Geld stinkt nicht

Das Geld für seine Sammlung hat der junge Flick vom alten Flick. Und der hat es von den Zwangsarbeitern. Eine deutsche Familiengeschichte. von kerstin eschrich

Nur für kurze Zeit ließ der »Geier«, wie Friedrich Flick von Freunden und Feinden genannt wurde, die Flügel hängen. Wenige Wochen nach Kriegsende wurde der ehemalige Wehrwirtschaftsführer, Großindustrielle und reichste Mann Deutschlands von US-amerikanischen Soldaten verhaftet.

Zwei Jahre saß er in Untersuchungshaft, bis am 18. April 1947 der Prozess gegen ihn und fünf weitere Verantwortliche des Flick-Konzerns vor dem Militärgerichtshof in Nürnberg begann. Anklagepunkte waren u.a. die Rekrutierung und Ausbeutung von Zwangsarbeitern aus den besetzten Ländern und den Konzentrationslagern, die Ausplünderung von Fabriken in Frankreich und der UdSSR, Verbrechen gegen die Menschheit, vor allem durch die Beteiligung an so genannten Arisierungsmaßnahmen, und die finanzielle Unterstützung der SS.

Der Vorsitzende Richter sprach ihn in allen diesen Punkten schuldig. Nur was die Verbrechen gegen die Menschheit anging, fühlte sich das Gericht nicht zuständig. Die Richter waren nachsichtig, billigten Flick mildernde Umstände zu und verurteilten den größten NS-Kriegsgewinnler zu sieben Jahren Gefängnis. Die zwei Jahre Untersuchungshaft wurden auf die Strafe angerechnet.

Zur Friedrich-Flick-Kommanditgesellschaft gehörten während des Krieges zahlreiche Eisen- und Stahlgesellschaften sowie Braun- und Steinkohle-Unternehmen. Der Konzern war führend in der Rüstungsproduktion bei der Herstellung von Panzern, Kanonen, Raketen und Flugzeugen. Für die Massenproduktion waren viele Arbeiter notwendig. An diese Arbeitskräfte zu gelangen, ist besonders schwierig, wenn das Vaterland Krieg führt. Die meisten Männer wurden hinter den Kanonen gebraucht und standen nicht zur Herstellung derselben zur Verfügung. Gleichzeitig sorgten die kämpfenden Arbeiter aber dafür, dass billiger Nachschub an Arbeitskräften aus den eroberten Ländern kam. Wie die amerikanische Anklagebehörde in ihrem Plädoyer darlegte, beschäftigte der Konzern 1944 über 120 000 Personen in seinen Unternehmen, darunter zehntausende Zwangs- und Sklavenarbeiter. »Die SS-Statistiken besagen, dass zum mindesten am Ende des Jahres 1944 nicht weniger als 40 Prozent der Gesamtbelegschaft des Flick-Konzerns aus ausländischen Arbeitern, Kriegsgefangenen und Konzentrationslagerhäftlingen bestand.«

Flick behauptete während des Prozesses, von Zwangsarbeitern nichts gewusst beziehungsweise unter Druck gehandelt zu haben. Aufgrund der Beweise der Anklage konnte er aber nicht umhin zuzugeben, dass wohl doch nicht alle Arbeitssklaven aus freien Stücken für seinen Konzern schufteten. »Als die Zahl (der Ostarbeiter) größer und größer wurde, kam ich zu dem Eindruck und der moralischen Überzeugung, dass nicht alle – dass es undenkbar war, dass sie alle freiwillig nach Deutschland gekommen waren«, erklärte er dreist vor Gericht.

