Damals im Sommer

Skateboarden kann ganz schön subversiv sein, zumindest eine Zeit lang. In Frankfurt ging das Projekt »Nizza Transfer« zu Ende. von jesko bender

Links die Skyline, rechts der Main, vorn ein Skatepark und hinten ein Gebäude mit einer großen Skateboardrampe auf dem Dach. Von Juli bis Anfang Oktober war das der Anblick, den man genießen konnte, wenn man sich tagsüber, abends oder nachts am »Nizza Transfer« aufhielt, zum Skateboarden, Rumhängen, Ausstellungen anschauen oder um Veranstaltungen unter dem Motto »Urbanität und Revolte« zu besuchen.

Beim Projekt »Nizza Transfer«, das auf dem Gelände einer Rollschuhbahn in der Innenstadt stattfand, ging es um das Skateboarden als Subkultur. Dabei wurde der urbane Raum als System von Zeichen und Bezeichnungen verstanden und das Skateboarden als widerständige Praxis. »Streetskaten muss als das Erzeugen von Widerstand gegen die hegemoniale Architektur verstanden werden. Mit den Skatern bricht der Widerstand in die Architektur ein. Sie attackieren die Architektur und transformieren deren Botschaft in eine kritische Einschreibung, die einem Abbruch gleichkommt«, schrieb der Kurator des Projekts, Florian Waldvogel, in der Zeitschrift Bank, die im Rahmen des Projekts erschien. Doch nicht nur die Texte über das Skateboarden klangen so, als ob die Autoren es mit der Subversion ernst meinen würden. Auf dem Hausdach prangte groß das Zeichen der HausbesetzerInnen, an einer Wand stand in knalliger Farbe »If you want to rock, you’ve got to roll«, und im Internet war sogar vom »Aufbau einer autonomen Zone in Frankfurt« die Rede.

Kein Wunder also, dass die Stadt Frankfurt nicht gerade entzückt auf das Projekt reagierte. Nach ein paar Wochen standen dann auch alle denkbaren Ämter vor der Tür der Projektleitung. Die Rampe entspreche nicht den baulichen Anforderungen und außerdem liege keine Baukonzession vor. »Alle Ämter wollten den Laden dicht machen«, sagt Waldvogel. Deshalb sei »Nizza Transfer« letztlich nur als Kulturprojekt mit zeitlicher Begrenzung geduldet worden. Dicht machen konnte man es allerdings nicht so einfach. Schließlich wurde es von der Kulturstiftung des Bundes finanziert. »Nizza Transfer war eine temporäre Besetzung von öffentlichem Raum.« Und dass es dabei blieb, war der Stadt besonders wichtig.

»Sobald die Nutzung von öffentlichen Räumen für kulturelle Projekte über eine Zwischennutzung hinausgehen soll, ist das mit der Stadt nicht mehr zu machen«, sagte ein Aktivist der Innenstadtgruppe Frankfurt/Offenbach. Eher würden in Frankfurt neue Büroflächen gebaut, auch wenn sie danach komplett leer stünden. So geschehen beispielsweise am Westhafen von Frankfurt, wo ein nagelneuer Büroturm bisher keinen einzigen Mieter gefunden habe.

Dementsprechend ist die Stadt eifrig dabei, Pläne zu schmieden für die Zeit nach dem Abriss der Anlage, auf der »Nizza Transfer« stattfand. Immerhin steht im Sommer 2006 die Fußballweltmeisterschaft an und in unmittelbarer Nähe soll ein Bahnhof für die bei Touristen beliebte nostalgische Dampfeisenbahn gebaut werden. Das Angebot von Florian Waldvogel, nachträglich eine Baugenehmigung zu beschaffen und somit ein Weiterbestehen von »Nizza Transfer« zu sichern, wurde ausgeschlagen. »Die Stadt stellte Auflagen, die nicht erfüllbar waren«, sagt Waldvogel.

Auf Nachfrage der Jungle World führte das Grünflächenamt der Stadt u.a. das »ästhetische Erscheinungsbild« an. Außerdem liege das Gelände so nahe am Main, dass der Fußweg entlang des Flusses mit seinen 1,80 Metern Breite »ein Nadelöhr für die Spaziergänger« darstelle.

Diskussionen über das ästhetische Erscheinungsbild der Stadt sind in Frankfurt mit Vorsicht zu genießen. Denn hier wird manchmal mit großer Ernsthaftigkeit über Dinge debattiert, die in anderen Städten mit einem müden Lächeln quittiert würden. So nahm etwa die Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) im Sommer 2003 Anstoß an den »dunklen, hässlichen, unterschiedlich farbigen Sonnenschirmen« der Straßencafés sowie an wackeligen Bierbänken. Im Sommer 2004 bot sich im Zentrum der Stadt ein anderes Bild: weiße Sonnenschirme und stabiles Mobiliar. »Formen der Aneignung, der Destruktion, der Parodie und der Verfremdung von Architektur«, wie sie Waldvogel im Streetskaten sieht, scheinen also mehr als angebracht.

Die meisten Skater, die an der Abschlussveranstaltung der Reihe »Urbanität und Revolte« am 2. Oktober teilnahmen, waren von den dort gezeigten Videos wüster Straßenschlachten zwar sichtlich beeindruckt. Trotzdem konnte der größte Teil von ihnen nicht viel damit anfangen, als ein paar Jugendliche vorschlugen, sich einfach zu weigern, das Gelände zu verlassen. Es kam keine Wut darüber auf, dass man in Frankfurt in der Innenstadt mit dem Skateboard kaum mehr etwas anfangen kann, weil nach und nach alle öffentlichen Plätze umgebaut werden. Entweder werden grobe Pflastersteine und Metallschienen verlegt, so dass keine Skater-Tricks mehr möglich sind, oder es patrouillieren private Sicherheitsdienste.

Es hätte sich also gelohnt, um das Gelände am Main zu kämpfen. Denn einen Ort, an dem Skateboardfahren, kulturelle Projekte und Jugendszene so viel Platz haben, wird es in Frankfurt, vor allem in der Innenstadt, in absehbarer Zeit nicht noch einmal geben. Der Aktivist der Innenstadtgruppe Frankfurt/Offenbach bedauert, dass in das Projekt keine bestehenden politischen Gruppen, zum Beispiel diejenigen, die einmal im Jahr die Nachttanzdemo organisieren, einbezogen wurden. Auch die Innenstadtgruppe selbst thematisiert seit einigen Jahren die Umstrukturierung der Stadt und versucht mit Aktionen, Veranstaltungen und der Zwischennutzung von Räumen zu intervenieren. »Mit dem Ende des Projekts wurde leider kein unmittelbarer Konflikt mit der Stadt eingegangen«, sagt er. Sowohl die VeranstalterInnen von »Nizza Transfer« als auch politische Gruppen sollten das in der nächsten Zeit »als vertane Chance diskutieren«.

Dennoch bleibt die Frage, ob die Widerständigkeit des Skateboardfahrens nicht reine Theorie bleibt. Zwar stimmt es, dass Skateboard fahren etwas Rebellisches oder Destruktives haben kann, aber eben nur kann – ganz nach dem Motto Florian Waldvogels: »Wenn du Bock hast, kannst du überall was besetzen.«

Doch die meisten Skater gaben sich damit zufrieden, dass ihnen ein Gelände am Stadtrand in Aussicht gestellt wurde. Von dem Projekt wird ihnen wahrscheinlich nur in Erinnerung bleiben, dass es mal einen Sommer lang einen großartigen Spot in Frankfurt gab, auf dem man auch Profis fahren sehen konnte.