Unmögliche Dialektik

Statt sich mit den paar Neonazis auf den Montagsdemonstrationen zu beschäftigen, sollten die völkischen Antworten der Demonstrierenden auf die soziale Frage kritisiert werden. von susanne fischer

Nein, es ist keine Überraschung, dass sich Neonazis an den Montagsdemonstrationen beteiligen. So weit d’accord mit Angelo Luciferos Diskussionsbeitrag. (Jungle World, 36/04) Allerdings »infiltrieren« sie nicht die Demos, sie gehen lediglich dorthin, wo sie hingehören: mitten rein in die deutschen Massen. Wo sollen sich die KameradInnen denn treffen, wenn nicht dort, wo sie auch 1989 schon gerne gesehen waren und wo zum Soundtrack von »Wir sind das Volk« über 10 000 Menschen durch die Innenstadt ziehen?

Die Aufregung um die Neonazis auf den Demonstrationen ist unverständlich, noch unverständlicher ist jedoch ein positiver Bezug auf die Montagsdemos. Freerk Huisken verdeutlichte in der vorigen Woche an dieser Stelle die Überschneidungen der »linken« und rechten Argumente gegen Hartz IV. Die Meinungen decken sich besonders, wenn es darum geht, den Sozialneid zu schüren, ein Gefühl von »wir hier unten« zu erzeugen und einen positiven Bezug zu Deutschland herzustellen.

Der durchschnittliche Demonstrant im Osten scheint nicht viel dagegen zu haben, mit Neonazis in einer Demo zu laufen. Hauptsache, wir sind viele und niemand stört das Gemeinschaftsgefühl, heißt das Motto. Kein Wunder, dass in Gera lieber die lästigen Antifas statt der ordentlichen Neonazis aus der Demo ausgeschlossen wurden. Wenn Rechte in der Demo in den Medien präsentiert werden, wird kein falsches Bild gezeichnet, sondern ein realistisches. Warum sollte es Aufgabe der Linken sein, die Demos aufzuwerten und sich als Putztruppe anzubieten? Wer auf die montägliche Masse setzt, hat sie sich noch nicht angeschaut.

Zustände in Leipzig

30. August. In Leipzig sammelt sich alles, was die Volksgemeinschaft zu bieten hat. Ganz normale Deutsche mit Schildern wie »Sind wir wirklich ein Land – ein Volk?« oder »Wir wollen doch nur mit ehrlicher Arbeit unseren Lebensunterhalt verdienen«. Was ist denn ehrliche Arbeit? »Na, so mit richtigem Geld und richtiger Arbeit. Keine Almosen.« Aha. Alle irgendwie linken Parteien und Gruppen tauchen auf, eine DKP-Fahne ist zu sehen, Flugblätter der trotzkistischen Partei für Soziale Gleichheit (PSG), die ÖDP und esoterische VitaminfanatikerInnen von der Wahlliste Aufbruch. Etwa zehn punkige Grufties tragen eine Badewanne wie einen Sarg, auf der steht: »Deutschland geht baden.« Was sie offenbar schlimm finden.

Während am Montag zuvor noch T-Shirts mit der Aufschrift »Schröder muss weg« überwogen, sind in dieser Woche T-Shirts der Renner, auf denen steht: »Hartz IV – nicht mit mir!« Vor allem, weil sie kostenlos verteilt werden. Auf der Rückseite ist zu lesen: www.a-d-b-c.de. Das steht für: Allgemeiner Deutscher Bürger Club. Auf einer Unterschriftenliste steht lediglich: »Die Unterzeichner unterstützen die Petition des ADBC gegen Hartz IV von Dr. Cornelia Ernst.«

Das Beste an den Demos, die Pfarrer Christian Führer lieber Montagsproteste nennen möchte, weil (bis jetzt) das Friedensgebet nicht ihren Anfang bildet, ist, dass sie ganz schön lahm und ruhig daherkommen. Sie scheinen derzeit nicht so gefährlich wie 1989. In den ersten Reihen, in denen die demogeübten AnhängerInnen von Verdi und der PDS laufen, wird noch sporadisch »Weg mit Hartz vier, das Volk sind wir« und »Schröder muss weg!« gerufen. Danach wird’s still.

Weit hinten – dahinter läuft nur noch Attac – singt und tanzt die rechte Bürgerrechtsbewegung Solidarität (Büso). Winfried Helbig, vom Sozialforum Leipzig meint, diese »sektenartige« Gruppe störe nicht weiter, und man könne bei ihnen ja »weghören«. Aber die Büso-AnhängerInnen sind als einzige laut und gut organisiert, sie halten eigene Auftakt- und Abschlusskundgebungen ab. Einer sagt über Megaphon: »Schröder muss nicht weg. Er muss nur daran erinnert werden, was für ein Amt er hat. Schröder ist der höchste Führer des Volkes.«

Bei der Abschlusskundgebung auf dem Augustusplatz ergibt sich ein ähnliches Bild. Die braven Ossis stehen da, halten ihre Schilder hoch und ertragen fünf RednerInnen, bis endlich der Stargast Oskar Lafontaine ans Mikrophon tritt und seine populistischen Plattitüden verkündet. »Leipzig steht für den Ruf nach Freiheit und Demokratie«; »Reformpolitik braucht geistige Orientierung«; »Markt und Menschen vertragen sich nicht.«

Der Applaus überwiegt, die anfänglichen Buhrufe ebben schnell ab, später ist nur noch Zustimmung vernehmbar. Wenn Lafontaine für Reformen plädiert, ist er darauf bedacht, dem Volkswillen nicht zu widersprechen. »Wir brauchen Verantwortung für die Gemeinschaft«, sagte er oder: »Ja, es sind Opfer notwendig, aber vor allem Opfer von denen, die es dicke haben.« Und: »Wir sind ein Volk und alle müssen in die Kassen einzahlen.« Denn: »Die Interessen des Volkes müssen dominieren.« Das wärmt die Volksseele, dafür erhält er den meisten Applaus.

