»Ein nicht nationaler Staat für alle im Nordirak«

Kajaw Jalal und Dashty Jamal

Kajaw Jalal ist Mitglied des Politbüros der Arbeiterkommunistischen Partei des Irak. Er war im berüchtigten Gefängnis »Red Building« in Sulemania inhaftiert, als ihn 1991 die aufständische Bevölkerung befreite. Dashty Jamal ist Repräsentant der ArbeiterkommunistInnen in Großbritannien. Die Arbeiterkommunistische Partei, die in den neunziger Jahren als kleine linkskommunistische Gruppierung im kurdischen Nordirak entstand, begann nach dem Sturz Saddam Husseins, auch im Süd- und Zentralirak zu arbeiten. Thomas Schmidinger sprach Kajaw Jalal und Dashty Jamal in Sulemania.

Wie haben sich im Irak Gesellschaft und Politik seit dem Sturz Saddam Husseins entwickelt? Überlagern die negativen Vorkommnisse der letzten Zeit inzwischen jede positive Stimmung?

Kajaw Jalal: In den vergangenen Monaten hat sich die Situation deutlich verschlechtert, und wir fürchten, dass sie sich noch weiter verschlechtern wird.

Dashty Jamal: Nach dem Kollaps des Ba’ath-Regimes wurde den IrakerInnen ein düsteres Szenario bereitet. Die USA und Großbritannien sind dabei Teil dieses Szenarios, das von Gesetzlosigkeit und Unsicherheit geprägt ist. Die USA etablierten den Regierungsrat, aber die bestehende Regierung besitzt aus unserer Sicht keine Legitimität, denn sie wurde nicht vom irakischen Volk gewählt. Zudem unterstützen die USA Gruppen, die für die Errichtung eines islamischen Staates eintreten. Wir streben jedoch einen säkularen Staat an. Dafür kämpfen wir in verschiedenen Städten des Landes mit unseren Gewerkschaften, Frauen- oder Kinderorganisationen.

Da die Entwicklung im Großteil des Landes jedoch in eine andere Richtung geht, fordern wir die Bevölkerung des Nordiraks dazu auf, sich vom Rest des Landes abzuspalten, um nicht unter die Kontrolle eines islamischen Staates zu geraten. Deshalb fordern wir nun auch ein Referendum im Nordirak, bei dem über die Bildung eines säkularen Staates in der Region abgestimmt werden soll.

Heißt das, dass die ArbeiterkommunistInnen einen eigenständigen kurdischen Staat befürworten?

Kajaw Jalal: Nein, es soll kein kurdischer Staat werden, sondern ein nicht nationaler Staat für alle Menschen im Nordirak. Die Situation in den kurdischen Gebieten ist einfach in jeder Hinsicht wesentlich besser als im Zentral- und Südirak. Deshalb sind wir der Meinung, dass eine Abspaltung besser wäre. Wir befürchten, dass sich ansonsten auch hier auf Dauer die Situation zu einem Krieg zwischen Kurden, Arabern, Muslimen und Nichtmuslimen entwickelt. Darum halten wir es für die Menschen hier für besser, einen eigenen Weg zu gehen. Was wir anstreben, ist aber kein kurdischer Nationalstaat, sondern ein säkularer Staat, in dem alle die gleichen Rechte besitzen. Natürlich können dann gerne auch Araber und Muslime hierher kommen, wenn sie lieber in einem säkularen demokratischen Staat leben wollen.

Sie sehen demnach in dem kurdischen Autonomiegebiet positives Potenzial?

Kajaw Jalal: Dieses Gebiet war immer anders. Hier gab es beispielsweise immer Befreiungsbewegungen und Aktivitäten für Frauenrechte. Mittlerweile hat sich eine demokratische Bewegung entwickelt, die eben nicht hauptsächlich von der Regierung getragen wird. Diese Menschen haben die Regierung dazu gebracht, einige fortschrittliche Regelungen in die Gesetze aufzunehmen. Es ist also nicht nur die Regierung, die hier positive Schritte getan hat. Meiner Meinung nach ist die Lage im kurdischen Autonomiegebiet weit besser als im Rest des Irak. Aber es sind die Leute selbst, die die Regierung hier zwingen, positive Schritte zu unternehmen.

