City Monitoring

Leipzig arbeitet an seinem Image. Knapp 700 Überwachungskameras sollen für eine saubere und sichere Stadt sorgen. von michael arzt und peter ullrich

Leipzig kommt!« oder »Leipziger Freiheit« – so heißen die absonderlichen Imagekampagnen der Stadtverwaltung, mit denen Investoren und Fördergelder angelockt werden sollen. Die Olympiabewerbung sollte dem gleichen Zweck dienen. Mit »Leipzig kommt!« sollte der ersehnte Aufstieg zur »ost-westlichen Drehscheibe für Handel und Kommunikation« (Engelbert Lütke Daldrup, Stadtbaurat) vorangetrieben werden. Es galt, das Bild von Leipzig als »Kriminalitätshauptstadt des Ostens« zu bekämpfen.

Tatsächlich hatte die Stadt nach der Wende größere Probleme als andere. Die Industrie ging kaputt, Häuser standen leer, Drogenhandel und Prostitution aus Armut etablierten sich. Inzwischen wird das Leipziger Pilotprojekt zur Videoüberwachung so genannter Kriminalitätsschwerpunkte, das im April 1996 am Leipziger Bahnhofsvorplatz begann, als Erfolg gefeiert. Seit Oktober 1996 läuft die erste fest installierte Kamera in Deutschland zur polizeilichen Überwachung eines öffentlichen Platzes ununterbrochen. Da bereits die Stasi zu ihrer Zeit Kameras in Leipzig aufgestellt hatte, war man anfangs unsicher, wie die Bevölkerung reagieren würde. »Vergleiche mit den in der DDR praktizierten Überwachungsmaßnahmen sind von vornherein auszuschließen«, verkündete der Leiter der Leipziger Polizeidirektion, Rolf Müller, damals. Verschärfte Kontrollen, Platzverweise und »Verbringungen« sollten dezent vonstatten gehen. Doch die Sorge war unnötig. Die Leipziger Bevölkerung lief nicht dagegen Sturm.

Gern präsentiert Rolf Müller Daten, nach denen die Zahl der »Delikte rund ums KFZ« um 50 Prozent gesunken seien. Nicht so gern hört er, dass die Zahl der Straftaten schon vor der Installation der Kameras rückläufig war, wie übrigens nach Angaben des Dresdner Juristen Peer Stolle in allen ostdeutschen Städten ab Mitte der neunziger Jahre. Unabhängige Untersuchungen zu den Auswirkungen von Kameraüberwachung gibt es in Deutschland nicht. Studien des britischen Home Office aus dem Jahr 2002 belegen allenfalls, dass es auch dort, im Herkunftsland der Kameraüberwachung, keine Erkenntnisse darüber gibt: Mal sank die Kriminalitätsrate, mal stieg sie an. Sicherer fühlten sich die Bürger unter dem Blick der elektronischen Augen auch nur in Einzelfällen.

Dennoch machte das Leipziger Projekt der polizeilichen Videoüberwachung Schule. Halle, Dresden, Regensburg, Mannheim, Heilbronn, Stuttgart, Hofheim am Taunus, Potsdam und – nicht zu vergessen – Rathenow, Bernau und Erkner, wo #Brandenburgs bestbewachte Fahrradständer stehen, sind an diesem kostspieligen Projekt beteiligt. Jede der Kameras kostet nach Auskunft der Leipziger Polizei circa 10 000 Euro Unterhaltskosten pro Jahr.

Auch im 30 000 Quadratmeter großen Einkaufszentrum am Leipziger Bahnhof wurden Kameras installiert. In der 3-S-Zentrale (»Sauberkeit, Sicherheit, Service«) laufen die Bilder von 186 Kameras auf 27 Monitoren, fast jeder Winkel des Komplexes ist von den drei Mitarbeitern einsehbar. Mittels des Hausrechts können der Bahnschutz und andere private Sheriffs allen den Aufenthalt verbieten, die »nichtbestimmungsgemäß verweilen«. Öffentliches Trinken und fliegender Handel werden geahndet, Personen, deren Aussehen als schäbig gilt, vor die Tür gesetzt.

