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Integration statt Konfrontation

Irak. Während sunnitisch-islamistische und nationalistische Gruppen in der Woche vor der Übergabe der Macht an eine irakische Regierung ihre Angriffe verstärkten, hat die radikale schiitische Miliz des Geistlichen Muqtada al-Sadr eine Kehrtwende vollzogen. »Wir wollen, dass die Machtübergabe friedlich verläuft«, erklärte Sadrs Sprecher Naim al-Kaabi. Vor dem Freitagsgebet wurde eine Waffenstillstandserklärung verlesen. Wegen der »besonderen Umstände« bot die Miliz sogar an, öffentliche Gebäude und die Infrastruktur zu schützen.

Sadr, dessen Miliz sich seit April zahlreiche Feuergefechte mit den Besatzungstruppen geliefert hat, strebt nun offenbar eine politische Integration an. Dies dürfte zum Teil eine Folge des Drucks der von Ayatollah Ali al-Sistani geführten hohen Geistlichkeit und der schiitischen Parteien Sciri und Da’wa sein, die Sadr dazu drängten, seinen Konfrontationskurs aufzugeben. Eine Weiterführung des Kampfes könnte die Miliz zudem isolieren, denn einer Umfrage zufolge vertrauen 68 Prozent der Irakis der neuen Regierung. Den von der Besatzungsbehörde eingesetzten Übergangsrat dagegen haben nur 28 Prozent unterstützt.

Stehen und aussitzen

USA. Das Urteil renommierter US-amerikanischer Juristen über die Arbeit des Justizministeriums fällt nicht sehr positiv aus. »Abscheulich«, »peinlich« und »extremistisch« nennen von der New York Times befragte Experten die Memoranden, die Präsident George W. Bush das Recht zusprechen, die Genfer Konvention zu suspendieren, und Zwangsmethoden bei Verhören legitimieren. Einige Vorschläge hat die Regierung zwar zurückgewiesen, andere von der Genfer Konvention verbotene Methoden wie den Einsatz von Hunden und den Zwang, mehrere Stunden in unbequemen Positionen zu stehen, hat Verteidigungsminister Donald Rumsfeld jedoch genehmigt.

Nun bleibt als zweite Verteidigungslinie nur die Behauptung, es handele sich gar nicht um Folter. »Ich stehe täglich acht bis zehn Stunden«, rechtfertigte Rumsfeld seine Entscheidung, und Bush behält sich auch »in zukünftigen Konflikten« das Recht vor, die Genfer Konvention zu suspendieren. Allerdings ist fraglich, ob Bush dazu die Gelegenheit haben wird. Umfragen zufolge hat John Kerry derzeit vier Prozent Vorsprung, und erstmals betrachtet eine knappe Mehrheit der US-Amerikaner den Irakkrieg als »Fehler«.

Kampagne gegen Folter

Ägypten. In einigen arabischen Staaten haben die Enthüllungen über die US-Folterpraktiken auch zu einer Debatte über die Zustände in den Gefängnissen im eigenen Land geführt. Ägyptische Menschenrechtsorganisationen haben ihre Kampagne gegen die Folter verstärkt. »Die Leichen und die Fotos der Opfer sind da. Die Zeugenaussagen jener, die die Folter überlebten, sind auch da«, erklärte Abdallah Mansour von der Egyptian Association Against Torture (EAAT) in der vergangenen Woche bei der Übergabe eines Berichts an die Presse. Misshandelt werden vor allem politische Gefangene, deren Zahl auf 17 000 geschätzt wird.

Das Innenministerium bestreitet weiterhin alle Vorwürfe. Doch auch Teile des politischen Establishments haben sich nun der Kritik an den vor allem vom Geheimdienst praktizierten Methoden angeschlossen. Der Tod Akram Zuheiris Anfang Juni im Gefängnis Torah wurde von einer Parlamentsdelegation untersucht. Die Abgeordneten stellten fest, dass Zuheiri starb, weil seine Verletzungen »nach achttägiger schwerer Folter« nicht behandelt wurden.

General gegen Generalstreiks

Nigeria. Vertrauen ist gut. »Obwohl ich noch keine Kopie des Gesetzes gesehen habe, werde ich ihm zustimmen, weil es den Arbeitern Freiheit gibt«, erklärte Senator Victor Ndoma-Egba. Um die nigerianischen Arbeiter zu befreien, legte Präsident Olusegun Obasanjo in der vergangenen Woche ein Gesetz vor, das die Auflösung des Gewerkschaftsverbands NLC (Nigerian Labour Congress) vorsieht. Nur in einer komplizierten Prozedur unter staatlicher Kontrolle sollen sich Gewerkschaften künftig zusammenschließen dürfen. Auch das Streikrecht will der ehemalige General Obasanjo einschränken.

Die Reform sei eine Bedingung für die Reduktion der Auslandsschulden, und »die Nigerianer sollten fähig sein, dieses Opfer zu bringen«, meint Senatspräsident Adolphus Wabara. Das wichtigste Motiv dürfte jedoch sein, dass der NLC allein in den vergangenen neun Monaten drei Generalstreiks gegen die Benzinpreiserhöhungen organisiert hat. Isolierte Branchen- und Betriebsgewerkschaften könnten der Regierung, die auch umfassende Privatisierungen plant, nicht mehr gefährlich werden.

Mörderische Patrioten

Russland. Bislang waren die Opfer faschistischer Überfälle meist »Schwarzhaarige« aus dem Kaukasus. Am vorletzten Samstag wurde Nikolai Girenko, einer der renommiertesten russischen Experten für Rassismus und Rechtsextremismus, in St. Petersburg erschossen. Eine faschistische Gruppe veröffentlichte auf ihrer Website ein »Urteil«, dass Girenko hingerichtet werden müsse, weil er »Patrioten« ins Gefängnis gebracht habe. Girenko, der eine Methode zur Klassifizierung von hate crimes entwickelt hat, trat in mehreren Prozessen gegen rassistische Gewalttäter als Gutachter auf. In dieser Woche sollte einer dieser Prozesse gegen Mitglieder der Russischen Nationalen Einheit (RNE) in Nowgorod fortgesetzt werden.

Obwohl alles auf ein rechtsextremes Attentat hindeutet, sprach die Staatsanwaltschaft von Hooliganismus, eine häufig gebrauchte Formel bei faschistischen Straftaten. Der Mord sei nur möglich gewesen, weil die Stadtverwaltung »die Existenz von Skinheads und Extremisten ignoriert hat«, urteilte Juri Vdovin von der Menschenrechtsorganisation Citizens Watch.