Smells Like Team Spirit
Hallo Langzeitarbeitslose und prekär Beschäftigte! Schon mal überlegt, warum ihr in einer so misslichen Lage steckt? Weshalb ihr bald sogar bei Wirtschaftsminister Wolfgang Clement anrufen müsst, damit er euch erklärt, wie man ein ALG II-Formular ausfüllt? Weil es so viele von eurer Sorte gibt, aber so wenig Jobs? Wegen des kapitalistischen Systems? Unsinn! Ihr seid natürlich selber schuld!
Damit ihr besser nachgrübeln könnt, warum es auch bei der 150. Bewerbung nicht geklappt hat, gibt es eine Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, auf der ihr nachlesen könnt, was ihr womöglich alles falsch gemacht habt. Unter teamarbeit-fuer-deutschland.de bekommt ihr Tipps für eine »Bekleidungs- und Make-Up-Strategie«, werdet über die negativen Folgen »heraushängender Fettpölsterchen« aufgeklärt und lernt, dass bei Bewerbungen auch die Farbe der Kleidung eine »große Rolle spielt«. Denn Achtung: »Der falsche Farbton lässt Sie krank und matt aussehen.« Und wer erwirbt schon angeschimmeltes Humankapital? Also »informieren Sie sich gut, verkrampfen Sie sich nicht« und vor allem: »Bleiben Sie authentisch!«
Habt ihr erraten, worum es hier geht ? Genau: um Zurichtung. Und zwar von einer Art, dass euch die Aufsätze vom »Ende des Individuums«, die ihr in eurer viel zu üppigen Freizeit lest, wie Gute-Nacht-Geschichten vorkommen werden. Doch »Teamarbeit für Deutschland« gibt’s nicht nur im Internet, das »Team« tourt auch durch die Lande. Und gastierte am 21. Juli in Pforzheim, der Stadt mit der zweithöchsten Arbeitslosenquote Baden-Württembergs. Also nichts wie hin!
Kurz vor elf Uhr tummeln sich vor dem Kongresszentrum in der Pforzheimer Innenstadt bereits zahllose Schulklassen. Sie alle wurden samt LehrerInnen hierher gekarrt und warten auf den Beginn des Großereignisses. Endlich gehen die Türen auf, und wir werden mit einer Meute von 15- bis 18jährigen in die holzvertäfelte Mehrzweckhalle gespült. Im großen Saal empfängt uns ein Radiosprecher des Jugendsenders »Das Ding« mit fetten Rap-Beats. Überall wuseln sportlich-dynamische junge Menschen der Bundesagentur für Arbeit und ihres Pforzheimer Ablegers herum. Man kommt sich vor wie Backstage bei »Top of the Pops«.
Der Moderator im grünen Adidas-Leibchen tänzelt mit seinen Sneakers auf der Bühne umher und begrüßt die ankommenden Kids. »Hier wird gleich eine Bewerbungsshow stattfinden, dort wird es Tipps von Profis geben, von Personalchefs und Stylisten.« Feine Sache. Und zu allem Überfluss werden dann noch vier komplette Bewerbungsoutfits inklusive Make-Up verlost, gestiftet vom Kaufhof und von der Kosmetikfirma Douglas.
Doch zunächst betritt eine Arbeitsagentin die Bühne und erklärt, dass man beim Vorstellungsgespräch keinesfalls als erstes nach der Bezahlung fragen soll und dergleichen mehr. Das gibt Zeit, sich ein bisschen umzusehen. Im Saal sind 14 Stände aufgebaut, an denen sich verschiedene Initiativen, Stiftungen, Verbände und Firmen präsentieren, darunter die Industrie- und Handelskammer (IHK), die Deutsche Bahn, ein Haarstudio sowie die Initiative »Arbeit50plus«, die ältere Menschen in Arbeit bringen will.
Sie alle sind die »Profis der Nation«. Denn »Teamarbeit für Deutschland« ist eine Initiative des Wirtschaftsministeriums gemeinsam mit »engagierten Bürgerinnen und Bürgern aus Politik, Kirche, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft«. Leute wie Verona Feldbusch, Alice Schwarzer und Johannes B. Kerner machen ebenso mit wie der Vereinsmeier von nebenan. Sie alle wollen sich »für Ausbildung und Arbeit engagieren«. Volle Pulle Zivilgesellschaft also. Wenn der Staat und die Bevölkerung an einem Strang ziehen, hat das in Deutschland schon immer besonders gut geklappt.
