Karadzics »mächtige Familienfirma«

Ein alter Brief Karadzics an seine Frau sorgte jüngst für eine Entlassungswelle im bosnischen Protektorat

Eine der meistgesuchten Personen der Welt ist Radovan Karadzic. Er soll sich mit Ratko Mladic vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag wegen Völkermords und Kriegsverbrechen verantworten. In der vergangenen Woche soll eine Festnahme nur knapp gescheitert sein. Ende Juni entließ der Leiter der Protektoratsbehörde des Hohen Repräsentanten, Paddy Ashdown, fast 60 bosnisch-serbische Funktionäre, die Karadzic bei seiner Flucht unterstützt haben sollen. Vor allem Mitglieder der von Karadzic gegründeten Serbischen Demokratischen Partei (SDS) zählten zu den Gefeuerten, darunter auch der bisherige Parlamentspräsident der Republika Srspka (RS) und SDS-Chef, Dragan Kalinic, sowie Slatko Tosovic, bislang Bürgermeister von Srpsko Sarajewo. In seiner Begründung für die Entlassungen führte Ashdown u.a. einen Brief Karadzics an, der dessen finanzielle Unterstützung durch die SDS belege. Jungle World dokumentiert das von westlichen Geheimdiensten im Juni 2001 abgefangene und jetzt veröffentlichte Schreiben an Karadzics Frau in Auszügen.

Meine liebe Lilika, ich habe deinen Brief erhalten und werde in angemessener Weise antworten. Ich bin froh, dass unsere Liebsten länger in Banja Luka geblieben sind, sie werden zufrieden sein, etwas zu verdienen. Da ich schon von ihnen rede, lass mich klar stellen, dass mir nie vorschwebte, Seki (Koseform für Karadzics Tochter Sonja, die Red.) aus unseren Familienplänen auszuschließen. Da sie jedoch nach Unabhängigkeit trachtet, ohne zu wissen, was Unabhängigkeit ist, sollten wir ihr helfen in ihrem Kampf für ein eigenes Unternehmen, und ihr von allem, was der Familie gehört, ein Viertel zukommen lassen. (…)

Es ist meine Absicht, in Geschäftssachen nicht klein zu bleiben, sondern eine mächtige Familienfirma zu schaffen, die dann in der Lage sein wird, unseren jungen Leuten Wohnungen, Arbeitsplätze und Stipendien zu geben und alles weitere, was nötig ist. Wenn wir uns sehen, werde ich dir mein Konzept vorlegen. Ich glaube, du wirst damit einverstanden sein. Um heute etwas zu verdienen, es zu nehmen und dann verschwenderisch auszugeben (und um am Ende mit nichts da zustehen), ist es nicht gut, zu viel zu wachsen. Aber hab keine Angst, das ist im Kapitalismus ohnehin nicht möglich. (…)

Es wäre gut, wenn du den Kontakt mit diesem Tosovic halten könntest, dass du ihn zu einem Besuch bittest, wenn er nach Pale kommt, und dass du ihm sagst, dass ich ihm dankbar bin für seine Fürsorge, und dass ich das nicht vergessen werde. Aber sag ihm auch, dass du denkst, sie seien zur Zeit mit der Abschlussplanung beschäftigt und mit der Rückerstattung eines Teils der Kosten, die Auslandsaufenthalte betreffend, ebenso wie für mein Versteck. Und dass die Partei uns noch 52 000 DM schuldet, da wir ihnen für die Wahlen alles gaben, was damals noch der Familie zur Verfügung stand, aber dass es noch weitere Schulden bei uns gibt. (…)

Ich schaue auch türkisches Fernsehen, so dass ich sehe, wie schlecht diese Nachrichten über Carla (del Ponte) für uns sind. Andererseits hat V. Clark (Wesley Clark, die Red.) vor ein paar Tagen erklärt, dass es eine Vereinbarung mit mir und (Ratko, die Red.) Mladic gibt, dass sie uns beschützen werden, solange wir passiv und still bleiben. Warum hat er das gemacht? Hatte dieses gefälschte Interview zum Ziel zu beweisen, dass ich das Abkommen nicht mehr einhalte und deshalb gejagt werden kann? (…)

Aber lass mich dich nicht langweilen, ich höre schon auf, eine alte Plappertasche zu sein, auch wenn es schwierig ist, aus meiner Position alle Fäden aufzunehmen. Trotzdem bin ich mir sicher, dass viel gemacht wird, um den Balkan in Ordnung zu bringen, und dass diese Lösung für die nächsten fünfzig Jahre halten wird. (…)

Ich liebe dich, mein Liebling Lilika, küsse dich in meinen Gedanken und drücke dich lange in meine Arme.