Lyrik fürs Séparée

Unabhängig von Russland, verbündet mit Europa – so wünschen sich Deutschland und die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft Tschetschenien und seine Nachbarrepubliken. von jörg kronauer

Heiserer Habicht!« Kehlig tönt die rhythmische Lyrik Apti Bisultanovs durch das Kölner Lew-Kopelew-Forum. Eine Ausstellung über die russische Teilrepublik Tschetschenien wird dort eröffnet, ihr Titel: »400 Jahre koloniale Eroberung – 400 Jahre Widerstand«. Bisultanov, Dichter und Separatist aus der tschetschenischen Sippe der Gucho, verleiht dem Ereignis die kulturellen Weihen. Begeistert applaudiert das Bildungsbürgertum, das ein Herz für unterdrückte Völker hat.

»Deutsch-Kaukasische Gesellschaft« heißt der Verein, der die Ausstellung verantwortet. Der Rettung der Kulturen auf dem Kaukasus hat er sich verschrieben, will »zum Erhalt dieses einzigartigen Stückchens Erde einen Beitrag leisten«, wie es in einer Selbstdarstellung heißt. Vor allem jedoch wirbt er für die »Freiheit Tschetscheniens«, gewährt antirussischen Separatisten wertvolle Hilfe. Und stärkt damit gleichzeitig die Tschetschenien-Politik der Bundesregierung.

Der Kaukasus, der bis 1991 noch vollständig zur Sowjetunion gehörte, sei von »großer geostrategischer Bedeutung«, schrieb der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler vor zwei Jahren. Nur die »Anbindung der kaukasischen Staaten an Europa« genüge »einer langfristig angelegten politischen Strategie«. Die von Erler geforderte Politik ist erfolgreich, Georgiens neue Regierung strebt gar den EU-Beitritt des Landes an. Lediglich der Nordkaukasus bleibt undurchdringliches russisches Territorium, obwohl auch er, wie die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft meint, eigentlich »zu Europa« gehört.

Wie aber soll man den Nordkaukasus »zu Europa« bringen? Alt und simpel ist die deutsche Strategie, aber immer noch wirkungsvoll. »Orangentheorie« nannte man sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ein Experte erklärte damals den richtigen Umgang mit der Apfelsine: »Wie diese Frucht aus einzelnen leicht voneinander lösbaren Teilen besteht, so das russische Reich aus seinen verschiedenen Gebietsteilen.« Man brauche »diese nur voneinander abzulösen und ihnen eine gewisse Autonomie zu geben«, so werde es »ein leichtes sein, dem russischen Großreiche ein Ende zu bereiten«.

Im Jahr 1942 versuchten die Deutschen schon einmal, Tschetschenien aus der russischen Orange zu lösen. Damals marschierte die Wehrmacht auf den Kaukasus zu, der Generalstab fand dort bereitwillige Kollaborateure. Die kaukasischen »Völker« würden die Deutschen als Gäste empfangen, wenn das NS-Regime ihre Unabhängigkeit garantiere, hieß es im »Aufruf an das tschetschenisch-inguschische Volk« vom Juni 1942. Der Pakt mit den Deutschen ist tschetschenischen Terroristen offenbar gut in Erinnerung. Bereits mehrfach gab es im Kaukasus blutige Anschläge auf Befreiungsfeiern zum 9. Mai. Ihre jüngste Offensive starteten die Separatisten am 22. Juni, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion.

Tschetschenien genießt auch heute die Aufmerksamkeit der deutschen Außenpolitik, besonders in ihrer grünen Variante. Erst kürzlich beklagte Christa Nickels in der Zeit die »Untätigkeit des Westens gegenüber den russischen Übergriffen in Tschetschenien«. Deutlicher wird ein »Friedensplan«, den die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft in ihrer Kölner Ausstellung hervorhebt: Die russischen Truppen müssten »sofort« durch internationale Einheiten ersetzt werden, wie im Kosovo solle man eine »Übergangsverwaltung« installieren. Ziel des Planes ist ein unabhängiger Zwergstaat Tschetschenien.

Unabhängig? Wohl nur von Russland. »Wir haben uns am Westen orientiert«, bestätigte Bisultanov kürzlich der Berliner Zeitung. Tschetschenische Separatisten – sie kämen bei erfolgreicher Sezession an die Macht – haben gute Verbindungen nach Deutschland. Bereits Mitte der neunziger Jahre unterstützte die der CSU nahe stehende Paneuropa-Union den Versuch, ein »Tschetschenien-Informationsbüro« in München zu etablieren. Heute hat dort das »Vertretungsbüro der Tschetschenischen Republik von Itschkeria« seinen Sitz.

Der Dichter Apti Bisultanov ist ein lebendes Exempel für die gewünschte Westbindung Tschetscheniens. Seit 1999 Mitglied der tschetschenischen Regierung, ging er Anfang des Jahres 2000 in den antirussischen Untergrund. »Wäre Bisultanov dort geblieben, wäre er vielleicht nicht mehr am Leben«, sagt Ekkehard Maaß, Gründer und Vorsitzender der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft.

Doch es kam anders. »In den Bergen«, erzählt Bisultanov, sei er von Maaß kontaktiert worden; der holte den exzellenten Kenner des tschetschenischen Untergrundes nach Deutschland. Seitdem werben beide gemeinsam für ein »freies« Tschetschenien und arbeiten führenden Berliner Ostexperten zu.

So etwa im November 2003, als Maaß und Bisultanov die SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen und Markus Meckel trafen. Über den genauen Inhalt des »Arbeitsgesprächs« schweigt die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft. Zwei Monate später besuchte Achmed Zakajew, der Europa-Beauftragte des tschetschenischen Untergrundpräsidenten Aslan Maschadov, die deutsche Hauptstadt auf Einladung von Weisskirchen und Meckel. Zakajew, von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben, »sprach mit Außenpolitikern aller Fraktionen«, berichtet die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft, die seinen Aufenthalt in Berlin finanzierte und für ihn dolmetschte. Dass Zakajew in Russland als Mitwisser der Moskauer Geiselnahme vom Oktober 2002 gesucht wird, störte offenbar niemanden.

Wie die Dresdner Neuesten Nachrichten Anfang April enthüllten, hätten deutsche Behörden mit unerklärlichen »Pannen« vielleicht sogar eine Verhinderung des Verbrechens erschwert. Im Juli 2002 besuchte der mutmaßliche tschetschenische Terrorist Arbi Daudov Dresden, schreibt das Blatt. Dort hielt er telefonisch Kontakt zu Personen in konspirativen Moskauer Wohnungen, in denen die Geiselnahme vorbereitet wurde. Trotz einschlägiger Hinweise der russischen Geheimdienste ließen die deutschen Sicherheitsbehörden Daudov ungehindert agieren. Über die Ursachen des ungewöhnlich liberalen Umgangs mit einem verdächtigen Migranten befragt, verwies die Bundesregierung auf einen nicht näher erklärten »nachrichtendienstlichen Hintergrund«.

»Heiserer Habicht!« Knallharte Interessenpolitik steckt hinter der lyrischen Fassade der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft. Um Öltransportwege vom Kaspischen Meer geht es da, um Machtpositionen in den südrussischen Bergen, manche sprechen von einer Einkreisung Russlands durch die EU. Kontakte nach Tschetschenien, auch zum Untergrund, kann das außenpolitische Establishment Berlins dabei gut gebrauchen. »400 Jahre (russische) Eroberung – 400 Jahre Widerstand«: Die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft leistet ihren Beitrag zur deutschen Geostrategie.