Ihre Partei sammelt derzeit Unterschriften für einen Prozess vor einem internationalen Tribunal gegen Saddam Hussein. Was haben Sie an dem Prozess auszusetzen?

Dashty Jamal: Der wichtigste Punkt ist, dass die derzeitigen Richter keine Legitimität besitzen. Deshalb fordern wir ein internationales Tribunal, bei dem die Opfer als Teil des Prozesses akzeptiert werden. Dieser Prozess sollte öffentlich und für alle Medien zugänglich sein. Die Öffentlichkeit soll erfahren, was Saddam Hussein und die Ba’athisten verbrochen haben, was sie der irakischen Bevölkerung angetan haben. Wir erhielten für diese Vorschläge große Unterstützung in der Bevölkerung, bei anderen irakischen Parteien, Studenten, Gewerkschaften und Frauenorganisationen.

Die Arbeiterkommunisten waren ja im Gegensatz zum Großteil der irakischen Opposition gegen den Krieg und Teil der europäischen Friedensbewegung. Wie hat sich in letzter Zeit die Zusammenarbeit mit europäischen Linken entwickelt? Kam es nicht zu Konflikten mit pro-ba’athistischen Kräften in der Friedensbewegung?

Dashty Jamal: Wir sind immer noch Teil der Friedensbewegung. Es gibt in jeder Bewegung sehr viele unterschiedliche Positionen, aber das Problem ist, dass die Führung dieser Bewegung den politischen Islam unterstützt. Wir hingegen sind gegen jede Unterstützung des Islamismus und treten für eine säkulare Bewegung ein. Wir bekamen große Probleme mit Teilen der Linken in Europa, die im Namen des Antiimperialismus offen den politischen Islam unterstützen. Das wird etwa innerhalb der »Stop the war Coalition« in Großbritannien, aber auch in anderen europäischen Staaten deutlich. Wir befinden uns immer noch im Dialog mit dieser Bewegung, aber wir kämpfen innerhalb dieser Gruppen gegen alle Strömungen, die die Terroristen unterstützen.

Kajaw Jalal: Problematisch ist, dass viele Linke in Europa eine sehr einseitige Sicht der Entwicklung haben und sich nicht um das Leben der Menschen kümmern. Ihre politische Identität beschränkt sich darauf, gegen die USA zu sein. Sonst kümmern sie sich um nichts. Sie gingen sogar so weit, Geld für die Islamisten im Irak zu sammeln, damit hier Menschen getötet werden. Damit sind sie Teil des Problems im Irak geworden. Wir ArbeiterkommunistInnen haben ein großes Problem mit Linken in Europa, denen es egal ist, ob Terroristen hier Anschläge verüben oder die IrakerInnen irgendwann unter der Sharia leben müssen. All das scheint diese Linken nicht zu interessieren. Ihnen sind die IrakerInnen egal. Es geht ihnen nur um die USA.

Können Sie sich Gründe dafür vorstellen, weshalb Teile der europäischen Linken so agieren? Auf den ersten Blick ist es ja nicht nachvollziehbar, dass KommunistInnen plötzlich Geld für islamistische Terrorgruppen sammeln.

Kajaw Jalal: Ich denke immer, dass diese Leute nicht mehr in einer Gesellschaft leben, sondern ihre eigene Gesellschaft kreiert haben. Diese Gruppen haben keinerlei Kontakt mehr zu den Menschen und zu den Problemen der Menschen. Kommunistisch und links zu sein, heißt menschlich zu sein und nicht nur sozialistisches Gerede von sich zu geben. Wir wollen konkret das Leben der Menschen verändern und predigen nicht Schlagworte wie »Sozialismus oder Tod!«

Dashty Jamal: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind viele Linke orientierungslos geworden. Viele linke und kommunistische Gruppierungen haben nicht nur ihre Namen, sondern auch ihre Ideen verändert. Diese Orientierungslosigkeit hat auch die Möglichkeit geschaffen, dass nun plötzlich Linke Hoffnungen auf islamistische Terroristen setzen. Es gibt in Europa nur wenige Linke und KommunistInnen, die wirklich als solche weiter arbeiten. Sie sind umso wichtigere BündnispartnerInnen für unseren Kampf um einen säkularen demokratischen Irak.