»Humanitäre Taten reichen nicht aus«

Fulvio Vassallo Paleologo

Während die Besatzung des deutschen Rettungsschiffs Cap Anamur nach fünf Tagen Haft wieder freikam, sitzen die 37 afrikanischen Flüchtlinge weiterhin in Abschiebehaft. Die italienischen Behörden haben ihre Asylgesuche abgelehnt. 14 von ihnen sollen abgeschoben werden, für die anderen besteht noch Hoffnung auf Gewährung von »humanitärem Schutz«. Als Flüchtlinge werden sie jedoch nicht anerkannt.

Fulvio Vassallo Paleologo arbeitet als Rechtsanwalt für die ASGI (Vereinigung für juristische Einwanderungsstudien), eine Gruppe von Anwälten und Aktivisten, die Migranten juristische Unterstützung anbieten. Mit ihm sprach Federica Matteoni.

Viele Menschenrechtsorganisationen haben im Fall Cap Anamur eine »humanitäre« Lösung gefordert. Haben Sie wirklich gehofft, dass die italienische Regierung die 37 Afrikaner als Flüchtlinge aufnimmt?

Nach wie vor lautet unsere Forderung: Diesen Menschen muss erlaubt werden, in Italien einen Asylantrag aus humanitären Gründen zu stellen. Dies würde eine schnellere Prozedur bedeuten als ein Asylverfahren nach den Kriterien der Genfer Konvention, denn dafür ist der Nachweis einer individuellen Verfolgung nicht erforderlich.

Seit gestern gibt es in Italien eine positive Entwicklung. Das Verfassungsgericht erklärte einen wichtigen Punkt des italienischen Bossi-Fini-Gesetzes zur Einwanderung für verfassungswidrig: Es wird künftig nicht mehr möglich sein, »illegalen« Einwanderern das Recht auf Asyl zu verweigern und sie abzuschieben, ohne dass ihnen die Möglichkeit gewährt wird, vor Gericht gegen ihre Abschiebung vorzugehen.

Diese Entscheidung hat nichts mit dem Fall Cap Anamur zu tun, sie war uns seit Monaten bekannt; aber nun tritt sie offiziell in Kraft und gibt uns Hoffnung. Und nicht nur für die Zukunft der 37 Afrikaner der Cap Anamur.

Die 37 Afrikaner sitzen mittlerweile in Abschiebelagern. Ist es also sicher, dass alle abgeschoben werden?

Nein, das ist noch nicht sicher. Ich gehe davon aus, dass die Prüfungskommission diesen Menschen den Flüchtlingsstatus zuerkennen wird, zumindest in einigen Fällen. Die Einzelfälle müssen noch geprüft werden, und dies sollte erst dann geschehen, wenn sich die Lage ein wenig beruhigt hat.

Wer mit Flüchtlingen arbeitet, weiß, dass man den ersten Versionen ihrer Erzählungen kaum Glauben schenken sollte. Es macht keinen großen Unterschied, woher sie kommen, diese Menschen werden in der Regel einem unglaublichen Druck ausgesetzt, oft lügen sie, weil sie Angst haben. Einige der Flüchtlinge auf der Cap Anamur kommen offenbar aus dem Sudan, andere aus anderen Ländern, wie es in diesen Fällen normal ist. Jeden Sommer kommen hunderte von Migrantenschiffen nach Sizilien, immer handelt es sich um Menschen aus verschiedenen Ländern. Ich möchte aber noch einmal betonen: Im Hinblick auf die Prozedur der Asylantragstellung in diesem Fall ist es ganz egal, woher sie kommen.

Was sieht das neue italienische Einwanderungsgesetz zum Thema Asyl vor?

In Italien gibt es noch keine einheitliche Asylgesetzgebung. Die vom Bossi-Fini-Gesetz vorgesehenen Asylverordnungen durften nicht vor ihrer Überprüfung durch das Verfassungsgericht in Kraft treten.

