Die Beziehung retten

Entschädigt wird niemand, alles ist erledigt. Denn das deutsch-polnische Verhältnis darf nicht »belastet« werden. von martin kraft, krakau

So einig hatte sich der Sejm, das polnische Parlament, noch nie gezeigt. Fast einstimmig verabschiedete es am 10. September eine Resolution, welche die polnische Regierung mit der Forderung, Entschädigungszahlungen von Deutschland zu verlangen, unter Druck setzte.

Bis dato habe Polen »keine entsprechende finanzielle Kompensation und Kriegsreparationen erhalten für die riesigen Zerstörungen und Verluste (...), die durch deutsche Aggression, Besatzung, Völkermord sowie Verlust der Unabhängigkeit verursacht wurden«, heißt es in dem Text. Es folgt die Forderung an die polnische Regierung, »dringende Schritte« einzuleiten.

Der Sejm stellt außerdem fest, dass Polen »gegenüber Bürgern der Bundesrepublik Deutschland keinerlei aus dem Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen hervorgehende finanzielle Verpflichtungen« habe, und fordert die polnische Regierung dazu auf, schnellstmöglich Schätzungen der in Folge des Zweiten Weltkrieges erlittenen Schäden in Auftrag zu geben. An die deutsche Regierung wird appelliert, Entschädigungsklagen gegenüber Polen als unbegründet und unrechtmäßig zu betrachten sowie aufzuhören, deutsche Bürger auf den Rechtsweg gegenüber Polen zu verweisen. Deutschland möge definitiv anerkennen, dass die deutsche Regierung für mögliche Entschädigungen zuständig sei, und zwar im Hinblick auf die Schäden, die deutsche Staatsangehörige durch Umsiedlung und Verlust ihres Besitzes nach dem Zweiten Weltkrieg infolge des Potsdamer Abkommens sowie späterer Repatriierungsprozesse erlitten haben.

Vier Tage nach der Verabschiedung der Resolution distanzierte sich die polnische Regierung von der rechtlich nicht bindenden Aufforderung des Parlamentes. Sie weigerte sich auch, mit der deutschen Regierung Verhandlungen in Sachen Kriegsreparationen zu führen. Premier Marek Belka erklärte die polnisch-deutsche Entschädigungsfrage zu einem endgültig abgeschlossenen Kapitel, während Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz den Abgeordneten vorwarf, die polnische Öffentlichkeit mit der Annahme, es gebe irgendeinen rechtlichen Anspruch auf Entschädigungszahlungen, in die Irre zu führen. Gleichzeitig sprach er sich gegen Klageankündigungen von deutscher Seite aus; diese hätten weder einer rechtliche noch moralische Grundlage.

Nichtsdestotrotz kündigte Cimoszewicz an, in einigen Punkten auf das Ansinnen des Parlaments eingehen zu wollen. So soll eine Kommission berufen werden, welche die von Polen im Zweiten Weltkrieg erlittenen Verluste schätzen soll. Die Kommission solle jedoch »nicht in Verbindung mit Entschädigungsklagen« arbeiten, sagt Cimoszewicz, sondern um des Erinnerns an den Zweiten Weltkrieg sowie dessen Auswirkungen und Konsequenzen willen. Zusätzlich werde ein rechtliches Hilfssystem für polnische Bürger und Institutionen eingerichtet, falls es trotz allem zu Gerichtsprozessen in Polen und im Ausland durch Deutsche kommen sollte.

Die bislang ungekannte Einigkeit des Parlaments in der Abstimmung über die Resolution nahm die polnische Regierung als eindeutiges Signal dafür, dass sich der polnisch-deutsche Dialog in eine gefährliche Richtung entwickele. Nun fürchtet sie um eine weitere Verschlechterung der Beziehungen.

Konkrete Befürchtungen der polnischen Bürger speisen sich seit längerer Zeit aus der Ankündigung von Interessengruppen deutscher Vertriebener bzw. deren Nachkommen, nach Polens EU-Beitritt per Einzelklagen Grundbesitz zurückzufordern und dabei sowohl polnische Instanzen als auch andernfalls den Europäischen Gerichtshof in Strasbourg einzuschalten. Zudem hatten die Aktivitäten um die Vorsitzende des deutschen Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, sowie deren Pläne zur Eröffnung eines Zentrums gegen Vertreibungen bereits für heftige Diskussionen gesorgt.

Nach der Ankündigung der Preußischen Treuhand von Anfang August, noch in diesem Jahr in Polen und Europa Klagen zur »Rückerstattung deutschen Grundbesitzes« einzureichen, kam augenscheinlich Bewegung in der hauptsächlich aus radikalkatholischen Abgeordneten zusammengesetzten parlamentarischen Kommission, die bereits seit August vergangenen Jahres an einer Resolution über polnische Reparationsforderungen arbeitete. Ende August dieses Jahres erarbeitete eine neuformierte Kommission unter Mitarbeit der liberal-konservativen »Bürgerplattform« eine abgeschwächte Version der Resolution, die sie dem Sejm schließlich am 10. September zur Abstimmung vorlegte.

In der fast einstimmig angenommenen Resolution äußert sich eine Mischung aus oppositioneller Machtdemonstration der Regierung gegenüber und Wahlkalkül im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2005. Das polarisierende Thema »Deutschland, Zweiter Weltkrieg und Entschädigungsfrage« kommt den im Parlament stark vertretenen Parteien des rechtskonservativen bis radikalkatholischen Spektrums beim Stimmenfang wie gerufen, schürt es doch Ängste in der polnischen Bevölkerung und bringt gleichzeitig die um Diplomatie bemühte polnische Regierung in Gefahr, als »pro-deutsch« und somit »gegen das polnische Interesse« zu erscheinen.

Bestünde überhaupt eine rechtliche Möglichkeit für Polen, Reparationszahlungen einzufordern? Im Potsdamer Abkommen hatte Polen ehechen bekommen und bereits im Jahr 1953 gegenüber der damals Gesamtdeutschland repräsentierenden DDR auf jegliche weitere Forderung verzichtet (unter Federführung der UdSSR), was von der polnischen Regierung 1968 noch einmal bestätigt wurde. Konfrontiert mit deutschen Entschädigungsforderungen, führt Polen das Argument an, dass das Potsdamer Abkommen die Umsiedlung der in Polen ansässigen Deutschen regelte, die Zwangsumsiedlungen also keine Entscheidung einer souveränen polnischen Regierung darstellten, sondern allein der Siegermächte. Während es also auf polnischer Seite kaum rechtliche Möglichkeiten für Reparationen gibt, ist für Deutschland die Entschädigungsfrage bis heute nicht völlig geklärt.

Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen haben das heutige Polen mitgeschaffen, die Geschichte ist präsent und spielt eine größere Rolle im Leben der Menschen als in Deutschland, wo man versucht, eine Vergangenheit hinter sich zu lassen, die nicht so fern ist, wie man möchte. Es spielt eine Rolle in Polen, wer den Krieg angefangen hat, wer die größeren Opfer erlitten hat, auf wessen Seite so etwas wie moralische Verpflichtung herrschen sollte. Es ist fraglich, ob die Resolution des polnischen Parlaments eine Diskussion entfacht, die vielleicht die deutsche Regierung dazu bringen könnte, sich in der Vertriebenenfrage definitiv zu äußern, oder ob sie dem deutsch-polnischen Verhältnis nur Schaden zufügen wird.