Hass auf die Armen

Die Opposition gegen Chávez von simón ramírez voltaire

Die Regierung werde nun »die soziale und demokratische Revolution vertiefen«, kündigte Vizepräsident José Vicente Rangel an, nachdem Hugo Chávez durch das Referendum als Präsident bestätigt worden war. Kritisiert wird die »bolivarische Revolution« jedoch nicht nur von der rechten Opposition, sondern auch von Linken, die Chávez vorwerfen, mit autoritären Methoden die sozialen Bewegungen kontrollieren zu wollen.

Berechtigt bleibt die Kritik, wonach der Chávismus mit der zunehmenden ideologischen Uniformierung seiner Anhänger die partizipative Demokratie unterläuft. Die tägliche Bejubelung des Präsidenten erschwert es Bauern-, Nachbarschafts- und Arbeitergremien, ihre Interessen selbst zu definieren und sich mit der Regierung kritisch auseinanderzusetzen.

Nicht übersehen werden sollten die dennoch vorhandenen unabhängigen Gruppen, die aus Mangel an besseren Alternativen Chávez’ Politik unterstützen und sich innerhalb der Massenbewegung Freiräume erkämpfen und zugestanden bekommen. Chávez ersetzt aber tendenziell die Basisdemokratie durch die Dekretierung einer Politik für die Armen. Seine Politik ist wie ein schützender Mantel, unter dem sich Eigeninitiativen und Diskussionen immer wieder Gehör verschaffen müssen.

Chávez‘ Regierung ist die Bedingung für die Erneuerung, die jedoch zugleich durch die Spaltung der Gesellschaft in zwei Lager gehemmt wird. Die Vorwürfe, Chávez sei ein Diktator und unterdrücke die Meinungsfreiheit, werden durch das unbehinderte Agieren der Opposition widerlegt. Deren Strategie, im Namen der Demokratie zu putschen und nach der Niederlage die Wirtschaft zu sabotieren, dürfte zu ihrer Niederlage beim Referendum beigetragen haben. In Venezuela wütet ein nationales Bürgertum, das in der Globalisierung seine Interessen gefährdet sieht, denn internationale Konzerne machen mit dem venezolanischen Staat gute Geschäfte.

Die ideologische Grundlage der Opposition ist ein elitärer und autoritärer Liberalismus mit dem für die lateinamerikanische Oberschicht so typischen Rassismus und Hass auf die Armen. Wer mit den wütenden Chávez-Gegnern im bürgerlichen Viertel Chacao in Caracas spricht, hört nicht selten die Empörung darüber, dass Leute wie die Chavisten, in ihren Augen unwürdige Mischlinge, überhaupt etwas zu sagen haben. Die Oligarchie glaubt, einen natürlichen Anspruch auf die Macht zu haben.

Die Festlegung auf die Beseitigung Chávez’ mit allen Mitteln hat bisher jede kritische Debatte in den Reihen der Opposition erstickt. Mit der penetranten Fixierung auf die Person Chávez verhinderte sie, dass die positiven Ansätze seiner Reformen diskutiert und weiterentwickelt werden. Die Auflösung des Dachverbandes Demokratische Koordination ist überfällig, denn nur so können sich die Positionen differenzieren und die gemäßigteren Stimmen sich Gehör verschaffen.

Doch die Opposition zögert weiterhin, sich in die parlamentarische Demokratie zu integrieren. Die Forderung nach der »Lösung Pinochet«, einem Putsch, der unter anderem von Carlos Andrés Pérez und Carlos Ortega favorisiert wird, ist keine marginale Position, sondern offenbar für viele das Gebot der Stunde. In ihrer zweitägigen Herrschaft nach dem Putsch im April 2002 hat die Opposition mit der Auflösung des Parlaments und der sofort in Gang gesetzten Repressionswelle bewiesen, dass sie es ernst meint. Chávez mag kein Revolutionär sein, doch er verteidigt die Demokratie gegen eine Oligarchie, in der eine Mischung aus elitärer Ideologie und kollektiver Regression die Oberhand gewonnen hat.