Beim Infostand der »Jobpaten« der Diakonie Oder/Spree erfahren wir von der »Arbeit durch Management«. So genannte Führungskräfte aus Unternehmen setzen bei diesem Projekt »ehrenamtlich ihre soziale und fachliche Kompetenz« ein, um »Langzeitarbeitslose zu coachen«. Am Internetbereich in der Mitte des Raums kann man sich über den Bremer Personalberater Thomas Kerfin informieren. Er arbeitet am Selbstbewusstsein seiner Klienten und daran, »die Dinge positiver zu sehen«. »Selbst die schwierigsten Situationen«, wie der Besuch einer Arbeitsberatung, »lassen sich bewältigen, wenn man seinen Humor und Optimismus behält.«
Auf Stellwänden im Foyer gibt es weitere gute Ideen. Kirchengemeinden und Vereine könnten »Patenschaften für Arbeitslose« übernehmen, die Medien könnten »den Unternehmer der Woche ermitteln«, und »Wohlfahrtseinrichtungen könnten Selbsthilfeinitiativen von Arbeitslosen organisieren«. Arbeitslosenselbstverwaltung, das ist cool: Jeder sei sein eigener Ministaat, denkendes Anhängsel der Staatsräson.
Doch schnell zurück in den Saal, denn dort hat mittlerweile Jazzy, ein ehemaliges Mitglied der Girl-Group TicTacToe, die Bühne betreten. »Wer Jugendliche motivieren will, muss ihre Sprache sprechen«, erklärt Ulrich Brehmer von der IHK. »Und die Sprache der Jugend ist Musik.« Also tanzen Jazzy und zwei Background-SängerInnen den Kraft-durch-Freude-Rap. »Steh auf und lebe deine Träume, halt durch und gib nicht auf«, singt sie. »Du bist so unvergleichlich, so einzigartig (…) Deine Zeit wird kommen, du wirst schon sehen. Oder willst du als VIP auf den Arbeitsämtern rumhängen?«
Die 2oo bis 300 Jugendlichen spenden tosenden Applaus für die 28jährige. Nach der Showeinlage kommt Moderator Rainer Maria Jilg auf die Bühne und befragt Jazzy nach ihrer Motivation für das Lied. »Bei dem Song habe ich nicht mitgeschrieben, der war schon fertig, als man mich angesprochen hat«, sagt sie. Die Sängerin steht jedoch hinter dem Projekt, denn »jetzt wo die Wirtschaft am Arsch ist, sollte man sich gegenseitig unterstützen, sich an der Hand nehmen und schauen, dass man nach vorne geht«.
Backstage erzählt Jazzy dann genauer, wie es zu ihrem Engagement kam. Über eine Produktionsfirma sei das IHK-Lied an sie herangetragen worden, »und ich fand das sehr geil«. Man dürfe nicht darauf warten, dass »die Politiker alles ändern«, sondern müsse selbst bereit sein, »mehr zu arbeiten, mehr zu tun für unser Geld«. Kann sie sich vorstellen, auch einen Song für Existenzgeld zu machen oder gar für das Recht auf Faulheit zu rappen? »Aahhh!« Okay, das war die falsche Frage. Jazzy verzieht entsetzt das Gesicht. »Wenn du eine Ausbildung machst, dann fängst du ja an, dir eine Existenz aufzubauen. Dann gibt es ja die erste Kohle. Man darf den Leuten nichts vormachen«, weist uns die Sängerin zurecht.
Es gebe nunmal mehr Arbeitslose als Arbeitsplätze, und »in dem Augenblick, wo du aufgibst, kann es sein, dass der nächste hinter dir die Chance ergreift. Und das ist auch Scheiße, oder?« Tja, vielleicht hätte sie doch besser ein Remake des Songs »Ich find dich Scheiße« von TicTacToe vorgetragen, als Hymne der Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt.
