Schwitzen in Stammheim

Auch in den deutschen Gefängnissen wird gespart. Immer öfter klagen Häftlinge gegen die schlechten Haftbedingungen. von thorsten fuchshuber

Der Sommer ist fast vorbei. Ein Sommer, der seinen Namen kaum verdient hat, und wehmütig träumen viele von den Hitzerekorden des vergangenen Jahres. »Im August hatte es 40 Grad Celsius«, erinnert sich Ronald Haug. Doch in seiner Stimme liegt keine Wehmut. Er saß zu dieser Zeit in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft.

»Ich saß in einer Vier-Mann-Zelle«, sagt er und meint damit einen jener Räume, die eigentlich für drei Personen vorgesehen sind. »Dort gibt es zwei kleine Fensterchen und noch eine Klappe in der Tür. Wenn du einen humanen Schließer hast, macht er die Klappe auf und es entsteht ein Durchzug. Aber das ist eher die Ausnahme, selbst bei großer Hitze«, erzählt er.

Nach einigen Verlegungen landete der junge Mann, der ein Jahr in U-Haft verbrachte, in einer Zwei-Mann-Zelle. 8,2 Quadratmeter Platz für ihn und einen Mithäftling, mit dem er 23 Stunden am Tag in der Zelle verweilen muss. 8,2 Quadratmeter, auf denen sich auch ein Tisch, zwei Schränke, die Betten sowie Toilette und Waschbecken befinden.

»Die Fläche zum Bewegen beschränkt sich dann praktisch auf den Gang von der Tür bis zum Fenster hin, 50 Zentimeter breit und vier Meter lang. Es gibt keine Möglichkeit, sich zu bewegen, geschweige denn Sport zu machen. 23 Stunden in so einer Zelle, das hat für mich bedeutet, dass ich wegen des Bewegungsmangels 20 Kilo zugenommen habe.«

Der Sichtschutz vor der Toilette ist unzureichend, der Mitgefangene muss sich wegdrehen, um wenigstens etwas Intimsphäre zu gewähren. »Von der Geruchsbelästigung brauchen wir gar nicht anfangen zu reden«, meint Haug. »Da ist nichts, was das irgendwie auffängt.« Und ironisch fügt er hinzu: »Wenn man großes Glück hat, steht plötzlich auch noch ein Beamter in der Zelle. Ich habe nie erlebt, dass einer vor dem Eintreten geklopft hätte.«

Etwa nach einem halben Jahr erfuhr er aus der Zeitung, dass Gefangene anderer Haftanstalten wegen ihrer Unterbringung Schmerzensgeld forderten. Einige von ihnen hatten Erfolg. So sprach im vergangenen Jahr das Oberlandesgericht Celle einem Häftling 100 Euro pro Hafttag zu, weil er sich mit einem anderen 7,6 Quadratmeter teilen musste. Das Landgericht Hannover billigte den gleichen Betrag einem Häftling zu, der in einer 16 Quadratmeter großen Zelle mit fünf Gefangenen zusammengepfercht war.

Haug beschloss, es ihnen gleichzutun, und fordert nun Schmerzensgeld vom Land Baden-Württemberg. Erst vor wenigen Wochen gab das Landgericht Karlsruhe einem Mann teilweise Recht, der ebenfalls mit einem weiteren Gefangenen auf 8,2 Quadratmetern untergebracht worden war. Der Richter beurteilte die Haftbedingungen, die jenen von Ronald Haug gleichen, als »Verletzung der Menschenwürde«.

Nun befürchtet man nicht nur im baden-württembergischen Justizministerium einen Anstieg der Entschädigungsklagen. Allein in diesem Bundesland seien derzeit rund 2 400 Gefangene zu zweit in Zellen untergebracht, die eigentlich für eine Person gedacht sind, bundesweit würden mindestens 8 000 Haftplätze »fehlen«, sagt Bernd-Axel Lindenlaub, ein Justizexperte der Gewerkschaft Verdi.