In punkto Asyl galt bislang ein Gesetz aus dem Jahr 1990, wonach im Fall einer Ablehnung seines Asylantrags ein Asylbewerber sofort zur »illegalen« Person wird. Über die rechtliche Grundlage einer Ablehnung schweigt der Gesetzgeber jedoch und gibt damit der Willkür freie Hand. Das können wir am Beispiel dieser Flüchtlinge beobachten, nicht zuletzt wegen der großen Medienresonanz, auf die sie gestoßen sind. Aber solche Fälle sind in unserem Land und in ganz Europa auf der Tagesordnung. Über das Bossi-Fini-Gesetz, welches Abschiebungen auf Polizeiorder ohne richterlichen Beschluss vorsieht, liegt nun eine Entscheidung des Verfassungsgerichts vor, die den Flüchtlingen zumindest eine elementare Rechtsgarantie gewährt, einen Rechtsschutz vor willkürlicher Abschiebung.

Die Cap Anamur wurde aber auch zum europäischen Fall. Hat das Zuständigkeitsgerangel zwischen Italien, Deutschland und Malta nicht gezeigt, dass es in der europäischen Asylgesetzgebung »schwarze Löcher« gibt?

Richtig. Das Schengener und das Dublinabkommen, welche die Verteilung von Asylanträgen und Abschiebeprozeduren innerhalb der Europäischen Union regeln, haben bereits vor der EU-Erweiterung schlecht funktioniert.

An der Südgrenze Europas liegen die neuen EU-Staaten Zypern und Malta. Die Anwendung des Dublinabkommens wird für diese Länder nunmehr problematisch, denn es sieht beispielsweise vor, dass alle »illegalen« Einwanderer, die über Malta in die EU kommen, wieder nach Malta zurückgeschickt werden sollen.

In Malta existiert keine Gesetzgebung zum Schutz von Asylbewerbern. Dort sollten also Abschiebegefängnisse entstehen für tausende von »illegalen« Einwanderern, die aus Deutschland, Frankreich oder anderen EU-Ländern abgeschoben werden. Das ist eine absurde Vorstellung.

Ein weiterer Aspekt der europäischen Asylgesetzgebung ist die weit verbreitete Praxis der Internierung in Abschiebe-, Aufenthalts- oder Identifikationslagern. Ganz egal, wie man sie nennt, es handelt sich um Gefängnisse. Es ist dringend notwendig, die europäische Gesetzgebung zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus zu harmonisieren und zu revidieren. Notwendig ist auch ein einheitliches Gesetz zum Schutz der Menschen, die nach Europa kommen, um zu arbeiten. Italien ist momentan europaweit das schlimmste Beispiel. Mit der Koppelung der Aufenthaltserlaubnis an einen Arbeitsvertrag werden dort Nicht-EU-Ausländer der Willkür der Unternehmer unterworfen.

Denken Sie, dass Aktionen von Organisationen wie Cap Anamur, die sich explizit als »unpolitisch« bezeichnet, auch politische Auswirkungen in diese Richtung haben können?

Die Cap Anamur rettet Menschen aus Seenot, sie rettet menschliche Leben, und ich würde mir wünschen, dass es im Mittelmeer hunderte von solchen Schiffen gäbe. Denn die Meerenge zwischen Afrika und Sizilien ist zu einem gewaltigen Friedhof geworden, wo jährlich hunderte von Menschen ertrinken.

Politische Forderungen zu stellen, ist aber etwas anderes, und das sollte auch unabhängig von den 37 Männern, die in den letzten Wochen im Licht der europäischen Medienöffentlichkeit standen, getan werden. Ich will damit nicht sagen, dass sie unwichtig sind, weil sie »nur« 37 Leute sind, aber politische Forderungen stellt man eben auf breiterer Basis. Die Aktionen von Cap Anamur sind wichtig, damit der Schwerpunkt Mittelmeer nicht aus dem Blick gerät. Humanitäre Aktionen reichen aber nicht aus. Gesetze müssen geändert werden.

Ist es das, was die italienische Bewegung und viele Menschenrechtsorganisationen mit ihren Mobilisierungen fordern?

Ja, aber nicht nur. Es gibt auch sehr konkrete Schritte, die wir unternehmen können, um die Lage auf europäischer Ebene zu verändern. Als Rechtsanwälte versuchen wir zum Beispiel, ein europäisches juristisches Team auf die Beine zu stellen, damit es für Einwanderer möglich wird, Berufung beim Europäischen Gerichtshof einzulegen, falls die verschiedenen EU-Länder in punkto Einwanderung und Asyl gegen ihre nationale Verfassung oder gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.