Instandbesatzer unter Druck

Die Niederlande verstehen ihren Militäreinsatz im Irak als rein humanitäre Mission. Aber Angriffe auf die Soldaten häufen sich. Nun wird über einen Truppenabzug diskutiert. von udo van lengen

Die philippinischen und spanischen Truppen haben den Irak bereits verlassen. In den Niederlanden debattiert man in diesen Tagen, ob man diesen Beispielen folgen soll. Grund dafür sind die zunehmenden Angriffe auf die niederländischen Soldaten, die in der Wüstenprovinz al-Muthanna im Südwesten des Iraks stationiert sind. Zwei Tote hat es bereits gegeben. Die Sicherheitslage errege Besorgnis, heißt es in einem Brief des christdemokratischen Verteidigungsministers Henk Kamp an das Parlament in Den Haag. Der Auftrag der 1 350 Mann starken Truppe, bis zum März 2005 für Stabilität in der Provinz zu sorgen, bleibe jedoch erfüllbar.

Einige Angehörige niederländischer Soldaten wollen diese allerdings nicht länger als »lebende Zielscheiben« im Irak herumlaufen sehen. Der Forderung der Soldatenfamilien, dass Patrouillen im Irak nur noch gepanzerte Fahrzeuge benutzen sollen, will die Regierung aus Christdemokraten sowie Rechts- und Linksliberalen aber nicht nachgeben. Es widerspreche ihrem Verständnis der Mission, meint Nico van der Zee, Sprecher des königlichen Heeres: »Wir wollen mit den Menschen dort zusammenarbeiten. Darum gehen unsere Soldaten zu Fuß, tragen keine Sonnenbrillen oder Helme, um so die ›hearts and minds‹ der Iraker zu gewinnen. Der Preis ist, dass wir äußerst verwundbar sind.« Van der Zee betont die langfristige Wirkung: »Hilft man der Bevölkerung, die schwierige Nachkriegszeit zu bewältigen, investiert man in die Sicherheit der eigenen Soldaten.«

Diese offene Herangehensweise der niederländischen Soldaten im Irak loben Regierung wie Opposition. »Ein vorzeitiger Abzug der Truppen wäre eine sehr schwer wiegende politische Entscheidung«, meint Robert Soeterik von der Organisation Mera (Middle East Research Associates) in Amsterdam. Für Soeterik ist die niederländische Irak-Militärpolitik grundsätzlich von der US-amerikanischen zu unterscheiden: »Wir müssen uns fragen, wie die betont humanitäre Mission der Niederländer mit der Kriegsmission der USA zu vereinbaren ist. Denn je heftiger Auseinandersetzungen wie in Nadschaf geführt werden, desto mehr vergessen die Iraker die Unterschiede zwischen den verschiedenen nationalen Kontingenten.« In al-Muthanna, wo die niederländischen Soldaten vor einem Jahr der Regierung in Den Haag zufolge als Freunde empfangen wurden, sei das beispielhaft zu beobachten. Dort wehe ihnen nun ein kalter Wind entgegen. »Die Spannung zwischen dem freundlich-friedlichen Bild, an dem die Regierung so gerne festhalten würde, und der Realität wächst«, so Soeterik.

Von der offenen Herangehensweise will das Kabinett nun vorübergehend Abstand nehmen. Verteidigungsminister Kamp ordnete an, die Patrouillen auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Dafür sollen verstärkt irakische Einheiten für Stabilität in der Provinz sorgen, so Heeressprecher van der Zee. Ob das die Sicherheit der Soldaten erhöht, ist jedoch zweifelhaft. Zum einen erhält die niederländische Armee dadurch weniger Einblick in die Sicherheitslage an Ort und Stelle, zum anderen gibt es van der Zee zufolge Hinweise darauf, dass sich die einheimischen Sicherheitskräfte von Rebellengruppen einschüchtern lassen. Auf der niederländischen Regierung lastet mittlerweile ein Druck, der an die politischen Zustände während der niederländischen Mission in Srebrenica erinnert. 1995 wurde die damalige Uno-Schutzzone von der bosnisch-serbischen Armee überrannt. Unter den Augen des niederländischen Militärs wurden etwa 7 400 Menschen, hauptsächlich Angehörige der bosnisch-muslimischen Armee, ermordet. Eine Untersuchungskommission kam später zu dem Schluss, dass das damalige niederländische Kabinett eine Teilschuld an dem Massaker trage. Die Soldaten, heißt es im Untersuchungsbericht, seien auf eine unklare Mission geschickt worden, um Frieden zu wahren, wo keiner gewesen sei.

»Die heutige Regierung hat ähnliche Fehler begangen«, meint Soeterik. Ihre Risikoanalyse tauge nichts. »Im Juli 2003 bat mich das Parlament, die Lage im Irak einzuschätzen. Ich habe damals gesagt, dass die Ruhe in der Provinz al-Muthanna trügerisch sei. Aber die Regierung hat die Bedenken beiseite gewischt. Man vertraute wohl darauf, dass die Iraker schnell begreifen würden, dass man nur Gutes im Schilde führe. Aber unsere Soldaten sind keine bewaffneten Sozialarbeiter, sondern im Zweifel Mitglieder der Besatzungsmacht. Es ist ein Problem des Anspruchs: Wir wollen so wenig wie möglich Besatzungsmacht sein, aber gleichzeitig auch ein zuverlässiger Bündnispartner.«

Bert Koenders, außenpolitischer Sprecher der oppositionellen Sozialdemokraten und erklärter Gegner des Irak-Kriegs, kritisiert wie Soeterik das Vorgehen der US-Truppen. »Die USA haben nicht nach einer politischen Lösung gesucht, sondern die Bewegung um Muqtada al-Sadr sofort mit militärischen Mitteln bekämpft. Dabei sollte doch für alle, ob Amerikaner, Niederländer oder Iraker, oberstes Ziel sein, Stabilität für den Irak herzustellen«, meint er . »Vielleicht wäre es sinnvoll, dass die Nationen, die jetzt im Irak Truppen stationiert haben, ihr Engagement beenden und anderen das Feld überlassen. Ich denke da an Deutschland, Frankreich und vor allem an die Länder des Mittleren Ostens.«

Die Ideen von Koenders werden auf absehbare Zeit Theorie bleiben. Denn zumindest die niederländische Regierung denkt derzeit nicht daran, ihre Bündniszusagen zurückzuziehen und den Einsatz im Irak zu beenden. Zusätzliche Panzerfahrzeuge sollen die so genannte Stabilisierungstruppe beschützen und 60 weitere Soldaten die Abteilung »militärische Aufklärung« wieder beleben, damit man weniger von den Informationen irakischer Sicherheitskräfte abhängig ist. Auch wolle man verstärkt Hilfsprojekte wie die Instandsetzung von Schulen und Brunnen in Angriff nehmen.

Wie lange die niederländischen Truppen im Irak bleiben, sei damit aber noch nicht entschieden, meint Koenders. »Wenn keine Hilfsprojekte mehr betreut werden können, weil die Sicherheitslage das nicht zulässt, dann hat unser Engagement im Irak keinen Sinn mehr.«