Hitlers Kleinod

Hier wurde Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannt. Zum Dank wollte er Braunschweig zur Musterstadt ausbauen. Kein schöner Land II. von axel klingenberg

Vom Nussberg aus hat man eine gute Sicht auf Braunschweig, dessen Silhouette geprägt ist durch zahlreiche Kirchtürme und durch eine Reihe neuerer Gebäude, unter ihnen der Turm der ehemaligen Bernhard-Rust-Hochschule für Lehrerbildung. Ein massiver Aussichtsturm auf dem Berg erweist sich bei näherer Betrachtung als ein ehemaliger Bunker. Rechts daneben befindet sich eine Mauer mit einer Rednerkanzel. Unter ihr fällt der Nussberg flach ab und mündet in ein Sportgelände, das so genannte Franzsche Feld.

Im Dritten Reich wurde dieses Gelände in Erinnerung an einen Aufmarsch von 100 000 SA-Männern und einigen Tausend Hitlerjungen im Jahr 1931 »SA-Feld« genannt. In direkter Nachbarschaft befindet sich eine ehemalige Kaserne, in der das damalige Luftflottenkommando untergebracht war.

Schon vor der Machtübernahme galt der Freistaat Braunschweig als Hochburg der Bewegung. Ab 1930 waren die Nazis an der Landesregierung beteiligt, 1932 wurde Hitler in Braunschweig die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt, weshalb ihm der Weg zur Kandidatur für das Reichspräsidentenamt offen stand.

Adolf Hitler wollte Braunschweig zu einer nationalsozialistischen Musterstadt ausbauen. Am Nussberg sind die Veränderungen, die die Nazis vornahmen, deutlich zu erkennen. Vom Burgplatz in der Innenstadt zog sich eine Prachtstraße vorbei am Luftflottenkommando bis zum SA-Feld und zum dahinter befindlichen Thingplatz. Dieser wurde im Stile eines antiken Amphitheaters in einer Art Schlucht angelegt, die durch den Abbau des Rogensteines entstanden war. Die »Weihestätte« wurde vom Reichsarbeitsdienst errichtet und im August 1935 mit dem monumentalen Schauspiel »Arbeiter und Bauern« eingeweiht.

3 000 Menschen waren daran beteiligt. Das Theater bot 15 000 Zuschauern Platz, aufgeführt wurden anfangs so genannte Thingspiele, monumentale, an die griechische Tragödie angelehnte Schauspiele, die die Volksgemeinschaft erfahrbar machen sollten, beim Publikum jedoch nicht den erhofften Andrang auslösten. Deshalb verlegte man sich im Laufe der Zeit auf Opern und Sinfonien.

Der Aussichtsturm auf dem Nussberg war ein im vorletzten Kriegsjahr erbauter Beobachtungsbunker, der weniger der Flugabwehr als der Feuerwehr diente. Außerdem befanden sich unter ihm noch zwei Trakte für die Parteileitung und für die Polizeiführung Braunschweigs. Gegen Ende des Krieges leisteten hier Schülerinnen ihre Hilfsdienste. Sie lebten wie die Häftlinge und Kriegsgefangenen, die die Bunkeranlagen errichteten, in ungeschützten Baracken. Auf der anderen Seite des Berges, hinter dem Thingplatz, bauten die Gefangenen einen Schutzstollen, der 10 000 Menschen Platz bot. Nach seiner Inbetriebnahme war den Gefangenen das Betreten der Anlage verboten.

Die erwähnte Prachtstraße wurde Hermann-Göring-Allee genannt. Sie schlängelte sich am Nussberg und am Prinzenpark vorbei nach Riddagshausen zu einem der ersten deutschen Naturschutzgebiete. Dort befand sich auch der Reichsjägerhof, der nach dem Reichsjägermeister Hermann Göring benannt war. Bescheidenheit war nicht unbedingt eine Stärke des nationalsozialistischen Multifunktionärs.

Die Allee wurde 1945 nach Kriegsende in Hindenburg-Allee umbenannt. So weit war die Entnazifizierung noch nicht vorangeschritten, dass man den General und Politiker, der bis 1934 Reichspräsident war, als anrüchig ansah. Heute erinnert die Straße sowohl an die Herzogin Elisabeth als auch an die Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Heinrich Jasper. Der Letztgenannte wurde von den Nazis ermordet.

Auch Industrie wurde damals von der Naziführung in der Stadt und im Land Braunschweig angesiedelt. Im nahe gelegenen Wolfsburg wurde ein Kraft-durch-Freude-Werk in Betrieb genommen, in Salzgitter waren es die »Reichswerke Hermann Göring«, und in Braunschweig wurden entsprechende Zulieferbetriebe gebaut.

Außerdem entstanden in Braunschweig während der Nazizeit auch pädagogische Einrichtungen, von denen die wichtigsten die schon erwähnte Hochschule für Lehrerbildung sowie die Akademie für Jugendführung der Hitler-Jugend (HJ) und die SS-Junkerschule im Welfenschloss waren. Das Schloss wurde im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört, seine Reste wurden in den Nachkriegsjahren abgerissen.

Ungeachtet dieser Geschichte will der derzeitige Stadtrat unter dem ehemaligen NPD-Funktionär und jetzigen CDU-Mitglied und Oberbürgermeister Gert Hoffmann das Schloss wieder aufbauen. Die Ansichten darüber gehen in Braunschweig auseinander. Der Wiederaufbau des Schlosses, der am Montag voriger Woche beschlossen wurde, ist jedoch typisch für den Umgang der Stadt mit ihrer Vergangenheit. Es finden sich kaum Hinweise auf die zahllosen nationalsozialistischen Baudenkmäler. Am auffälligsten ist dies am Nussberg. Weder die Reste der Weihestätte noch die Rednerkanzel werden den Spaziergängern erklärt. Die Bunkeranlagen sind zwar noch deutlich zu erkennen und zum Teil sogar begehbar, Tafeln dazu finden sich aber nirgends.

Zu Beginn der Amtszeit Hoffmanns im Jahr 2001 berichtete die Braunschweiger Zeitung, dass der Redaktion ein Brief zugespielt worden sei, in dem es geheißen habe, dass es »bereits erste Informationsgespräche mit hochrangigen Vertretern der Verwaltung gab«, um den Thingplatz wieder aufzubauen »und zu neuem, allerdings politisch unbelastetem Leben« zu erwecken. »Die Gedanken an den Bau eines Freilichttheaters sind kaum anders als im Zusammenhang mit der geplanten Bewerbung Braunschweigs und der Region zur Kulturhauptstadt Europas 2010 zu werten«, kommentierte die Zeitung.

Die Stadtverwaltung dementierte heftig. »Überlegungen in einem früheren Stadium hatten sich zum Zeitpunkt der Berichterstattung erledigt und waren daher auch mit der Verwaltungsspitze gar nicht erst erörtert worden«, hieß es in einer Stellungnahme.

Der Wiederaufbau des Schlosses als Einkaufszentrum mit Schlossfassade zeigt jedoch, dass Hoffmann wenig Skrupel hat, auch historisch belastete Gebäude wieder in Betrieb zu nehmen, wenn er meint, sie würden seinen Träumen von einer modernen Einkaufsstadt mit historischem Anstrich dienen.