Einst im Mai

34 Personen sitzen seit dem 1. Mai in Untersuchungshaft. Fünf harte Urteile sind bereits gefällt worden. von martin kröger

Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Gericht haben Hand in Hand und lückenlos zusammengearbeitet«, berichtete die Staatsanwaltschaft stolz nach dem diesjährigen 1. Mai. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) lobte die »Effektivität« der eingesetzten Polizeikräfte, durch die zum »ersten Mal seit vielen Jahren das Ritual der Gewalt« habe durchbrochen werden können. Einen furiosen Sieg, der »nicht ohne Eindruck auf die Steinewerfer« geblieben sei, will Michael Grunwald, der Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, bemerkt haben.

Wie weit die Zusammenarbeit in diesem eigentlich durch Gewaltenteilung gekennzeichneten System geht, lässt sich nur schwer sagen. Auch ist unklar, ob die Geschichte stimmt, dass Berliner RichterInnen voriges Jahr von der Polizei zum Grillen eingeladen wurden und vor dem Wurstschmaus probeweise in einer Wanne Platz nahmen, die von den Gastgebern der Anschauung wegen mit Gegenständen beworfen wurde.

Fest steht, dass sich die Behörden in diesem Jahr besonders frühzeitig für den 1. Mai vorbereiteten. In der Justizvollzugsanstalt Moabit wurden Kapazitäten freigeräumt, ein großes Team von RichterInnen und StaatsanwältInnen stand für Sonderschichten bereit. Ein Anwalt will gar beobachtet haben, dass Haftbefehle bereits vor der Anhörung vom zuständigen Richter unterschrieben und abgestempelt wurden.

Die Festnahme von über 270 Personen – kurzfristige Inhaftierungen sind in dieser Aufzählung nicht erfasst – bereitete somit den Behörden kein logistisches Problem. Nach der Überprüfung durch die eingesetzten RichterInnen wurden zunächst 97 Haftbefehle erlassen. Im Zuge der fortgesetzten Ermittlungen kamen weitere hinzu, so dass die Gesamtzahl inzwischen über 100 liegt. Das ist ein Rekord, und das sind mehr als doppelt so viele wie im vergangenen Jahr, als 41 Haftbefehle ausgesprochen wurden.

Nach Erkenntnissen des Berliner Ermittlungsausschusses (EA), der sich nach Demonstrationen um die Festgenommenen aus dem linken Spektrum kümmert, sitzen derzeit noch 34 ausschließlich männliche Gefangene ein. »Das heißt 23 Stunden in einer bauwagengroßen Zelle, bei einer Stunde Hofgang pro Tag«, erklärt Arthur Boelcke vom EA. Besuch gibt es einmal in zwei Wochen für eine halbe Stunde.

Normalerweise wird Untersuchungshaft nur verhängt, wenn eine Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr besteht, außerdem sollte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. »In diesem Jahr reicht der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs – ein Delikt, das mit sechs Monaten bis 10 Jahren Freiheitsentzug bestraft wird – im Zusammenhang mit dem 1. Mai jedoch aus, um die Untersuchungshaft zu legitimieren«, sagt Ulrike Birzer, die als Anwältin mehrere der Beschuldigten vertritt. Ihnen riet Birzer erstmals, Geständnisse abzulegen, um aus der Haft herauszukommen.

So wurden zwar derweil zwei Drittel der über 100 Inhaftierten nach Haftprüfungen freigelassen, sie müssen sich jedoch viermal wöchentlich bei der Polizei melden. Keiner der Haftbefehle wurde bislang von den RichterInnen aufgehoben.

