Sie wollen doch nur protestieren

Wahlerfolg der Rechtsextremisten von stefan wirner

Für den sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) stand es bereits am Wahlabend fest: Die Landtagswahl in Sachsen war eine »Protestwahl«. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sprach sogar von einer »klaren Protestwahl«. Die Menschen seien enttäuscht »von nicht gehaltenen Versprechungen«. Auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), glaubte eine »Protestwahl« zu erkennen, es sei darum gegangen, »den etablierten Parteien mal ein deutliches Zeichen zu setzen«.

Der sächsische Innenminister Horst Rasch (CDU) zweifelte einfach das Wahlergebnis von 9,2 Prozent für die NPD an und meinte, die NPD liege in Sachsen bei etwa 1,5 Prozent. Die restlichen Stimmen gingen auf »Protestwähler« zurück. Für Wolfgang Bosbach (CDU), den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, stellten die Wahlergebnisse »keinen Protest gegen die Demokratie in Deutschland dar, sondern einen Protest gegen die etablierten Parteien«.

Wenn man die Stimmen nach der Wahl so hört, bekommt man fast Lust, beim nächsten Mal auch NPD zu wählen, den Parteien einen »Denkzettel« zu verpassen«, seinen »Protest« kundzutun und für »soziale Gerechtigkeit« zu stimmen. Denn so schlimm ist das offensichtlich alles gar nicht. Bundespräsident Horst Köhler, dem sonst nichts schnell genug gehen kann, sagte, es gebe keinen Grund, »in Panik« zu verfallen. Und der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, warnte in der Freien Presse, davor, »das Phänomen Rechtsextremismus überzubewerten«. Es gebe immer wieder ein paar Rechte, die in die Parlamente einzögen. Er glaube nicht, dass Investoren nicht mehr in den Osten kämen, »nur weil NPD und DVU in den Landesparlamenten sitzen«. Überhaupt bereite ihm die PDS größere Sorgen als die NPD.

Nur Wolfgang Thierse (SPD), der Bundestagspräsident, wollte nicht ruhig bleiben und warnte vor einer Verharmlosung der rechtsextremen Erfolge. Glücklicherweise hat sein Parteivorsitzender, Franz Müntefering, ein Patentrezept gegen rechtsextreme Parteien parat. »Denen, die die wählen, muss man sagen: Man wählt keine Neonazis«, sagte er. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.

Nur zwei Wörter tauchten in der Diskussion über die NPD und die DVU nicht auf: Rassismus und Nationalismus. Seltsam, dass viele der »Protestwähler« da ihr Kreuz machen, wo steht: »Deutsche Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!« (DVU); »Kriminelle Ausländer raus!« (DVU); »Deutsches Geld für deutsche Aufgaben!« (DVU); »Grenze dicht für Lohndrücker!« (NPD) und »Deutschland uns Deutschen!« (NPD)

Aber vielleicht erkennen deutsche Politiker diese Themen der Neonazis einfach deshalb nicht, weil sie selbst Tag ein, Tag aus nur an Deutschland denken: an deutsche Interessen, an deutsche Goldmedaillen, an einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat, an den Standort Deutschland, an die »Teamarbeit für Deutschland«, an den Tag der deutschen Einheit, an den Ruck, der durch Deutschland gehen müsse, an den angeblichen deutschen Schuldkomplex, an die »Dauerrepräsentation unserer Schande« (Martin Walser), an die »New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand«, die Deutschland einen Maulkorb verpassen (Rudolf Augstein), an das »Selbstbewusstsein einer erwachsenen Nation« und an den »deutschen Weg« (Gerhard Schröder), an den Untergang der Wilhelm Gustloff (Günter Grass), an die deutschen Opfer des alliierten Luftkriegs, an die Bombardierung Dresdens, an den armen Hitler im Führerbunker, an Deutschland, die Melkkuh der Nationen, an Deutschland, Deutschland über alles.