Die Linke mit der Maus

Viele Anarchisten, aber kein großes Anarchistenblatt. Sechster Teil der Serie über linke Medien in Europa. von harry ladis

Es fällt einem in der U-Bahn auf, am Strand oder im Café – zeitunglesende Menschen kommen im Alltagsleben Griechenlands eher selten vor. Im Vergleich zu Großbritannien, Deutschland oder anderen europäischen Ländern wird in Griechenland sehr wenig Zeitung gelesen. Das Interesse an Printmedien ist derart gering, dass es keine Zeitung geschafft hat, zu einer die Öffentlichkeit bestimmenden Kraft zu werden. Nicht einmal der Boulevard hat es zu einem echten Massenblatt gebracht. So ist es dann auch kein Wunder, dass in diesem an Zeitungen chronisch desinteressierten Land auch keine wirklich blühende linke Presselandschaft existiert.

Diejenigen Griechen, die links eingestellt sind, versuchen, sich vor allem aus der Athener Tageszeitung Eleftherotypia (Pressefreiheit) zu informieren, die auch jene Missstände behandelt, die von besonderem linkem Interesse sind; also Grundrechtsverletzungen, Ausländermisshandlungen oder Auseinandersetzungen bei Demonstrationen. Aber das geschieht nur am Rande. Der Leser soll durch die Berichte zu keiner grundsätzlichen Ablehnung der Institutionen bzw. der Parteien ermutigt werden, die Kritik bleibt vorsichtig und oberflächlich. Und pünktlich zu Beginn des Wahlkampfs lässt Eleftherotypia ihre linke Maske fallen und plädiert in Kommentaren mehr oder weniger unverblümt dafür, die sozialdemokratische Pasok zu wählen. Gleichzeitig versäumt die Zeitung kaum eine Möglichkeit, in ihrem charmanten Stil die Anarchisten zu denunzieren. So war es 1991 auch die linke Eleftherotypia, die den Anarchisten den Spitznamen »bekannte Unbekannte« verpasste, mit dem angedeutet wird, dass es eine Verstrickung mit der Polizei gebe, die die Chaoten zwar kennen, aber nie verhaften würde.

Ein linkes Alibi verschafft sich die Eleftherotypia mithilfe der Journalistengruppe Ios tis Kyriakis (Virus am Sonntag), die ihr zuarbeitet und dabei gute und ernsthafte journalistische Arbeit leistet, heikle Themen jedoch auch gerne mal ausklammert. Als vor zwei Jahren ein Angestellter unter großem Stress in der Druckerei der Zeitung tödlich verunglückte, suchte man Berichte zu diesem Thema vergeblich. Mit einer Auflage von 35 000 ist Eleftherotypia immerhin die zweitgrößte Zeitung Griechenlands.

Der traditionelle Zeitungstag in Griechenland ist der Sonntag, der Tag, an dem die lesefaulen Griechen mal eine Ausnahme machen und sich zum Kauf einer Zeitung entschließen. Eleftherotypia kann mit ihrer Sonntagsausgabe ihre Auflagenzahlen verdreifachen, an diesem Tag liegt der Zeitung einmal monatlich Le Monde Diplomatique bei, außerdem gibt es als zusätzliches Extra am Sonntag DVDs und andere Gimmicks.

Daneben gibt es die linken Blätter von begrenztem Umfang und Interesse, die hauptsächlich die Rolle eines Parteiorgans erfüllen und sich ausschließlich an das entsprechende Wählerpotenzial wenden. Ein solches Parteiblatt ist Risospastis (Wurzelbrecher), das, als Organ der KP, von immerhin fast 4 000 treuen dogmatischen Stalinisten täglich gelesen wird. Es ist sicher eine griechische Besonderheit, dass sich eine solch beinharte Partei ins 21. Jahrhundert hinübergerettet hat. Früher war es einmal ein subversiver Akt, wenn verfolgte tapfere Kommunisten diese Zeitung kauften, heute wirkt es nur peinlich, sich eine derart anachronistische Zeitung mit veralteter Phraseologie zuzulegen, in der es meist um irgendwelche Neuigkeiten aus den Betrieben geht.Hier kann man außerdem Berichte über Veranstaltungen zum vierjährigen Jubiläum der Intifada lesen, der »Revolte, die mit dem Blut der Kinder von Palästina den Widerstand gegen die täglichen Angriffe der israelischen Armee und die imperialistischen Pläne im Allgemeinen aufrechthält«, wie das Blatt kürzlich titelte.

