Die dritte Seite

Türkei: Ehebruch soll strafbar werden von melis vardar

Üblicherweise stehen die Meldungen auf Seite drei der Zeitungen, vermischt mit Klatschnachrichten über Popstars und Berichten von Verkehrsunfällen. Eine unvollständige Auswahl aus der letzten Woche: In Istanbul wird der 47jährige Ingenieur Mehmet B. festgenommen, der zugibt, seine Ehefrau, die 29jährige Lehrerin Yasemin B., ermordet zu haben. Die Frau war Mitte Juli an Händen und Füßen gefesselt und mit 30 Messerstichen auf einer Baustelle gefunden worden. »Sie hat mich betrogen, ich habe meine Ehre gerettet«, sagt Mehmet B. Das gleiche behauptet der 25jährige Mustafa S., der im zentralanatolischen Konya seine Mutter Fadimana und seine Schwester Yasemin erschießt. Als Grund gibt er an, seine Mutter habe ein Verhältnis zu einem Mann gehabt. In Istanbul erschießt sich der 27jährige Serdal A. selbst auf der Straße, nachdem er seine Freundin in Begleitung eines anderen Mannes gesehen hat.

So unterschiedlich die Fälle sind, die dritte Seite verkündet täglich, dass in der Türkei Sex eine gefährliche, mitunter tödliche Angelegenheit sein kann. Ebenso wie viele islamische Gesellschaften leidet auch die türkische an einer kollektiven Psychose, in deren Mittelpunkt der Körper und die selbstbestimmte Sexualität von Frauen steht. Nicht nur im bäuerlichen Hinterland gilt Ehemännern, Vätern und Brüdern das Fremdgehen oder der Sex unverheirateter Frauen als hinreichender Grund für einen Mord. Die im orthodoxen Islam fußende Vorstellung, die Sexualität der Frau als Quelle von fitna, von Chaos und gesellschaftlicher Verwerfung, zu betrachten, hat sich trotz aller Säkularisierungs- und Modernisierungsprozesse erhalten.

Selbst in der säkularen Türkei war bis Ende der neunziger Jahre Ehebruch ein Straftatbestand. Erst 1996 erklärte das Verfassungsgericht die entsprechende Bestimmung für verfassungswidrig, weil sie für Männer geringere Sanktionen als für Frauen vorsah. In weiteren Urteilen hob das Gericht sämtliche Bestimmungen auf und forderte den Gesetzgeber zu einer Neuregelung auf. Da diese nicht erfolgte, mussten Ehebrecherinnen fortan keine staatlichen Sanktionen mehr fürchten. Nach dem Willen der regierenden Softcore-Islamisten von der AKP soll sich das wieder ändern.

Gemeinsam mit den oppositionellen Sozialdemokraten arbeitet die AKP derzeit an einer Reform des Strafrechts, mit der die Anforderungen der EU für einen möglichen Beitritt der Türkei erfüllt werden sollen. Die Regierung will die Gelegenheit nutzen, den Ehebruch wieder strafbar zu machen. Es gehe um den Schutz der Familie, erklärte in der vergangenen Woche der AKP-Abgeordnete Hakky Köylü. Außerdem will die AKP Studentinnen mit Kopftuch den Zugang zu den Universitäten öffnen.

Diese Pläne erfreuen die islamistische Klientel. »Ehebruch ist unmoralisch«, titelte nach der Veröffentlichung der Reformpläne das Krawallblatt Vakit. Doch zugleich kündigte sich Widerstand an. »Sollten diese Forderungen der AKP verwirklicht werden, wäre das türkische Strafrecht nicht länger ein republikanisches, sondern ein Sharia-Gesetz«, sagte der sozialdemokratische Abgeordnete Orhan Eraslan. Und der neue Oberbefehlshaber des Heeres, Yasar Büyükanit, erklärte am Samstag, einen Tag, nachdem die Reformpläne bekannt gegeben worden waren: »Niemand soll unsere Entschlossenheit anzweifeln, den Laizismus und die Werte Atatürks zu verteidigen.« Jenseits des Konflikts zwischen Regierung und Militär aber, auf der dritten Seite, der gesellschaftlichen, bleibt die Unterdrückung der weiblichen Sexualität ein Problem, das sich mit Gesetzen allein nicht lösen lassen wird. Und auf die Generäle ist dabei kein Verlass.