Jung, ledig, schlaflos

Kathrin Röggla und Marlene Streeruwitz porträtieren Karrierefrauen. von doris achelwilm

Etwas zu erzählen zu haben, ist nicht die schlechteste Bedingung für Literatur. Mitunter jedoch wird es vor allem dann spannend, wenn ein Romanverlauf weniger handlungsaktiv oder storytelling sein will als sein Genreüberbau suggeriert und dafür eine umso bemerkenswertere Form zum Thema hat. Siehe Hubert Fichte, Marianne Fritz, Jelinek. Und siehe eben auch Kathrin Röggla und Marlene Streeruwitz. In ihren jeweils neuen Büchern geht es nicht darum, einen Handlungsspielraum – in beiden Fällen: Schein und Sein gegenwärtiger Arbeitsverhältnisse – auktorial zu beschreiben, sondern eher zu zitieren, wie deren Subjekte über sich und ihr Tageswerk reden bzw. denken.

In Rögglas »wir schlafen nicht« sind es Typen des Berufsbild gewordenen Ökonomismus – Key Account Managerinnen, Coaches, eine Praktikantin –, die, in indirekter Rede, vom eigenen Leben sprechen. Sie bewegen sich zwischen Messehektik, Minibars, »short-sleeping«, »quick-eating« und Durchhaltephilosophien. Ihr Sound klingt nach klar und anstrengungslos dahingesagten Dauerstrapazen: »nee, schlafen sei nicht schick, ›das kommt nicht so gut‹, wer schlafe, sei auch schlecht beraten, so als berater (lacht) (…). ja, er würde fast sagen, es herrsche da so eine art wettbewerb vor, so unter dem motto: wer hält am längsten durch?« – Und in diesem Sinne geht es mit wechselnden Rollen – schneller, höher, weiter.

Während die Redeanteile verschiedener Leistungsträger sich in »wir schlafen nicht« zu einem Panoptikum neoliberaler Selbstverständlichkeiten hochschrauben, ist es in Streeruwitz’ »Jessica, 30« der gedankliche Ich-Strom einer vereinzelten Frau, der privat-berufliche Get-a-life-Versuche lesbar macht. Der Roman beginnt mit dem inneren Monolog der joggenden Protagonistin über Konfektionsgrößen und Anpassungsdruck. Und klärt dann schrittweise auf, dass Jessica, 30, als promovierte Kulturwissenschaftlerin für das Magazin Woman arbeitet – unter Frauen, die körperliche Schwächen genau mustern und intellektuelle Stärken ignorieren. »(…) ich glaube, es ist ihr sehr wichtig, dass die ganze Redaktion so aussieht wie sie, sie möchte eine richtige Tussenriege und alle sollen so sein wie die ideale Leserin, 30, attraktiv, unabhängig und gut verdienend, aber dann müsste sie auch etwas zahlen, aber sie findet ja immer genug Mäuschen, die schon vom Mitmachen zufrieden sind, und für das Magazin, da soll keine Redakteurin gescheiter sein als die Leserinnen, und der kleinste gemeinsame Nenner ist da ohnehin nur die Vuitton-Tasche (…)«

Ihre Fortsetzung findet diese Kompromisskarriere zunächst nach Feierabend: in der heimlichen Beziehung zu einem verheirateten FPÖ-Politiker. Sie endet, als sich Jessica schließlich an die Arbeit macht, des Lovers bisher ungeahndete Verstrickungen in einen Sexskandal zu publizieren. Ihr (ansonsten nahezu ohne das Satzzeichen »Punkt« delirierender) Gedankenfluss endet mit drei haltlosen Punkten. Eben so, wie er angefangen hat, aber gelöster, gestärkter…

»Jessica, 30«und »wir schlafen nicht« erzählen aus unterschiedlichen Perspektiven: Während der eine Roman den Kopfschmerz einer fiktiven Journalistin transskribiert, die nicht zuletzt »als Frau« an prekären Widersprüchen leidet, montiert der andere Roman die Ansichten effizienzgetriebener Interviewpartnerinnen und -partner so, dass eines der letzten Kapitel folgerichtig »gespenster« lauten muss. Wodurch die Texte wesensverwandt sind: Sie verweigern sich, ihr fast schon dokumentarisch inszeniertes Personal von oben herab zu beurteilen oder zu begreifen. Dabei nehmen sich beide Autorinnen offenbar nicht-intellektueller Figuren an, mit denen sich die bewusstere Leserschaft vielleicht wenig identifizieren mag, es aber könnte. Weil die Sprachen und Gedanken zwischen Effizienz und Leidensdruck längst Allgemeingut sind.

Es ist diese zwischen Distanz und emphatischem Interesse gehaltene Position, die beide Bücher doppelt kritisch nachwirken lässt, so dass man man sich wünscht, diese Tunnelblick-Karrieristen oder emsig bemühten Unterwürfigen würden zurechtgewiesen werden – wenn eine solche fingerzeigende Moral aus vielen Gründen nicht zu simpel und selbstgerecht wäre. Analog zur gefälligen Meinung ist es das gefällige Erzählen, worauf diese jeweils präzise durchgestalteten Romane sehr gut verzichten können. Zugunsten einer fordernden Form. »wir schlafen nicht« und »Jessica, 30« sprechen einen durch die Verweigerung von Erzählung und Handlung tatsächlich an.

Kathrin Röggla: wir schlafen nicht. Fischer, Frankfurt 2004, 224 Seiten, 18,90 EuroMarlene Streeruwitz: Jessica, 30. Fischer, Frankfurt 2004, 256 Seiten, 18,90 Euro