Eine der Arbeitssklavinnen war die ungarische Jüdin Eva Fahidi. Sie war im August 1944 von Auschwitz in das Rüstungswerk Münchmühle der Dynamit AG bei Allendorf deportiert worden. Unter schlimmsten Bedingungen mussten dort Sklavenarbeiterinnen Granaten für den deutschen Krieg herstellen. In ihrem Buch »Meine Münchmühle in Allendorf« beschreibt sie die tägliche Quälerei. »Wir haben täglich, in acht bis zehn Stunden 800 mal 50 Kilo aufgehoben und irgendwohin hingeschleppt und dann noch abgelegt. Die anstrengende Gebärde, die man am Ende des ›Ablegens‹ durchführte, spüre ich noch jetzt im Rückgrat. Wir mussten das Gewicht herunterlassen, ohne dass die Granate auf unsere Füße fällt oder aus unserer Hand rollt. Wer kann mir erklären, woher wir am Ende die Kraft genommen haben, wobei wir selbst nur um die 40 Kilo gewogen haben?«

Judith Magyar Isaacson war ebenfalls eine Jüdin aus Ungarn, die zur gleichen Zeit zur Dynamit AG kam, allerdings in Hessisch Lichtenau. Für sie war der eisige Winter 1944/45 das Schlimmste, »ein einziger Kampf um Lebensmittel«, wie sie in ihrem Buch »Befreiung in Leipzig« schreibt. Eines Tages konnte ihre Freundin ein paar Scheiben Rinderschmorbraten organisieren. »Essen von der SS!«, wie sie erklärte. Nachdem der letzte Bissen verschlungen war, klärte sich die Herkunft des Fleisches. »›Versprich mir, dass du nicht kotzen wirst‹, sagte sie und drückte meine Hand. ›Ich hab’s dem schlafenden Bluthund des Kommandanten weggenommen.‹« Grauenhafte Lebensbedingungen, für die der Konzernherr mitverantwortlich war.

Der Flick-Konzern profitierte auch von den so genannten Arisierungen jüdischen Eigentums. 1937 konnte Flick die Aktienmehrheit des Hochofenwerks Lübeck billig erwerben. Die jüdischen Hauptaktionäre mussten schleunigst emigrieren. Ein besonderer Leckerbissen war für den Industriellen die Übernahme der Kohlegruben der Familie Petschek. Flick hatte mehrere Jahre versucht, an den Besitz der Petscheks, u.a. die Anhaltischen Kohlewerke, zu gelangen. Ende 1939 konnte er dann zuschlagen. Er war kein kleinlicher Mann. Wer ihm einen Gefallen tat, konnte mit seinem Dank rechnen. Während der Zeit des Nationalsozialismus spendete er 7,65 Millionen Reichsmark an die NSDAP. Die Anklagebehörde legte in Nürnberg auch Dokumente vor, die bewiesen, dass Flick »an dem Entwurf eines allgemeinen Arisierungsgesetzes« beteiligt war.

1950 wurde er dennoch frühzeitig aus der Haft entlassen. Forsch machte er sich gleich daran, an die glorreichen Zeiten vor dem Kriegsende anzuknüpfen. In der sowjetischen Zone war er entschädigungslos enteignet worden. Nicht so im Westen. Zudem hatte er bereits vor Kriegsende Vorsorge getroffen und den größten Teil seines Vermögens an seine Söhne übertragen, die Verfügungsgewalt über das Kapital behielt er sich allerdings vor. Bereits 1960 war er wieder der reichste Mann Deutschlands.

Flick dachte keinen Moment daran, Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter zu leisten. Anfang der sechziger Jahre nahm die Jewish Claims Conference Kontakt zu einigen seiner Mitarbeiter auf, um für die ungarischen Jüdinnen und Juden, die für die Dynamit AG Sklavenarbeit geleistet hatten, Entschädigungszahlungen zu erreichen. Man kam überein, dass jeder, der nachweisen konnte, dass er dort arbeiten musste, 5 000 Mark bekommen sollte. Das Einzige, was fehlte, war die Unterschrift des Chefs, die auch niemals erfolgte. Stattdessen ließ er verlautbaren, dass es für ihn weder »humanitäre noch moralische Gründe« für Zahlungen gebe.

Bis an sein Lebensende zeigte er keine Reue oder Mitgefühl, was viele Politiker der BRD nicht hinderte, ihn zum Spezi zu haben. Man hatte auch kein Problem damit, Schulen nach Flick zu benennen. Der »Geier«, ein Vorbild für die Jugend.

Zitate aus dem Prozess gegen Flick u.a. nach: Fall 5, Anklageplädoyer, ausgewählte Dokumente, Urteil des Flick-Prozesses; Hrsg.: Karl-Heinz Thieleke; VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften; Berlin 1965