Mein Klagenbuch

In Klagenfurt wurde der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Deswegen wurden Texte verlesen, äußerst komische Texte. von naatz (der)

Liebe Freunde! Lange Zeit habe ich dieses Feuilleton gemieden, doch es ist an der Zeit, die Heimreise anzutreten. Denn wieder einmal fand stockend Vorlesen mit allerhand gesetzten Kunstpausen in Klagenfurt statt. Ich jedoch fasse mich kurz, da es Ihnen sicher nicht zusagen würde, wenn ich ohne Unterlass radischbrechen würde.

Zum besseren Verständnis dieses Textes will ich Ihnen erläutern, wie ich mich auf ungeheuerlich irritierende Kulturspektakel wie das in Klagenfurt vorbereite. Zunächst war ich auf dem Karneval der Kulturen in Berlin, da ich es nicht vermochte, den Menschen, die mich gegen meinen Willen dort hinschleppen wollten, Paroli zu bieten. Dort hatte es eine Unmenge Fahrzeuge. Am Besten gefiel mir der »Isch-komme-Kreuzschbersch-bin-isch-Aggro-wa«-Wagen, der von jugendlichen osmanischen Übeltätern bevölkert war, die wie amerikanische Filmschauspielerinnen ihre Arme in den Hüften oder auch vor der Brust verschränkt hatten und Gesichter schnitten, dass man Furcht in sich aufsteigen fühlte.

Des Weiteren stieß mir ein Fahrzeug von amnesty international übel auf. Mittels saublöder Plakate trudelten offenbar dem THC-Genuss zugetane Weibchen diesem hinterher. Auf den Plakaten stand »Ich kann die Gefühle einer Frau nicht nachvollziehen, aber die eines politischen Gefangenen, der in den Arsch gefickt wird und im Knast sitzt und darauf wartet, dass man ihn elektrokutiert« oder so ähnlich. Keine Ahnung haben diese Bestien wahrscheinlich von der Gefangenschaft, denn sonst wüssten sie nämlich, dass man im Gefängnis sicherlich nicht T-Shirts mit Fingerfarben beschmiert, wie sie es offenbar getan hatten, um zum Ausdruck zu bringen, dass Kreativität ganz toll ist.

Immerhin hat die Bratwurst auf dem Karneval der Kulturen nur einen Euro gekostet, und die Hippies, die sich der Jonglage hingaben, saßen entfernt auf einer von Hunden zerschissenen Wiese und nervten nicht, da man Abstand hielt. Ein Herr in einen pfauenartigen Ensemble auf Stelzen verlor währenddessen nonstante pede das Gleichgewicht und zerschellte in der am Wegesrand aufgestellten Menge. Blöde gegrinst hat er. Gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, das in die Leimfabrik geführt wird. Immerhin hat er sich nicht weh getan.

Nach dem Karneval der Kulturen war ich in Erlangen und trank Bier im Schwarzen Ritter. Da hat es Damen, die Rum-Sitzungen zur Kultur erheben.

So war ich dann auch gewappnet, mir den Bachmannliteraturwettbewerb aus Klagenfurt anzuschauen, der wieder einmal zur Unzeit auf 3sat lief.

Dort hatte es Herrschaften, die jedem Text vorwarfen, er sei nicht durch und durch durchkonstruiert, ergo keinerlei Literatur, und höchstens ein bejammernswert substanzloser Versuch, eine auf bloßem Erzählen basierende Heldensage zu schreiben. Und dann kam so ein Herr und beschrieb eine Hutablage, dass es zum Erbarmen war, und die Jury jubelte und krähte: brillant, echte und wahre Literatur sei das und wirkliche Narration. Dann las eine Frau so einen Schwurbel von Guantanamo vor, und es war öde, und die Jury sagte: »Es ist öde«, was ja absolut richtig war, und dann sagte sie auch noch, »Sie haben das ja gar nicht selber erlebt, Sie törichte Bestie«. Die Autorin gab klein bei, und das Preisgeld blieb aus. Ich aber schrie vor dem Fernseher: »Kafka, die heilige Kuh des Literaturbetriebes, hat ja auch alles selbst erlebt. Der war ja Hungerkünstler und sein Papa ist zerbrochen wie ein zu oft getragener Krug und in Scherben zersprungen, als er ihm die Meinung sagte, und in einen Käfer hat er sich verwandelt, dieser Kafka, und ovalrunde Platten gesehen, die laut einem Polizeibericht nicht existieren dürften. Außerdem hatte Hemingway Feste gefeiert, und Goethe hatte sich ein Blei zwischen die Glubscher gesetzt, und Schiller mit Feldherren gebechert und Früchte vom Haupt Minderjähriger expediert mit flinker Bogensehne, und Grass hat unterm Rock seiner Großmutter gehaust und die Nazis mittels eines unvollkommenen Drumsets in den Wahn getrieben, und Thomas Mann hatte Tuberkulose geschoben und eine gehörige Naphtalinsucht betrieben und im Lungenhospiz einen Großteil seines Lebens verschwendet, und schwul war er auch nicht. Ihr Bestien, ihr törichten Bestien!«

Ich verstaute die Ärmchen in der Hüfte wie eine amerikanische Filmschauspielerein und stimme »Kä Sera« an. »Ihr Bestien!« wiederholte ich und meinte doch nur Frau Radisch, die den Gegenranicki gab und tobte und unwetterte und polemisierte und nicht sehen wollte und lamentierte und beinahe so selbstverliebt war wie O.W. Fischer am Strande von Santa Monica. Diese Radisch ist böse.

Ich schaltete um und sah mir stattdessen lieber »Punkt 12« auf RTL an, wo Frau Burkard Meldungen verlas, die von solcher Unsinnigkeit waren, dass man meinen mochte, das sei alles kafkaesk. Doch das war die Wahrheit, und die seltsamen Meldungen waren mir beinahe lieber als das Gewäsch einer Radisch.

Alle Texte in Klagenfurt beschrieben nur Nazithemen, und man meinte, man schaue das ZDF, das ja ein einziges NS-Fernsehen ist: Hitlers Frauen, Hitlers Eisenbahn, Hitlers Hunderl usw. Ich schaltete erneut um und war heilfroh, als im ZDF ein Spielfilm kam, mit einer amerikanischen Filmschauspielerin, die die Hände in die Hüften stützte und sagte, sie wolle doch einmal sehen, was es mit der Angelegenheit auf sich habe und ob der feine Herr sich es nicht noch einmal überlegen wolle.

Immerhin gab es neben Klagenfurt kein weiteres Ereignis, das meine Aufmerksamkeit verlangte. Außer dieser EM, wo Herr Calmund von »Stahlhelm auf, Dreck fressen, kämpfen!« lamentierte und dabei daherkam, als schaue er lieber Tintorettos weißbärtigem Manne nach, als Ruckreden zum Besten geben zu wollen. Egal, unsere Jungens haben nichts Falsches getan. Da hatte die große Fußballkunst eben ein einziges Mal Pause. Haben das Tor nicht getroffen, aber alles versucht und gelten nun als Versager, unsere Ballackrobaten und Konterkahnkinder, die unseren Respekt allein dafür verdienen, dass sie nicht wie die von Calmund geforderte Wehrmacht einherritten und Staaten des verfeindeten / befreundeten Auslandes niederrangen.