Scheitern in Südwest

Ein halbes Jahr nach den Pogromen im Kosovo gerät Verteidigungsminister Struck wegen eines im deutschen Sektor umgekommenen Serben unter Druck. von markus bickel, prizren

Baton Haxhiu schüttelt den Kopf. »Die Deutschen sollten lieber ihren Job machen, anstatt sich dauernd mit ihrer Vergangenheit zu befassen«, sagt der ehemalige Chefredakteur der unabhängigen kosovarischen Tageszeitung Koha Ditore, während er den alten Opel Kadett durch das pittoreske Bistrica-Tal lenkt. Am rechten Straßenrand liegen die Ruinen einer alten byzantinischen Festung und die erst im Frühjahr zerstörten Gemäuer des im 14. Jahrhundert errichteten Erzengel-Klosters. Bundeswehrsoldaten waren hier seit Ende des Kosovo-Krieges vor fünf Jahren stationiert, um die verbliebenen serbisch-orthodoxen Mönche zu schützen.

Doch als 800 aufgebrachte kosovo-albanische Extremisten am Abend des 17. März dieses Jahres vor dem Tor der Festungsanlage aufmarschierten, baten sich die 18 für die Bewachung der Anlage verantwortlichen deutschen Angehörigen der von der Nato geführten Kosovo-Schutztruppe (Kfor) lediglich eine kurze Bedenkzeit aus, ehe sie das Kloster dem Mob kampflos überließen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte das durch einen Bach von der Straße getrennte Gelände noch im Juli in einem Bericht als »leicht zu verteidigen« eingestuft. Für den Journalisten Haxhiu, dessen früheres Blatt das Auftreten ehemaliger Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) nach Kriegsende bereits vor fünf Jahren als »faschistisch« brandmarkte, war das Verhalten der Deutschen ein Skandal.

Ein halbes Jahr nach den schlimmsten Ausschreitungen im Kosovo seit dem Abzug serbischer Polizei- und jugoslawischer Armeeeinheiten im Juni 1999 sehen das plötzlich auch Bundestagsabgeordnete und Angestellte des Verteidigungsministeriums so. Vor allem der Tod des 61jährigen Dragan Nedeljkovic, der direkt neben der von deutschen Soldaten bewachten serbisch-orthodoxen Kirche in der Altstadt von Prizren verbrannte, wirft unter Parlamentariern Fragen auf, die unmittelbar nach den antiserbischen Pogromen im März in Deutschland lediglich Journalisten und Menschenrechtler stellen wollten. Bei den zweitägigen Ausschreitungen kamen 19 Menschen ums Leben, mehr als 900 wurden verletzt.

So übte die Vorsitzende der Grünen, Angelika Beer, vergangene Woche Kritik an der Informationspolitik von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD), der bis heute darauf beharrt, erst im Mai über den Tod des Kosovo-Serben informiert worden zu sein. »Es liegt in der Verantwortung des Ministeriums, den Verteidigungsausschuss über alle Vorkommnisse zu informieren«, erklärte die seit Juni in Brüssel für Verteidigungsfragen zuständige Europaparlamentarierin der Jungle World. »Im Nachhinein zu behaupten, die festgestellten Versäumnisse hätten nicht im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums gelegen, verstößt gegen die gebotene Transparenz.« Sie habe den Verdacht, dass versucht wurde, »Informationen teilweise zu unterdrücken«.

Dabei war Kritik am Vorgehen der Bundeswehr in der im Südosten des Kosovo gelegenen Stadt Prizren, die in den Verantwortungsbereich der deutschen »Task Force Prizren« innerhalb der Multinationalen Kfor-Brigade Südwest (MNB SW) fällt, bereits unmittelbar nach den Ausschreitungen im März bekannt geworden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte Ende August zudem berichtet, dass entgegen bisherigen Behauptungen der Bundeswehrführung im serbisch-orthodoxen Priesterseminar in der Altstadt von Prizren am 17. März sehr wohl Menschen ums Leben gekommen seien. »Mir tut das Leid, dass ich diese Äußerung nicht mehr aufrechterhalten kann, in unserem Bereich ist niemand gestorben«, räumte Struck Anfang September ein. Noch nach den ersten Berichten der FAZ hatte er darauf beharrt, dass es den Bundeswehrsoldaten gelungen sei, in ihrem Verantwortungsbereich dafür zu sorgen, dass niemand zu Tode kam.

Erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Anfang September erfolgten Korrektur durch Struck bleiben jedoch weiter bestehen. Vor allem die Behauptung, das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam sei erst am 21. Mai von dem Todesfall unterrichtet worden, scheint fragwürdig. Ein hochrangiger Kfor-Offizier in Pristina antwortete auf die Frage der Jungle World, ob die Bundeswehrführung in Prizren bereits im März über den Tod des Mannes informiert gewesen sei: »Die hat davon gewusst.« Er könne sich nicht vorstellen, dass eine derart brisante Information nicht an die Zentrale in Potsdam weitergeleitet worden sei. Kosovo-albanische und serbische Medien hatten direkt nach den Ausschreitungen ausführlich über den Todesfall berichtet. Das bestätigte auch der Sprecher des deutschen Kfor-Kontingents in Prizren, Uwe Kort, der Jungle World.

Kfor-Angehörige, die namentlich nicht genannt werden wollen, erklärten außerdem, dass keinerlei schriftliche Aufzeichnungen über den Einsatz vorlägen. In der Einsatzzentrale habe »heilloses Chaos« geherrscht. Das Verteidigungsministerium behauptet darüber hinaus, dass nicht deutsche Kfor-Soldaten, sondern Polizisten der Protektoratsverwaltung der Vereinten Nationen (Unmik) den Leichnam des verbrannten Kosovo-Serben geborgen hätten.

Bei seinem Auftritt im Verteidigungsausschuss des Bundestags vorige Woche versprach Struck den Abgeordneten bis zur nächsten Sitzungswoche zwar »eine lückenlose Übersicht« über die Ereignisse im März. Doch nach Ansicht der Opposition werde immer noch »eher geschönt als vollständig informiert«. Der FDP-Abgeordnete Rainer Stinner erklärte der Jungle World, man wolle über die Todesumstände des Kosovo-Serben, aber auch über das Pogrom insgesamt genaue Informationen.

Sowohl Abgeordnete der FDP als auch der Union wiesen darauf hin, dass sich der Verteidigungsausschuss gegebenenfalls durch die Konstituierung eines Untersuchungsausschusses Informationen beschaffen könnte. Schließlich sei alles, was Struck mitgeteilt habe, bereits in der Zeitung zu lesen gewesen. Struck wurde von Teilnehmern der Sitzung in der FAZ als »sehr zurückhaltend« beschrieben und habe sich selbst mehr als »Moderator der Sitzung« präsentiert.

Am bislang erschreckend positiven Image der Bundeswehr im Kosovo wird die Informationspanne im Verteidigungsministerium wahrscheinlich wenig ändern. Doch für den vorige Woche vom Franzosen Yves de Kermabon an der Spitze des Kfor-Oberkommandos abgelösten General Holger Kammerhof könnte das Fehlverhalten seiner Einheiten im Sektor Südwest noch einen empfindlichen Karriereknick bedeuten. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Schmidt, schloss nicht aus, dass der für diese Woche geplante Amtsantritt Kammerhofs als Befehlshaber des Einsatzführungskommandos in Potsdam noch platzen könnte.