Boykottieren geht über Diskutieren

Der Nahostkonflikt war eines der meistbehandelten Themen auf dem Europäischen Sozialforum. Besonders kontrovers fielen die Debatten allerdings nicht aus. von peter ullrich, london

Auch in diesem Jahr war die Themenvielfalt auf dem Europäischen Sozialforum (ESF) kaum zu überschauen, alles zwischen sozialem Europa, Umwelt, Rassismus, Gentechnologie und vielem anderen war vertreten. Wie in den vergangenen zwei Jahren dominierte allerdings der Nahost-Konflikt das Programm. In einer durch die jüngste Zuspitzung der Situation im Gazastreifen noch weiter aufgeheizten Stimmung traf sich die Palästina-Solidaritäts-Community in unzähligen Workshops, bei Filmvorführungen, auf Podien und an Infoständen, um ihr Vorgehen gegen die israelische Besatzung und den Zionismus im Allgemeinen zu koordinieren.

Wie bei den meisten Veranstaltungen auf dem ESF wurde dabei nicht sonderlich kontrovers diskutiert. Im Prinzip bestand die Debatte aus einfachen Aneinanderreihungen der Standpunkte der verschiedenen ReferentInnen. Dem folgten dann Co-Referate aus dem Publikum, bis die Zeit abgelaufen war. Anders als bei anderen Themen gab es hier erstaunlich wenig Diskussionsbedarf. Als Jamal Juma’a von der Kampagne »Anti-Apartheid Wall« und der palästinensische Menschenrechts- und Gesundheitsaktivist Mustafa Barghouti angesichts der »Bantustanisierung« der Westbank den Boykott Israels und internationale Sanktionen forderten, ernteten sie stehende Ovationen. Denn sie benannten zwei der Haupttopoi, um die sich die meisten Beiträge drehten. Immer deutlicher wurde diesmal der Versuch vieler RednerInnen, das Thema Nahostkonflikt in den allgemeinen globalisierungskritischen Diskurs einzubinden, in der Regel allerdings ohne dies inhaltlich begründen zu können. Eine Ausnahme stellte dabei Michel Warschwaski vom Alternative Information Centre in Jerusalem dar, der den Nahostkonflikt in den Kontext des »neuen, globalen, permanenten und präventiven Krieges« stellte. Im Seminar »The Exemplarity of the Palestinian Question« betonte er vor allem den »trennenden« Charakter der Mauer, der seine Entsprechungen im Diskurs des Clash of Civilisations, aber auch in der stetig wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich finde. Dementsprechend war Apartheid ein weiteres zentrales Schlagwort. Die praktischen Überlegungen konzentrierten sich auf einen europaweiten Aktionstag gegen die Mauer, der im November stattfinden soll.

Auf vielen Podien vertreten waren auch israelische Refuseniks, die, wie der Jetpilot Yonathan Shapira, den Einsatz in den besetzten Gebieten oder gar den gesamten Militärdienst verweigerten und dafür – wie Matan Kaminer – monatelange Haftstrafen verbüßen mussten. Der Kriegsdienstverweigerer sprach auch auf dem alternativen Forum »Beyond ESF«. Dieser Gegengipfel wurde von den so genannten »Horizontals« organisiert und vereinigte die vielen an Anarchismus, Direct Action und autonomer Organisation orientierten Grüppchen, die sich vom autoritären Vorbereitungsprozess des offiziellen ESF ausgegrenzt fühlten.

Auch dort waren die Diskussionen nicht besonders tiefgründig. Immer wieder wurden die israelischen Referenten gedrängt, Vorschläge für die konkrete politische Praxis zu unterbreiten. Trotzdem unterschied sich die dortige Herangehensweise an den Konflikt wohltuend von den simplen Schuldzuweisungen auf dem offiziellen Sozialforum, schon allein deshalb, weil es deutlich weniger hauptberufliche Nahostexperten gab. Einig war man sich in der Ablehnung der israelischen Besatzung, des als menschenunwürdig bezeichneten Mauerbaus sowie der Hauszerstörungen, Plantagenvernichtungen und der Ausgangssperren. Ebenso wurde aber von mehreren – und nicht nur am deutschen Diskurs geschulten – TeilnehmerInnen auf die Gefahren antijüdischer und antiamerikanischer Ressentiments hingewiesen. »Wenn man einfach Israel boykottiert, trifft es genauso mich und meine Familie wie Extremisten und Fanatiker« sagte Matan Kaminer und fand große Zustimmung.