Power ohne Papiere

Weil sich die Migranten selbst organisieren, können die Illegalisierten in Spanien immer wieder kleine Erfolge erzielen. von jens herrmann, barcelona

Ibrar al-Syed tummelt sich nicht zu seinem Vergnügen auf Barcelonas größtem Stadtteilfest in Gracia, das immer im August stattfindet. Er steht hinter einem kleinen Infotisch, vor ihm liegen einige Handzettel. »Papiere für alle«, ist auf ihnen zu lesen. Al-Syed gehört zum Netzwerk ARSC, einem Zusammenschluss von 40 Gruppen, der sich für eine verbesserte Lebenssituation der rund 44 000 in Barcelona lebenden, illegalisierten Migranten einsetzt.

Nicht ohne Stolz zeigt al-Syed auf die Bilder ihrer letzten großen Aktion Anfang Juni: die Besetzung der Kathedrale von Barcelona. Bald folgt die Einladung, am nächsten Abend das Gruppenplenum der sin papeles, wie die Illegalisierten in Spanien genannt werden, zu besuchen. Zum Treffen im Schulungsraum einer Gewerkschaft findet sich diesmal nur eine kleine Gruppe von Delegierten ein, denn es ist Ferienzeit in Barcelona. Enrique Mosquera von der Organisation »Papiere für alle«, der das Netzwerk vor zwei Jahren mitbegründete, erklärt mit einem Lächeln: »Eigentlich dürfen wir hier gar nichts, es dürfte uns gar nicht geben.« In Spanien habe sich die Situation illegalisierter Migranten unter der konservativen Regierung stark verschlechtert. Nach deren Abwahl im Frühjahr hofften auch die Organisationen der Illegalisierten auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Immerhin hatte die neue Regierung im Wahlkampf versprochen, sich für sie einzusetzen.

In Spanien schlägt sich derzeit mehr als eine Million Flüchtlinge und Arbeitsmigranten in der Illegalität durch, schätzt Mosquera. Anders als in Deutschland schiebe der spanische Staat nur eine geringe Zahl der abgelehnten Migranten ab. »Die Polizei hält Illegalisierte hier meist nur ein paar Stunden fest, dann bekommen sie ein Ausweisungsdokument, das mehrere Jahre gilt, und werden wieder auf die Straße gesetzt«, sagt Mosquera. Eigentlich könne die Polizei sie 40 Tage festhalten, jedoch seien die Gefängnisse in Spanien voll.

In Barcelona ist daher möglich, was in Deutschland fast undenkbar erscheint. Die ARSC sandte nach dem Regierungswechsel im Mai sofort eine Delegation Illegalisierter zur zuständigen katalanischen Ministerin Adela Ros, um Forderungen zu stellen. Doch sie versetzte die Aktivisten und schickte nur einen Sekretär. Auf eine Antwort der Ministerin auf die 24 Forderungen warten Al-Syed und Mosquera noch heute. Es schien klar, dass die Ministerin von ihren Wahlversprechen nichts mehr wissen wollte. Also beriefen sie ein Delegiertentreffen ein, auf dem beschlossen wurde, den Forderungen möglichst bald mit öffentlichen Aktionen mehr Nachdruck zu verleihen. Schnell wurde eine Versammlung der sin papeles organisiert, um über das Treffen zu informieren und das weitere Vorgehen abzusprechen. 3 000 Illegalisierte kamen und entschieden, die Kathedrale zu besetzen.

Die Selbstorganisation der Migranten hat in Spanien bereits Tradition. In mehreren Protestwellen konnten so Papiere für Tausende sin papeles erkämpft werden. Die letzten großen Kirchenbesetzungen im Jahr 2001 dauerten 46 Tage. Dann gab die Regierung nach und garantierte Papiere für 14 000 Menschen.