Doch die Show muss weitergehen. Mittlerweile sind die GewinnerInnen der Bewerbungsoutfits neu eingekleidet auf die Bühne zurückgekehrt. Der Kaufhof-Berater erläutert die Kleiderwahl. Der Berufswunsch sei dabei berücksichtigt worden und: »Wir haben gekuckt, dass wir aus dem jungen Sortiment markenorientiert etwas finden.« Der Gymnasiast Christopher Würz will »in die Politik« und wurde deshalb in einen Nadelstreifenanzug gesteckt. Er fühlt sich »perfekt«. Die 18jährige Katharina Fröse will »Lehrerin, Künstlerin oder Managerin« werden – »alles fast das gleiche«, witzelt Jilg – und trägt nun ein schwarzes Kostüm. Auch die Visagistinnen vom Douglas-Werbestand haben ganze Arbeit geleistet.
Zu einem bestimmten Beruf gehört »das entsprechende Outfit«, findet auch der 16jährige Manuel Ratgeber, der wie viele andere etwas unmotiviert zwischen den Infoständen umherstreunt. Später möchte er einen technischen oder einen sozialen Beruf ergreifen. Er fragt sich allerdings, ob die Veranstaltung »was bringt, um Arbeitsplätze zu schaffen«.
Felix Bechtle ist optimistischer. Der 18jährige Gymnasiast findet die Veranstaltung »sehr lobenswert, weil sich Jugendliche hier wirklich informieren und persönlich in Kontakt kommen können«. Mit seinen Altersgenossen geht er hart ins Gericht. Diese seien zu sehr »auf einen Bürojob fixiert«. Es gebe »genügend Jobs, aber wenn ich so durch die Straßen gehe, dann verstehe ich schon die Unternehmen, die nicht jeden Jugendlichen einstellen würden«.
Die BeraterInnen an den Ständen stehen gelangweilt herum. Am Stand eines Friseursalons lassen sich Angestellte der Arbeitsagentur die Haare zurechtmachen. »Wir sind der größte Ausbilder für das Friseurhandwerk in der Region Pforzheim«, sagt Geschäftsführerin Heidi Rose. »Wobei für das Jahr 2004 unsere Ausbildungsplätze eigentlich schon vergeben sind«, gesteht sie. Auch Volker Glück, Mechatronik-Azubi beim Autozulieferer Tyco Electronics, hat keine besseren Nachrichten. »Dieses Jahr ist rum, jetzt laufen die Bewerbungen für 2005«, sagt der 19jährige.
Inzwischen sind auch viele Ältere im Publikum. Denn jetzt ist wieder Showtime. »Superminister« Wolfgang Clement hat sich für den Nachmittag angekündigt. Auf dem Vorplatz lauern die Foto- und Fernsehjournalisten auf seine Ankunft. Auch eine lokale Antifagruppe hat sich auf den Empfang vorbereitet. »Die soziale Gerechtigkeit zu Grabe tragen«, steht auf dem Transparent, mit dem sich die Demonstranten am anderen Ende des Vorplatzes aufgestellt haben.
Auf dem Platz selbst tritt die Theatergruppe »Robert und die Sozialschmarotzer« auf. Zwischen einem Bettler und einem menschlichen Roboter ist ein Straßenkehrer »für zwei Euro die Stunde« zugange. Um den Hals trägt er ein Schild: »Einem Arbeitslosen ist jede Arbeit zumutbar.« Ein »Richter« verliest die Daten, die zur Bewilligung von Arbeitslosengeld II offengelegt werden müssen.