Dauerte es früher manchmal Jahre, bis ein Verfahren eröffnet wurde, ist jetzt bereits in 50 Verfahren Anklage erhoben worden. In fünf Prozessen fielen sogar schon die Urteile. Ein junger Mann aus Sachsen-Anhalt muss für einen Flaschenwurf am Mauerpark für zwei Jahre hinter Gitter. Nicht genug für den eingesetzten Staatsanwalt, der zweieinhalb Jahre ohne Bewährung gefordert hatte und die Einlegung eines Rechtsmittels prüft. »Aus generalpräventiven Gesichtspunkten« müsse eine empfindliche Strafe ausgesprochen werden, als Signal an die anderen potenziellen Randalierer, sagte der Staatsanwalt. Auch in den übrigen Prozessen wurden harte Strafen verhängt. In einem Fall kam ein so genannter Ersttäter nur knapp mit einer Bewährungsstrafe davon. »Kontinuierlich stieg in den letzten Jahren das Strafmaß an«, sagt die Anwältin Birzer. »Gab es vor fünf Jahren für einen Steinwurf in der Regel noch ein Jahr auf Bewährung, drohen nun häufig mehr als zwei Jahre.Bei einer Freiheitsstrafe von über zwei Jahren ist die Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr möglich.«

Dass der Trend zur Haftstrafe ohne Bewährung geht, zeichnete sich schon im vergangenen Jahr ab. Seit der Einführung der so genannten Deeskalationstaktik der Polizei lässt das Gericht nicht mehr die Begründung gelten, dass man sich durch das martialische und gewaltsame Auftreten der Polizei zum Handeln berufen gefühlt habe. (Jungle World, 37/03) Begünstigt werden die hohen Strafen zudem durch weitere taktische Innovationen. Spezialeinheiten wie die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) sind inzwischen für »chirurgische Eingriffe« in Demonstrationen geschult. Ihre unzähligen Videos dienen als Beweismaterial. Die Beamten sind außerdem darauf trainiert, sich vor Gericht bei ihren Aussagen nicht in Widersprüche zu verwickeln.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ist begeistert: »Die üblichen Ausreden, man habe nur dabeigestanden und nichts gemacht, es sei ein anderer gewesen und ähnliches, konnten so zum Teil direkt durch handfeste Videobeweise widerlegt werden. Umständliche und zeitaufwändige Ermittlungen von Zeugen waren insoweit entbehrlich«, triumphiert ihr Pressesprecher Michael Grunwald.

Kritik an der Vorgehensweise der Verfolgungsbehörden gibt es kaum. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein sieht die Untersuchungshaft für generalpräventive Zwecke missbraucht, was gegen das geltende Recht verstoße. Im Komitee für Grundrechte und Demokratie, das seit Jahren mit Beobachtern die Demonstrationen und Proteste am 1. Mai begleitet, sorgt man sich über »die in der Presse bekannt gewordenen Umstände des Umgangs der Berliner Justiz mit den Menschen, die anlässlich des 1. Mai 2004 in Berlin festgenommen wurden«, und bemängelt den Abbau der »Justizgrundrechte«, so etwa der »grundrechtlich geschützten Demonstrationsfreiheit«. Als einzige Partei beschwerten sich die Grünen halbherzig vor dem Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses.

Die radikale Linke, die den Kampftag der Arbeiterklasse so gern für sich vereinnahmt, ist schon wieder abgetaucht, bis zum nächsten Jahr. Zwar wurden drei Demonstrationen für die Gefangenen des 1. Mai veranstaltet, doch die Resonanz ließ stark zu wünschen übrig. Jeweils maximal 300 Personen kamen zu den Veranstaltungen vor den Justizvollzugsanstalten Moabit und Pankow sowie zu einem Umzug in Kreuzberg.

Das könnte nach Einschätzung des Ermittlungsausschusses (EA) daran liegen, »dass man viele der noch Einsitzenden nicht dem klassisch ›autonomen‹ Politspektrum zurechnen« kann. »Gerade die im Mauerpark Festgenommenen scheinen den EA oftmals gar nicht zu kennen«, vermutet Boelcke. Außerdem habe sich der »Eventcharakter« des 1. Mai verstärkt: »Es gab mehr Leute mit Dosenbier als mit Fahnen oder Transparenten. Wer mit 2,7 Promille einfährt, braucht nicht zu glauben, dass der EA die Anwaltskosten bezahlt.«

Aufklärung und Solidarität tun somit Not bevor ein Jahr vergangen ist und bei der Polizei wieder die Grills angeworfen werden.

Kontakt und Spendenkonto des EA unter www.berlinet.de/mh/ea