Asyl wird outgesourced

Die EU möchte die Migrationskontrolle verbessern und vereinheitlichen, unter anderem mit weitgehenden Plänen zur Auslagerung der Asylverfahren. Dem stehen unterschiedliche staatliche Interessen im Weg. von matthias becker

Schon seit einiger Zeit träumen die europäischen Migrationspolitiker von der Auslagerung ihrer Probleme mit Flüchtlingen. Der deutsche Innenminister Otto Schily und sein italienischer Amtskollege Giuseppe Pisanu machten sich beim Treffen der europäischen Innenminister im niederländischen Scheveningen Anfang Oktober für Flüchtlingslager in Libyen oder einem anderen Land des Maghreb stark. Auch der österreichische Innenminister Ernst Strasser und polnische Vertreter sprachen sich dafür aus, nur sähen sie die Lager lieber in der Ukraine, wohin dann tschetschenische Flüchtlinge gebracht werden könnten.

Schily hatte sich bei dem Treffen besonders hervorgetan und zudem angeregt, die Europäische Union solle in Nordafrika Auffanglager einrichten oder finanzieren. Würden Flüchtlinge in internationalen Gewässern aufgegriffen, könnten sie dorthin gebracht werden und ein provisorisches Asylverfahren durchlaufen. Die Reaktionen auf seine Initiative waren durchaus gemischt. Während Italien, Polen, Großbritannien und Österreich den Vorschlag prinzipiell unterstützten und sich für Pilotprojekte aussprachen, äußerten sich Frankreich, Irland, Schweden und Spanien eher ablehnend. Für Karl Kopp, den Europareferenten von Pro Asyl, ist das Thema damit allerdings noch lange nicht vom Tisch: »Schily wird das Treffen der fünf großen EU-Staaten am 18. Oktober dazu nutzen, für sein Projekt zu werben.«

Für Verwirrung sorgten Zeitungsberichte, dass das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) sich an entsprechenden Pilotprojekten beteiligen würde. Obwohl internationale Hilfsorganisationen wie das UNHCR oder das Rote Kreuz bei der Rückführung von Flüchtlingen mit europäischen Staaten zusammenarbeiten, betonen ihre Vertreter, dass sie Auffanglager nur bedingt befürworteten. Rupert Colville, ein Sprecher der UNHCR, betont im Gespräch mit Jungle World, dass »es im Moment keinerlei Verhandlungen in dieser Richtung gibt«. In Scheveningen sei lediglich vereinbart worden, dass die EU ein Projekt bezuschusst, das die nordafrikanischen Staaten beim »Aufbau geordneter Asylverfahren« unterstützen soll.

Colville spricht von »starken Vorbehalten«, insbesondere weil Lager »an sich ein Problem darstellen«. Die Furcht, dass organisierte Schlepper Auffang- bzw. Transitlager als Basis für ihre Aktivitäten nutzen werden, ist der Grund, warum Vertreter der französischen Regierung sich ausdrücklich gegen das Projekt wenden und vor »mafiösen Strukturen« warnen, die so noch befördert werden würden.

Die bisherige Asylpolitik der europäischen Staaten richtete sich nach dem Prinzip: wenn möglich gemeinsam – wenn nicht, dann bilateral. Die Auslagerung der Asylverfahren fängt deshalb keineswegs bei Null an. Schon jetzt bestehen zahlreiche so genannte Rückführungsverträge, und die Regierungen arbeiten bei Abschiebungen und der Grenzsicherung mit nicht europäischen Staaten zusammen. Abkommen bestehen etwa zwischen Marokko und Spanien oder zwischen Libyen und Italien. Sogar die Schweiz, die im vergangenen Jahr ganze 2 253 Asylbewerber aufnahm, hat Verträge mit dem Senegal (Jungle World, 06/03).

Bereits 2003 hatte die britische Regierung den Vorschlag gemacht, außerhalb Europas Auffang- und Transitlager einzurichten. Die euphemistisch »sichere Häfen« genannten Lager sollten unter Aufsicht des Flüchtlingskommissariats UNHCR oder der International Migration Organisation (IMO) stehen. »Dort könnten dann Asylbewerber ihre Anträge stellen, ohne illegal Tausende von Kilometern zu reisen«, sagte damals ein britischer Regierungssprecher. Inspiriert sind die Pläne von der rigiden Praxis Australiens, wo Migranten vorrangig auf Inseln vor der Küste untergebracht werden. »Pre-selection off-shore« wird das dort genannt.

In einem Strategiepapier der britischen Regierung war die Rede von vier verschiedenen Regionen, in denen derartige »Schutzzonen« eingerichtet werden sollten: in der Türkei für Flüchtlinge aus dem Irak, im Norden Somalias für Menschen aus dem Süden, in Marokko für Flüchtlinge aus Algerien und schließlich in der Ukraine für Ankommende aus dem Balkan und dem Kaukasus (Jungle World, 17/03). Solche Lager hätten den Vorteil, dass die Nationalität eines Asylbewerbers vor einer Abschiebung nicht mehr genau bestimmt werden muss. Auch rechnete das britische Innenministerium vor, es käme für die europäischen Steuerzahler billiger, »sichere Häfen« zu finanzieren als Asylbewerber im eigenen Land.

In diesem Sommer richtete sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf jene afrikanischen Flüchtlinge, die mit kaum seetüchtigen Schiffen versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, und dabei häufig ums Leben kommen. Das plötzliche Interesse der europäischen Medien und Politiker überrascht. Die »Vereinigung der marokkanischen Arbeitsmigranten in Spanien« (ATIME) macht immerhin seit 1997 darauf aufmerksam, dass jährlich über 1 000 Menschen beim Versuch, die Straße von Gibraltar zu überqueren, ums Leben kommen. Tendenz steigend.

Was von Schilys Ideen auf europäischer Ebene praktikabel und durchsetzbar sein wird, ist unklar. Bisher verhinderten starke nationalstaatliche Interessen eine weitgehende so genannte Harmonisierung der europäischen Asylpolitik. Das zeigte sich auch Anfang Juli in Brüssel, wo die künftige Verfassung der Europäischen Union verhandelt wurde. Ansonsten ein entschiedener Fürsprecher von Mehrheitsentscheidungen, beharrte Deutschland in diesem Punkt vehement auf seinem Vetorecht. Italien hatte vorgeschlagen, ein europaweites Quotensystem einzuführen, Deutschland ist dagegen.

Einigen konnte man sich in Schevenigen darauf, dass zunächst die Transitländer die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnen sollten. Libyen beispielsweise ist dieser internationalen Konvention noch nicht beigetreten. Aber noch sind alle anderen Fragen offen. Wie wird mit den Flüchtlingen am Ort ihres jeweiligen Aufenthalts verfahren werden? Werden es europäische Beamte sein, die quasi auf Montage ihre Anträge bearbeiten? Das ist nach internationalem Recht brisant. Und wer wird für die Menschen verantwortlich sein, deren Anträge abgelehnt wurden, also für die übergroße Mehrheit? Die Hilfsorganisationen? Staaten wie Marokko oder Tunesien? Widerspruchsrechte sind jedenfalls nicht vorgesehen.