Soft Issues

Soziale Fragen im US-Wahlkampf von william hiscott

Knapp zwei Wochen vor den US-amerikanischen Wahlen liegen George W. Bush und John Kerry in den Umfragen gleichauf. Es geht um die wenigen unentschiedenen Wähler, die wohl nach ihren ökonomischen Interessen abstimmen werden. Nach dem Schlagabtausch über die Kriege gegen den Terror und im Irak in den ersten zwei Fernsehdebatten rückten beim letzten Duell, das vergangene Woche stattfand, denn auch die Brot-und-Butter-Themen in den Mittelpunkt. Nach einer Umfrage der Washington Post halten immerhin 36 Prozent der Wähler die Wirtschafts- und Gesundheitspolitik für die wichtigsten Themen.

Aus gutem Grund. Die offizielle Zahl der Arbeitslosen ist unter Bush um über 800 000 gestiegen, während das Einkommensniveau, abgesehen vom Sektor der Hochqualifizierten, erheblich gesunken ist. Vor allem das Drittel der have-nots muss für immer schlechter werdende Gesundheitsleistungen immer mehr bezahlen. Eine Million Menschen hat in den letzten vier Jahren ihre Krankenversicherung verloren, 48 Millionen Amerikaner sind überhaupt nicht versichert.

Eigentlich sollte dies ein gefundenes Fressen für den Herausforderer sein. Dennoch ist Kerry bislang zurückhaltend mit diesen Themen umgegangen. Seine wirtschaftspolitischen Pläne sind unausgegoren und umfassen zumeist nur geringfügige Veränderungen. Immerhin hat er mit seinem Vorschlag zur Gesundheitsreform einen ernst zu nehmenden Plan vorgelegt, der vorsieht, die Kosten des staatlichen Gesundheitssystems Medicare durch den Sammelkauf von Medikamenten und andere Maßnahmen erheblich zu senken. Zudem will er insbesondere Kinder und Lohnabhängige mit niedrigem Einkommen mit einer Krankenversicherung ausstatten und die Zahl der Unversicherten um 15 bis 20 Millionen Menschen verringern. Nur weiß niemand, wie diese Reform bezahlt werden soll.

Im Kampf um das Weiße Haus werden traditionell viele gesundheits- und sozialpolitische Pläne verkündet, die sich in der Regel als unbezahlbar erweisen. Dieses Mal ist das nicht anders. Sowohl Kerry als auch Bush versprechen, die sozialen Defizite anzugehen. Doch in den letzten vier Jahren sind die Kosten für die Kriege und die Innere Sicherheit hinzugekommen, und Bushs Steuerpolitik für die gehobene Mittel- und die Oberschicht hat ein Übriges getan, um das Staatsdefizit auf eine Rekordsumme anwachsen zu lassen. Ohne Steuererhöhungen oder tiefe Einschnitte ist die Staatskasse nicht zu füllen. Zwar will Kerry die Steuererleichterungen für die Reichsten rückgängig machen, doch genügen würde das nicht. Darüber hinaus will Kerry keine weiteren Steuererhöhungen.

Egal, wer die Wahl gewinnt, der amerikanische Staat wird weiterhin nahezu handlungsunfähig sein, wenn es darum geht, die krassen sozialen Unterschiede abzumildern. Der bereits unter William Clinton vollendete »schlanke Staat« wurde etatmäßig von Bush in den letzten vier Jahren so weit strapaziert, dass Kerry nicht einmal mit dem Versprechen Wahlkampf machen kann, die Ungleichheiten zu verringern, ohne dabei wie ein haushaltspolitischer Träumer zu wirken. Denn solche Träumer verlieren Wahlen.

Daher lässt Kerry die eigentlichen Probleme unerwähnt, obwohl er als einer der letzten great society liberals gilt. Schade drum, denn dem Verliererdrittel in den USA geht es so mies, dass es für sie langfristig wichtiger wäre, die Probleme zu thematisieren und die Wahl zu verlieren als andersherum.