Die Sprache hassen

Die Rechtschreibreform sabotiert die deutsche Sprache. Weiter so! von stefan ripplinger

Von den guten sind die schlechten Schriftsteller leicht zu scheiden: Die schlechten lieben die Sprache. Wenn es ganz schlimm kommt, lieben sie die deutsche Sprache. Bevor sie sich ans Keyboard setzen, öffnen sie den Kragen, lockern den Gürtel und schreiben, als ob sie gerade in ihrer Eckkneipe oder im Literarischen Colloquium säßen. Bequemlichkeit im Schreiben, Flüssigkeit, Alltagsnähe des Geschriebenen sind ihre hohen Ideale; ebendeshalb mufft ihr Geschreibe nach alten Socken. Diese Ideale bringen sie auf gegen die Rechtschreibreform, die ihnen Kleidervorschriften macht und, weil sie zum Nachdenken über Zusammenschreibung oder Zeichensetzung zwingt, den Sumpf ihrer Flüssigkeit trocken legt. Und weil es in Deutschland fast nur schlechte Schriftsteller gibt, waren alle, von Hans Magnus Enzensberger bis hinab zu Martin Walser, gegen die Reform.

Der gute Schriftsteller hasst die Sprache. Wenn er nicht, wie Samuel Beckett, seine Zuflucht in eine andere nimmt – denn jede ist besser als die Muttersprache, und keine scheußlichere gibt es als die deutsche –, versucht er wenigstens, sich die eigene so fremd wie möglich zu machen. Jeder neue Erlass der Kultusministerkonferenz, je zwanghafter, desto besser, käme ihm gerade recht. Wenn diese Konferenz morgen beschlösse, zur weiteren Läuterung der Sprache sei es notwendig, alle Vokale zu tilgen, wäre er der erste, der ihr applaudierte: »Ch bn dfr!«

An wen soll sich nun ein armer Journalist halten, an die schlechten Schriftsteller, die schreiben und schreiben, oder an die guten, die nicht mehr oder noch nicht schreiben?

Er muss sich übrigens den fadenscheinigen Argumenten der Reformatoren gar nicht anschließen. Sie gehen darauf aus, Widersprüche zu beseitigen und die Sprache logisch zu durchforsten. Als ob sie nicht schon logisch genug, ja von tödlicher Logik wäre. Sie wollen dem Kind das Lernen erleichtern. Bewahre! Dem Kind muss Lesen und Schreiben so schwer wie irgend möglich gemacht werden, denn nur wo Reibung ist, fliegen Funken. Und sie wollen, das ist das Ärgste, Fremdwörter dem deutschen Lautbestand anpassen.

Da sie aber die widerspenstige Materie nicht in den Griff bekommen, haben sie in allem das Gegenteil dessen erreicht, was sie wollten. Sie haben Verwirrung gestiftet und Kinder gequält, sie haben Wörter verfremdet, anstatt sie einzudeutschen; denn die Crème, mehr noch die Creme hat etwas Heimeliges, nicht aber die Krem, wenn sie auch an Meerrettich erinnert. Und heraus kam ein Wunderwerk, das nur damit noch verbessert werden kann, wenn jedes Jahr eine Novelle erscheint, die eine ungewohnte Regel in Kraft und eine gewohnte außer Kraft setzt. Eine große Zahl von Menschen fühlt sich bereits jetzt am Plappern gehindert, eine nicht geringe glaubt sogar, das »ß« sei abgeschafft, und sieht überall die SS marschieren. Hätte es besser kommen können?

Dass gegen diese schöne Entwicklung nicht nur die emeritierte Professorenschar und das Feuilleton, sondern nahezu das gesamte verrottete Bildungsbürgertum wie ein Mann aufstand und die geölte Stimme erhob, ist ein aus anderen Fällen zu vertrautes Bild, als dass es lohnte, sich lange daran aufzuhalten. Ob es Saddam gegen die Amerikaner oder unsere schöne deutsche Sprache gegen den Ansturm der Barbaren und Bürokraten zu sichern gilt, erheben sich doch immer dieselben Zombies aus ihren Gräbern.

Das ist eine alte Geschichte. Schon die Einführung der klassischen deutschen Sprache war ein widerliches Spektakel. Damals ging es gegen die Franzosen und ihre überlegenen Formen und Gesetze. Ob Lessing, ob Herder, man wollte den Kragen öffnen und die Hose lockern, es Ahnherr Luther gleichtun und reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. So begann sich die Wüste auszubreiten, in der wir leben müssen. Während die französischen Klassiker, der höfischen Strenge verpflichtet, sich noch heute frisch und klar lesen, rieselt aus den deutschen Naturidyllen und Seelenergötzungen der Staub.

Wenig verwunderlich, dass unter denen, die dem Volk aufs Maul schauen, so viele völkische Typen sich finden. Es ist überhaupt kein Zufall, dass die Retter der Muttersprache vaterländisch fühlen. Aber dank der Reform tritt nun heilsame Entfremdung ein.