Dieses Jahr beteiligten sich im Juni mehr als 7 000 Menschen an einem Protestzug gegen die Illegalisierung der Migranten. Alle waren entschlossen, die Kathedrale zu besetzen. Die Kirchenverantwortlichen hatten das Sit-in zuvor abgelehnt, so dass die Polizei versuchte, das Eindringen in die Kathedrale zu verhindern. Doch die Demonstranten verhielten sich geschickt. Sie besetzten zunächst eine andere Kirche im Stadtzentrum, um dann doch mit etwa 1 500 Menschen in die Kathedrale zu drängen. Die verdutzte Polizei riegelte daraufhin das Viertel ab und nahm 121 Illegalisierte fest.

Danach sollte Ministerin Ros in die Kathedrale kommen, um dort mit den Illegalen über ihre Situation zu sprechen. Doch statt ihr sei ein Vertreter der Caritas gekommen, erzählt al-Syed. Dieser habe erklärt, sie sollten die Kathedrale umgehend verlassen, da sonst alle von der Polizei festgenommen würden. »Zu diesem Zeitpunkt hatten wir alle gegen uns: die Regierung, die Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und humanitäre Organisationen.« Schließlich seien Vertreter der Stadt, Kataloniens und der spanischen Regierung gekommen, um die baldige Räumung der Kathedrale anzukündigen.

Gegen fünf Uhr morgens drangen dann tatsächlich Sondereinheiten der nationalen Polizei über das Dach in das Gebäude ein. »Wir sollten die Kirche freiwillig verlassen, sonst würden wir alle festgenommen, sagten die Polizisten«, erinnert sich al-Syed. Noch nie hatte die Polizei seit dem Ende der Franco-Diktatur eine Kirche gewaltsam geräumt. Die Kirchenleitung hatte zwar eine Duldung der Besetzung bis zum nächsten Morgen ausgesprochen, doch die neue sozialdemokratische Zentralregierung ließ die Kathedrale mit Gewalt räumen. »Für uns war die Aktion ein Erfolg«, meint al-Syed, »denn nun berichteten alle großen Medien von der Besetzung und zeigten die Gewalt in der Kirche. Da waren viele empört. Nach der Räumung zogen wir in einer großen kraftvollen Demonstration durch die Stadt.«

Weitere Kirchenbesetzungen folgten in den Wochen danach. Anfang Juli organisierte die ARSC dann einen 32stündigen Hungerstreik vor der Kathedrale und gewann immer mehr Zuspruch. »Die Zahl der Unterstützer hat sich auf 150 Nichtregierungsorganisationen vergrößert«, erklärt al-Syed den Erfolg.

Der Kampf habe sich letztlich gelohnt, meinen die Aktivisten, denn Ende Juli kam die Nachricht, dass die katalanische Regierung fünf Vorschläge zur Migrationspolitik an die Regierung nach Madrid überstellt hat. Migranten, die mindestens zwei Jahre Aufenthalt in Spanien nachweisen können, über den Nachweis eines Jobangebots oder eines »Integrationszertifikats« verfügen, sollen Papiere bekommen. In der Empfehlung an die Regierung wird auch die Anerkennung von Lebensgemeinschaften thematisiert. Die Vorschläge entsprächen zwar bei weitem nicht den Forderungen der ARSC, meint al-Syed, aber es sei ein Teilerfolg, und der Kampf gehe ja weiter.

So wird im Schulungsraum der Gewerkschaft noch am gleichen Abend die nächste Aktion besprochen. Im Rahmen des von Stadt- und Landesregierung mit Millionenaufwand organisierten Kulturevents »Forum« soll eine Konferenz zum Thema »Menschliche Bewegung und Immigration« stattfinden. Kein Illegalisierter wurde zur Diskussion eingeladen. Doch für die Leute von der ARSC ist klar: Sie werden dort hingehen und lautstark zeigen, dass sie bereit sind, für ihre Rechte zu kämpfen.

Dieser Kampf verschiebt sich zunehmend weg von den nationalen Regierungen, denn längst wird Immigrationspolitik auf europäischer Ebene gemacht. So wünscht sich auch al-Syed bald eine bessere europaweite Zusammenarbeit der Organisationen für Papiere und gegen Illegalisierung.