Die Anwältin Martina Kohler, die Ronald Haug in dieser Sache vertritt, bewertet den Karlsruher Richterspruch, gegen den die Staatsanwaltschaft mittlerweile Berufung eingelegt hat, jedoch negativ. »Das Landgericht hat diesem Mann ein minimales Schmerzensgeld zugesprochen. Es kam zu dem Ergebnis, er habe ein Mitverschulden, da er sich früher hätte melden müssen.«

650 Euro soll der 47jährige ehemalige Karlsruher Häftling für seine sechsmonatige Haftzeit bekommen. Für die erste Haftwoche 250 Euro, für zwei weitere Wochen nur je 200 Euro, schließlich könne bei fortdauernder Haft ein Gewöhnungs- und Abstumpfungseffekt unterstellt werden. Gefordert hatte er 17 000 Euro. Die Ablehnung dieses Betrages begründete das Gericht auch damit, der ehemalige Gefangene habe nicht nachdrücklich genug nach einer Einzelzelle verlangt.

Mit dieser Argumentation werden die Justizministerien wohl versuchen, einen Großteil der Schmerzensgeldforderungen abzuweisen. Ronald Haug war vier Monate lang in einer Einzelzelle untergebracht, was zu einer »totalen Vereinsamung« geführt habe. »Ich habe dann in Kauf genommen, in einer Zwei-Mann-Zelle von derselben Größe wie meine vorige Einzelzelle inhaftiert zu sein. Man hat die Wahl zwischen zwei Übeln.«

Wie das Karlsruher Urteil außerdem zeigt, wird die Unwissenheit der meisten Gefangenen weidlich ausgenutzt. Viele erfahren erst nach Monaten und nur durch Zufall, dass die Möglichkeit einer Klage besteht. Ronald Haug und seine Anwältin wollen sich davon jedoch nicht beirren lassen. Sie beziehen sich hauptsächlich auf den Celler Richterspruch, der wesentlich deutlicher war.

Auch Maximilian Schumacher, der Leiter der 1963 fertiggestellten JVA Stammheim, musste inzwischen eingestehen, dass der zu 15 Prozent überbelegte Knast sich in keinem »Idealzustand« befindet. Dennoch beschreibt er die Lage als »verhältnismäßig entspannt«. Ronald Haug hingegen hat allein in dem Jahr, in dem er inhaftiert war, auf seinem Stockwerk von drei Selbstmordversuchen erfahren.

»Die Gefangenen sind die letzten, für die man Geld ausgeben will«, sagt er. Sie seien ja »der Sicht der Öffentlichkeit entrissen«. Ein Umstand, den sich etwa die niedersächsische Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) zu Nutze machen will. Wegen der angespannten Haushaltslage könne nicht länger allen Gefangenen die Beteiligung an »betreuungsintensiven« Angeboten wie etwa Sport ermöglicht werden.

Künftig dürfen also noch mehr als bisher nur jene auf »bessere Bedingungen« hoffen, die bereit sind, sich zu unterwerfen. Auf diese Weise können die Einsparmaßnahmen gleichzeitig als Disziplinierungsmaßnahmen verwendet und als »neues einheitliches Vollzugskonzept« angepriesen werden. Nach den Worten der Ministerin soll allen Gefangenen »die gleiche Chance auf nachhaltige Resozialisierung« gewährt werden.

Seit die Medien die Überbelegung der Gefängnisse thematisieren, wird der existenzielle Kampf der Gefangenen, sei es auch nur um eine graduelle Verbesserung der Haftbedingungen, von unkritischen Diskussionen begleitet, die das Gefängnissystem als solches nicht in Frage stellen. Von »menschenunwürdigen Haftbedingungen« ist zu lesen, von der »Grenze des Zumutbaren«, vor allem in Hinblick auf Untersuchungshäftlinge, »bei denen grundsätzlich eine Unschuldsvermutung bestehe«. Irmgard Mayer vom Evangelischen Kirchlichen Dienst im Gefängnis wundert sich in der Stuttgarter Zeitung, »wie es die Menschen in diesen Zellen aushalten«. Schließlich hätten sie Anspruch auf eine Einzelzelle.

Es wird argumentiert, als ginge es um unzureichende Unterbringung beim Betriebsausflug, als sei eine größere Zelle »menschenwürdiger« als eine kleinere, und dabei wird verschwiegen, dass Gefängnisse an sich unwirtliche Orte sind. Dass die Individuen im Gefängnis grundsätzlich psychischen Repressalien ausgesetzt sind, wird nicht angesprochen. Als Subjekte, die im Gefängnis nur als Objekte verwaltet werden, soll den Gefangenen der rechtliche Standard zukommen, der als allgemeine Norm anerkannt wird. Denn alles muss seine Ordnung haben, damit diese nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden muss.