»Wir wollen auf die Verschlechterung durch das Arbeitslosengeld II aufmerksam machen«, sagt Gaby Drescher über diese Aktion des Pforzheimer Arbeitslosentreffs. Die Veranstaltung im Kongresszentrum ist in ihren Augen »ein gut aufgebautes Theater für den Herrn Clement«. Sie fragt sich, »ob das nicht stark an den Bedürfnissen und Ängsten der MitbürgerInnen vorbeigeht. Deswegen gehen wir heute auf die Straße, in der Hoffnung, dass Wirtschaftsminister Clement uns auch sieht.«
Ihr Wunsch bleibt unerfüllt. Eine Limousine schießt heran, Clement steigt aus und läuft, ohne zur Seite zu blicken und umlagert von Journalisten, in die Halle. Drinnen warten schon vier Jugendliche, artig auf ihren Bistrostühlen sitzend, auf den prominenten Gesprächspartner.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde dürfen die Schülerinnen Fragen stellen. »Was tut die Politik dafür, dass es mehr Ausbildungsplätze gibt?« fragt einer. Darauf referiert Clement ausführlich über den jüngst vereinbarten »Ausbildungspakt«. Ein anderer fragt, ob es nicht sinnvoll wäre, vier Feiertage abzuschaffen. Der Minister bestätigt ihm, dass auch dies von volkswirtschaftlichem Nutzen wäre. Gerne lässt er sich auf eine minutenlange Diskussion mit einer Greenpeace-Aktivistin über erneuerbare Energien ein. Das hat zwar nichts mit dem Thema zu tun, ist Clement aber nicht unrecht und macht den hilflosen Moderator sichtlich nervös.
Ein Schüler kritisiert, dass zu wenig Geld in Bildung investiert werde. »Da haben Sie von A bis Z recht«, stimmt der Politiker zu, »dadurch leben wir auf Ihre Kosten.« Tosender Applaus der Anwesenden. »Wir investieren zu viel Geld in die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und sind dabei dennoch schrecklich erfolglos«, legt Clement nach. »Jeder von Ihnen, der einen Ausbildungsplatz braucht, wird einen bekommen«, verspricht er. Wenn jedoch »Jugendliche ein zumutbares Arbeitsangebot ausschlagen, kommt es zum Fordern«, fügt er später im Pressegespräch drohend hinzu, »dann gibt es Sanktionen.« Aktivieren ist in: »Fördern und Fordern« ist die Devise der Arbeitsagentur.
Wie es denn zu Clements großzügigem Hilfsangebot gekommen sei, will der Moderator wissen. Clement hatte gesagt, die Zeit hätten Arbeitslose wohl, den Antrag auszufüllen. Wer nicht zurechtkomme, könne ihn anrufen. »Das mit der Telefonnummer war ein bisschen übertrieben«, meint der Minister. »Das war nur aus einer Situation heraus, dass ich das gesagt habe. Seitdem liegt mein Büro lahm.«
»Für mich kam er extrem arrogant rüber«, resümiert Verena Müller die Talkrunde, »nee, danke«. Überhaupt findet die 18jährige es »hier recht öde«.
Inzwischen diskutiert Clement bereits mit mittelständischen Unternehmern. Auch die frisch gebackene baden-württembergische Sozialministerin Tanja Gönner (CDU) talkt mit und versucht, sich zu profilieren. »Wenn es Ihnen gut geht, geht es auch uns gut«, ruft sie den Unternehmern zu. Dann werden »Schecks« mit insgesamt 13 »zusätzlichen Ausbildungsplätzen« an Clement überreicht. Sie habe lieber Ausbildungsplätze geschaffen, »anstatt sich die Ausbildungsplatzabgabe aufs Auge drücken zu lassen«, gibt eine Spenderin zu.
Auch am Infostand der Siebdruckerei Q-Print beobachtet man das Treiben mit Skepsis. »Das ist halt eine Werbeveranstaltung für den Minister«, sagt die Geschäftsführerin Ute Hötzer. Sie hat momentan andere Probleme, denn ihre Firma bietet Qualifizierungsplätze und Vermittlung in den Arbeitsmarkt für Menschen mit Suchtproblemen an. Die Zukunft des Programms, das bislang über kommunale Beschäftigungsmaßnahmen finanziert wurde, ist durch Hartz IV jedoch in Frage gestellt. »Die fördern nur noch Edelarbeitslose«, sagt Hötzer. Im Hintergrund hält ein Existenzgründer einen Monolog. Es ist Zeit zu gehen.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof kommen wir am Pforzheimer Marktplatz vorbei. Einige Jugendliche stehen herum und quatschen. Einer von ihnen, Marco, trägt ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift: »Ich brauche eine Lehrstelle«. Warum war er dann nicht im Kongresszentrum? »Der Clement interessiert mich nicht, ich halte nix von dem«, sagt er abschätzig. Marco hat sich lieber einen schönen Nachmittag gemacht und Bier getrunken. Gute Idee eigentlich.