Im Bahnfernsehen warb die Bahn mit der glänzenden Zusammenarbeit von privaten Wachdiensten, Polizei und Bundesgrenzschutz für das 3-S-Konzept. Fleißige Sicherheitskräfte überführen in dem Spot mittels Videoaufzeichnung einen Drogendealer, das Feindbild schlechthin, welches die EinwohnerInnen einer Stadt dazu bringen soll, freiwillig auf ihre Grundrechte zu verzichten.

Auskunft über die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Strategien der Kontrolle und Verdrängung geben Leipzigs Suchtberichte. Wer sie zu lesen versteht, hat eine spannende Lektüre. Zermürbende Kontrollen, Platzverweise und Aufenthaltsverbote heißen darin »erhöhter Kontrolldruck«. Wer nicht pariert, den erwartet eine Geldstrafe bis 400 Euro. »Es kam schon vor, dass es für meine Klientinnen unmöglich wurde, die nötigen Wege zu erledigen, weil sie ohne Anmeldung nicht die Innenstadt durchqueren durften«, berichtet Heike*, Drogenarbeiterin in Leipzig.

Bis zum Jahr 1999 wurden die DrogenbenutzerInnen in die Viertel Neuschönefeld und Volkmarsdorf verdrängt. Damals halfen bei der »Säuberung« des Bahnhofsvorplatzes – so bezeichnet es der Suchtbericht – auch Rechtsextreme mit, die ihr Revier in der nahe gelegenen Mokka-Milch-Bar hatten. Dann wurde das Räuber-und-Gendarm-Spiel über verschiedene Plätze und Parks bis in abgelegene Viertel wie den Adler, das Rosenthal und Grünau ausgedehnt. Vor einigen Monaten plauderte Rolf Müller stolz aus, dass sich Polizeikollegen in Halle schon beschwert hätten, weil die Drogenszene zum Teil dorthin ausgewichen sei.

In den vergangenen Monaten geriet das Nordstraßenviertel ins Visier der Polizei. Das Gerücht von einem Babystrich drohte das Image der Stadt zu gefährden. »Irgendwie haben die neue Birnen in die Laternen gedreht. Da kann sich keine Prostituierte mehr vor der Polizei verstecken«, erzählt ein Anwohner. »Ich habe schon lange keine mehr gesehen.« Heike berichtet: »Früher wussten meine Mädels, wenn die Schicht vom Ordnungsamt vorbei ist, droht keine Gefahr mehr. Jetzt wird rund um die Uhr bestreift.« Zivilstreifen des Ordnungsamts greifen die Prostituierten auf und übergeben sie der Polizei.

Kritische Stimmen sind selten. Im Jahr 2000 organisierte die linksradikale »AG Öffentliche Räume« eine erfolgreiche Kampagne gegen die polizeiliche Überwachung am Connewitzer Kreuz. Doch inzwischen gibt es die AG nicht mehr, während die Kamera wieder im Szenekiez steht.

Im vorigen Jahr erstellte das Projekt »Leipziger Kamera«, eine Initiative linker Künstler, Wissenschaftler und Aktivisten, einen Plan der Innenstadt, der 673 Überwachungskameras dokumentiert. Der Erich-Mielke-Gedächtnispreis wurde erstmals an Institutionen vergeben, die sich bei der Überwachung besonders hervortun. Neuerdings bietet die Initiative alternative Stadtführungen unter dem Titel »(Video-)Überwachung in der postfordistischen Stadt« an, bei denen das vielfältige und integrative Sicherheitskonzept Leipzigs »erlebbar« werden soll.

Das gelang schon bei der ersten Führung: Ein erschöpfter Teilnehmer setzte sich, um den Erläuterungen zum Kamerasystem des Bahnhofs zu folgen, auf den Fußboden. Es dauerte nur eine Minute, bis ein Mitarbeiter der Security erschien und ihn unter Verweis auf die Hausordnung und das Verbot des »nichtbestimmungsgemäßen Verweilens« hinausschickte.

* Name von der Redaktion geändert. http://leipziger-kamera.cjb.net