behandlung straffälliger bzw. »gefährlicher« Ausländer im Wirkungsbereich des Ausländerrechts zu liegen habe. Damit wird nicht nur die staatliche und behördliche Eingriffsschwelle auf »tatsachengestützte Gefahrenprognosen« abgesenkt, sondern die Straftat selbst zu einer »Ausländerangelegenheit« gemacht.

Wie schon das Phänomen der voranschreitenden Islamisierung türkischer Jugendlicher in Deutschland von den Erfahrungen kaum zu trennen ist, die die dritte und vierte Einwanderergeneration in Deutschland macht, so stellen auch handfeste Delikte, wie etwa Gewalttaten, ein gesellschaftliches Problem dar, das nicht erst nach Deutschland importiert werden musste.

Von der im Gesetzentwurf propagierten »Integrationsleistung« ist nichts geblieben, wenn ein wegen einer Straftat Verurteilter türkischer Abstammung nach der Verbüßung seiner Haftstrafe mit der Abschiebung zu rechnen hat, indes der wegen der gleichen Tat verurteilte Deutsche ein Recht auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft besitzt.

Während die Industrie weiter Anreize und Vereinfachungen etwa bei der Erlangung einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis fordert, ist die Zahl der Beschränkungen und Verbote seit Beginn der Debatte stetig gestiegen. Weil ausländer- und asylrechtliche Regelungen in Deutschland ohne Strafen offenkundig undenkbar sind und selbst die viel beschworene Integration ohne Zwang nicht auskommt, ist aus dem Zuwanderungsgesetz ein monströses Verbotsregister geworden.

So zeigte sich Michael Rogowski vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mehr erleichtert als wirklich begeistert über den Kompromiss. In einem Jahr werden die meisten der 16 000 vergebenen Green Cards ablaufen, die auf maximal fünf Jahre beschränkt sind. Die von der Industrie geforderte Öffnung des Arbeitsmarktes wird es bis dahin nicht geben. Dass eine Verabschiedung des vorliegenden Gesetzes für sie lediglich ein Anfang sein kann, daran haben der BDI und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) niemals Zweifel aufkommen lassen. Ob es diesen Anfang überhaupt geben wird, scheint noch nicht entschieden.

Denn die Union sieht bereits wieder »Verhandlungsbedarf«. Ihr innenpolitischer Sprecher, Hartmut Koschyk (CSU), fordert, sich »unverzüglich an den Tisch zu setzen, weil die innere Sicherheit keinen Aufschub duldet«. Und dann muss das Gesetz laut Reinhard Bütikofer ja auch noch den »grünen TÜV« passieren, einen Überwachungsverein, auf dessen Gütesiegel »Erfolg« steht, egal, was im Produkt drinsteckt.