Avgi (Morgendämmerung) heißt das Parteiorgan der reformistischen Linken Koalition. Bereits 1968, als sich anlässlich des Einmarschs der Sowjetunion in die Tschechoslowakei die KP in zwei Parteien spaltete, hat die Zeitung, die einst gerade von Jugendlichen gelesen wurde, ihren Kredit verspielt. Mit einer Auflage von rund 2 000 taumelt Avgi, trotz der finanziellen Unterstützung seitens der Partei, immer knapp am Abgrund entlang. Während Risospastis einen konsequent antiimperialistischen, patriotischen, antikapitalistischen und regierungsfeindlichen Ton anschlägt, um die Leserschaft an sich zu binden, ist Avgi nicht einmal dazu in der Lage. Das Blatt schwankt zwischen rot-roter Regierungskoalition und Antiglobalisierungsbewegung, zwischen Ökologie und Ökonomismus. Immerhin gibt es in der Sonntagsausgabe ein leidlich gutes Feuilleton, was aber kein hinreichender Grund für einen linken Leser sein kann, sich den Rest des Blattes anzutun.

In eine ähnliche Richtung wie Avgi bewegt sich auch Epochi (Zeit). Ihre Auflage liegt bei 2 000. Auch dieses Blatt ist fasziniert von der reformistischen Linken. Mit gewissen Abstrichen ließe sich Epochi als die wöchentliche Junge Welt Griechenlands bezeichnen, sowohl von den Inhalten als auch vom Layout her. Zeitungen wie Epochi verspüren dabei keine Hemmung, Kritik an einem Projekt zu üben, wie z.B. an den olympischen Spielen, und in der gleichen Ausgabe entsprechende staatlich finanzierte Werbung zu drucken.

Zwei monatliche anarchistische Zeitungen, Diadromi (Freiheitsstrecke) und Babylonia, zirkulieren ebenfalls seit einem Jahr. Sie bestimmen jedoch selbst in den anarchistischen Gruppierungen nicht die Diskurse, da die Blätter nicht als Gesprächsforum anerkannt sind. Das war auch das Problem, mit dem die anarchistische Wochenzeitung Alfa zu kämpfen hatte. Die Zeitung, die zwischen 1994 und 1998 existierte, konnte ein verhältnismäßig gutes journalistisches Niveau erreichen. Dennoch waren die Verkaufszahlen zu gering, als dass sie sich hätte etablieren können. Dazu kamen Streitigkeiten innerhalb der Szene. Nach vier Jahren musste die 16seitige Zeitung eingestellt werden.

Das interessanteste linke Blatt dürfte To pontiki (Die Maus) sein. Das wöchentliche satirische »Investigativblatt«, wie die Zeitung sich selbst nennt, amüsiert seit der demokratischen Wende 1974 seine Leser und recherchiert Polit- und Wirtschaftsskandale, druckt geheime Verschlusssachen oder Erklärungen von Stadtguerilla-Gruppen, die zumeist allerdings gar nicht mehr existieren. Einen gewissen patriotischen Zug kann To pontiki zwar nicht verbergen, vor allem dann nicht, wenn es um die Zypern-Frage geht. Eins allerdings ist dem Blatt mit seinen witzigen Karikaturen und Montagen gelungen: Generationen von linken Lesern immer wieder zu begeistern.