Normale Härte

Keine Entschädigung für italienische NS-Zwangsarbeiter von lars reissmann

Von deutschen Gerichten sei nach dieser »Beleidigung der Opfer« und »rechtsphilosophischen Katastrophe« nichts mehr zu erwarten, sagte Joachim Lau, der Anwalt ehemaliger italienischer NS-Zwangsarbeiter. Nach über zweieinhalb Jahren wies das Bundesverfassungsgericht ihre Beschwerde zurück, wie in der vergangenen Woche bekannt wurde.

Die ehemaligen italienischen Soldaten waren nach dem am 8. September 1943 bekannt gegebenen Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden. In seinem skandalösen Gutachten aus dem Jahr 2001 erklärte der Völkerrechtler Christian Tomuschat den von der NS-Führung beschlossenen Zivilstatus für die Italiener für ungültig, um aus ihnen auf dem Papier wieder Kriegsgefangene zu machen. So konnten die Forderungen dieser Gruppe von NS-Opfern auf Entschädigung nach dem Stiftungsgesetz der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« allesamt abgelehnt werden, was ganz im Sinne der Bundesregierung gewesen sein dürfte. Die meist als italienische Militärinternierte (IMI) bezeichneten NS-Zwangsarbeiter betrachten ihren Ausschluss von den Entschädigungszahlungen als Grundrechtsverstoß. Das Karlsruher Gericht nahm ihre Klage nicht einmal zur Beratung an.

Die Entscheidung ist sehr weit reichend, denn sie wird künftig bei allen Entschädigungsklagen nicht deutscher NS-Opfer vor bundesdeutschen Gerichten eine Rolle spielen. Der Beschluss benennt unanfechtbar drei Grundsätze deutscher Erinnerungspolitik und Rechtspraxis: Erstens haben NS-Opfer aus den ehemals besetzten Ländern »grundsätzlich keinen individuellen Entschädigungsanspruch«. Zweitens sieht die »Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung« keinerlei Schadensersatz bei NS-Verbrechen vor. Und drittens dürfen NS-Verbrechen zu »einem allgemeinen, wenn auch harten (…) Kriegsschicksal« verharmlost werden.

Bis in die neunziger Jahre waren individuelle Forderungen nicht deutscher NS-Opfer mit dem Hinweis auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953 bis zum Abschluss eines Friedensvertrages vertagt worden. Jetzt, 14 Jahre nach dem Moskauer Zwei-Plus-Vier-Vertrag, spricht man den Opfern jegliches Klagerecht vor deutschen Gerichten ab. Die Zwangsarbeit von 600 000 Italienern in der Rüstungsindustrie, zumeist unter Bedingungen wie in Konzentrationslagern, wird zur Kriegsnormalität erklärt. Damit verdreht das deutsche Verfassungsgericht die geschichtlichen Fakten noch weiter als der Gutachter Tomuschat.

Direkte Auswirkungen wird das Urteil auf die Klagen von mehreren tausend italienischen NS-Zwangsarbeitern gegen das Stiftungsgesetz wegen verweigerter Entschädigung vor dem Verwaltungsgericht in Berlin haben. Der Ausschluss vom »verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz« für die AntragstellerInnen sei ebenfalls grundgesetzkonform. Die Klagen können somit einfach vom Tisch gewischt werden.

Die deutsche Justiz bleibt also dabei, NS-Opfern Entschädigungen vorzuenthalten, obwohl das bundesdeutsche Recht durchaus Regelungen enthält, die sie möglich machen würden. Im Karlsruher Beschluss finden diese Möglichkeiten gar keine Erwähnung.

Der Anwalt Lau überlegt nun, weiter vor italienischen Gerichten oder vor dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu klagen. Im März entschied der römische Kassationshof, der oberste italienische Gerichtshof in Zivilangelegenheiten, dass Klagen wegen NS-Verbrechen vor italienischen Gerichten grundsätzlich zulässig sind. Ein Beispiel dafür, dass es auch anders geht als in Deutschland.