Richtige Frage, völkische Antwort

Die Leute sind mit Recht unzufrieden. So zynisch kann niemand sein und die Realität der Menschen ignorieren. Gerade im Osten ist die Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Armut die Normalität. Kürzungen staatlicher Unterstützungen wirken sich direkt auf den Alltag von vielen aus. Doch so berechtigt die Kritik am Arbeitslosengeld II ist, so wenig hat sie erst mal mit einem emanzipatorischen, herrschaftskritischen Denken zu tun.

Niemand scheint für die eigenen Bedürfnisse und schnöde materielle Verbesserung zu demonstrieren. Fragt man nach dem Grund der Teilnahme, erhält man Antworten wie: »Meine Kinder brauchen eine Zukunft«, »Deutschland geht den Bach runter« oder »Die sollen wissen, sie können nicht alles mit uns machen«. Mit »die« sind in erster Linie PolitikerInnen gemeint, die hier keinen guten Ruf haben.

Dabei besteht ein guter Teil der Demonstration aus Parteimitgliedern, die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit gehört zum organisierenden Bündnis, aber das hält offenbar niemanden von der Teilnahme ab. Man freut sich darauf, mal richtig zu zeigen, was man von der Politik hält.

Gelegenheit hierfür gab es schon beim jüngsten Besuch Schröders. Von »Lügner« bis »Ratte« reichten die Beschimpfungen. Eine Frau sagt: »Der soll sich hier nicht blicken lassen. Frechheit, dass er ein russisches Kind adoptiert hat, gibt es keine deutschen Kinder?«

Die Heimatverbundenheit ist wichtig für die DemonstrantInnen, keine völkische Argumentation ist zu platt. »Hartz IV zerstört unser Land – drum zerstören wir Hartz IV«, heißt es auf einem Plakat der Wahlalternative, Sektion Chemnitzer Land. Individuelle Bedürfnisse sind unerwünscht, immer wird auf die Gemeinschaft verwiesen. Nach nicht regressiver Kapitalismuskritik sucht man vergebens. Keine Spur von Kritik an der Totalität des Neoliberalismus, wie Helge Meves an dieser Stelle schrieb. (Jungle World, 35/04)

Bindemittel für alle Positionen ist der Sozialneid, als persönliche Ungerechtigkeit wird aufgefasst, dass andere mehr haben als man selbst. Angelo Lucifero schrieb, Sozialneid gehöre zur Demagogie des Rechtsextremismus. Sozialneid wird jedoch von allen Bündnissen, die momentan auf die Straße rufen, angestachelt. Niemand kommt ohne einen Verweis auf die Vermögensverteilung aus.

Applaus gibt es immer dann, wenn auf »die Reichen« verwiesen wird. »Vodafone und Ackermann, das sind die wahren Sozialschmarotzer«, heißt es. Und auch der strukturell antisemitische Unterton der Kritik macht sich auf Transparenten Luft: »So lange Zinsen Reiche reicher machen, haben wir nix zu lachen.« Oder: »Täglich wandern in Deutschland 980 Millionen Euro Zinsen von Arm zu Reich.«

Stärke wird aus der Masse bezogen, und für kurze Momente muss man sich nicht mehr als (Wende-)VerliererIn fühlen. Und immer wieder wird der Bezug zu 1989 hergestellt, als »das Volk« es schon einmal geschafft hat, etwas zu bewegen. Aber auch die Referenz auf die nationalistischen Montagsdemonstrationen führt in der radikalen Linken nicht zu Diskussionen, wie man dem Mob entgegentreten sollte. Stattdessen wird immer wieder der Wunsch geäußert mitzumachen, mit fadenscheinigen Begründungen. Es sei erst mal gut, dass die Leute überhaupt etwas machen.

Keine revolutionären Subjekte in Sicht

So diffus, wie die Positionen der OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen der Montagsdemonstrationen auch sein mögen, sie sind reaktionär und deutschtümelnd. »Hineinzuwirken« gibt es da nichts. Und schon gar nicht zu radikalisieren, denn radikalisiert will man diese Menge auf keinen Fall erleben. Die nahe liegenden Fragen lauten vielmehr, ob die Masse gefährlich wird und man den Botschaften der Demos etwas entgegensetzen kann.

Aber manche Linke beharren auf einem angeblich emanzipatorischen Potenzial und gemeinsames Handeln ist für sie eine Option. Dabei müssen sie in ihrer Argumentation an der Oberfläche bleiben oder pathetisch werden.

Die Analysen der deutschen Gesellschaft werden immer wieder vergessen, sobald sich ein paar tausend Deutsche in vermeintlicher Opposition zum Staat auf die Straße begeben. Doch es gibt nichts schönzureden. Die soziale Frage wird auf den Montagsdemos reaktionär und national beantwortet. Die Losung »Wir sind das Volk« ist völkisch gemeint und nicht »moralisch«, wie Helge Meves es gerne hätte. Auf emanzipatorischen Inhalten und radikaler Gesellschaftskritik bestehen und gleichzeitig Bündnisse mit dem Volk eingehen, ist in Deutschland kein Ding der Dialektik, sondern der Unmöglichkeit.

Susanne Fischer ist organisiert im Antifaschistischen Frauenblock Leipzig (AFBL) und Redakteurin der Zeitschrift Phase 2