Die Höfe mehren sich

Der Neonazianwalt Jürgen Rieger hat erneut ein Anwesen erworben. Auf dem Gut Heisehof in Niedersachsen will er »Fruchtbarkeitsforschung« betreiben.

Der neue Besitzer des Gutes Heisehof hat sich bei der Gemeindeverwaltung Dörverden noch nicht vorgestellt. Doch sein Ruf eilt ihm in der niedersächsischen Gemeinde voraus. Für nur 255 000 Euro erwarb der Neonazianwalt Jürgen Rieger aus Hamburg im Frühjahr dieses Jahres das ehemalige Bundeswehrgelände an der Bundesstraße 215 zwischen Nienburg und Verden. Erst vorige Woche ist der Name des neuen Besitzers des Landgutes bekannt geworden. »Wir fürchten um die öffentliche Ordnung durch vermehrtes Auftreten von Rechtsextremisten«, sagt der Bürgermeister von Dörverden, Rainer Herbst (CDU).

Das Gut versteigerte nicht die Gemeinde, sondern die bundeseigene Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG). Sie bemühte sich jahrelang, die Immobilie abzustoßen. Dass sie ausgerechnet einem der bekanntesten deutschen Neonazis das über 26 000 Quadratmeter große parkähnliche Gelände mit vier gut erhaltenen Gebäudekomplexen verkaufte, will sie nicht verantworten. Denn das Geschäft sei telefonisch abgewickelt worden. Es habe »keine Möglichkeit gegeben, den Erwerber vorab zu identifizieren«. Schließlich habe Rieger die Immobilie als Bevollmächtigter der Wilhelm-Tietgen-Stiftung für Fertilisation Limited erworben.

In der Gemeinde fürchten alle politischen Parteien, dass ein »neues Hetendorf« entsteht. Von 1991 bis 1998 unterhielt Rieger in dem Ort Hetendorf nahe Celle ein Zentrum, in dem er neben Schulungen und »Sonnenwendfeiern« auch Wehrsportübungen veranstaltete. Nach jahrelangen Protesten verbot die niedersächsische Landesregierung die Trägervereine und beschlagnahmte das Gelände.

Auf dem Heisehof solle aber kein Schulungszentrum aufgebaut werden, sagt Rieger der Welt zufolge. Die Stiftung will ein Zentrum für »Fruchtbarkeitsforschung« einrichten. Damit wolle man »kinderlosen Ehepaaren zu Kindern verhelfen«, sagte Rieger den Verdener Nachrichten. Als Vorsitzender der Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung bemüht er sich bereits theoretisch um germanischen Nachwuchs.

Seit zwei Jahren besteht die Wilhelm-Tietgen-Stiftung mit Sitz in London. Ihr Namensgeber verstarb im Jahr 2002. Nach Recherchen des Fernsehmagazins »buten un binnen« von Radio Bremen hat Wilhelm Tietgen, ein früheres Mitglied der NSDAP, Rieger eine Million Euro vererbt. Tietgen, der Lehrer in Bremen war und selbst keine Kinder habe zeugen können, habe sein Vermögen vor allem mit Aktienspekulation erworben. Bereits 1995 soll er demnach Rieger bei dem Kauf des Gutes Sveneby in Schweden mit Geld ausgeholfen haben.

Das Gut in Südschweden kaufte Rieger für 2,2 Millionen Mark, um mit »national« gesinnten Familien, fernab von »Überfremdung« und »Umerziehung«, ökologische Wirtschaft und artgerechte Tierhaltung zu betreiben. Die Neonazikommune scheiterte. Rieger fand keine »18 deutschen Familien«. Allerdings zogen »Reiki-Meisterinnen« und Heilpraktiker ihre Seminarangebote auf dem Gut mit der »positiven Energie« erst zurück, als der Name des Gutsbesitzers in der taz genannt wurde. Für die artgerechte Tierhaltung erhielt Rieger Fördergelder der Europäischen Union von jährlich 300 000 Mark.

Den Londoner Sitz der Stiftung wählte er offenbar wegen der liberaleren Gesetze dort. »Zum Beispiel ist die Leihmutterschaft bei uns ja verboten, in England aber nicht«, erklärt er. Den Heisehof, in dem früher das Offizierskasino und die Standortverwaltung der ehemaligen Kaserne untergebracht waren, habe die Stiftung zunächst einmal als Geldanlage erworben. »In zwei bis drei Jahren wird sich was tun«, kündigt Rieger an. Später solle hier über Fertilisation geforscht werden.

Neue Räumlichkeiten für Aufzucht oder Tagungen muss der wegen Volksverhetzung verurteilte Rieger nicht sofort in Dörverden einrichten. Denn Ende vergangenen Jahres erwarb er bereits ein Fachwerkhaus aus dem 19. Jahrhundert in Hummelfeld. Ganz offiziell kaufte er als Vorsitzender der Artgemeinschaft Germanische Glaubens-Gemeinschaft das etwas windschiefe Haus in einem schleswig-holsteinischen Landschaftsschutzgebiet an der Schlei.

Die »Artgemeinschaft« will seit 1951 die »germanischen Sittengesetze« wiedererwecken und tritt für eine »gleich geartete Gattenwahl als Gewähr für gleich geartete Kinder« ein. Mittlerweile nutzen die heidnisch orientierten Neonazis den großen Versammlungssaal mit Holzkamin und die kleinen Zimmer. Regelmäßig würden junge Erwachsene und ältere Herrschaften aus dem In- und Ausland einkehren, berichtet der ehemalige Besitzer des Gebäudes, der im Anbau wohnt. An den Wochenenden kämen junge Kameraden aus Kiel und Eckernförde, um den Umbau voranzutreiben, erzählt der auch germanisch-heidnisch Inspirierte. In seinem Büro hat er eine Wand mit der mythischen Weltenesche »Yggdrasil« verziert.

Inzwischen wird den Politikern in Dörverden klar, wie wenig sie gegen Riegers Aktivitäten tun können. Möglicherweise könne die IVG den Verkauf ja noch »rückabwickeln«, schlug Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) vor. Die IVG winkte aber prompt ab. Der Vertrag sei notariell unterzeichnet worden, das Geld angekommen, ein »Rücktritt seitens des Verkäufers ist daher nicht möglich«. Von sich aus versucht Rieger derweil nur, sein im Jahr 1999 in Hameln erworbenes Gebäude mit Kino, Wohnungen und Geschäften zu verkaufen. Über vier Millionen Mark soll er für den Gebäudekomplex damals gezahlt haben.

Einzig Dörverdens Bürgermeister kann ihm noch Steine in den Weg legen. »Im Rahmen der Bauleitplanung können wir etwas gegen ihn unternehmen«, sagt Herbst. Die Gemeinde habe »Planungshoheit«. Daraus »ergeben sich auch Möglichkeiten, Baugesuche zurückzustellen«. Rieger dürfte diesen Auseinandersetzungen gelassen entgegensehen. Im Interview mit dem Magazin »Report« schwärmte er einmal von der großen Schlacht: »Wenn der erste Reporter umgelegt ist, der erste Richter umgelegt ist, dann wissen Sie es, es geht los. Nicht die Großen (…), das interessiert nicht. Aber die Gruppierungen, die sind dran. Reporter, Richter, Polizisten, Sie.«

Geändert: 14. Mai 2009